Rassismus
#SchauHin – der neue #Aufschrei
Seit Ende vergangener Woche twittern unter dem Hashtag #SchauHin tausende Menschen ihre Erfahrungen mit Alltagsrassismus. Initiatorin Kübra Gümüşay beschreibt, wie alles begann und wie diese Welle sich anfühlt.
Von Kübra Gümüşay Montag, 09.09.2013, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 12.09.2013, 23:10 Uhr Lesedauer: 6 Minuten |
“Ein Freund hört mit seinem Polizisten-Job auf wegen des Alltagsrassismus”, schreibt mir gerade Tamim Swaid, ein guter Familienfreund, während ich an diesem Text hier sitze. “Stell dir vor”, fährt er fort, “8 Jahre Ausbildung und Beamtenstatus.” “Oh krass…”, antworte ich. Dann schreibt er: “SchauHin ist sehr gut.”
#SchauHin ist eigentlich nichts Neues. Schon seit etlichen Jahren bloggen und twittern Menschen in Deutschland online zu den Themen Rassismus im Beruf, in der Schule, in den Medien – im Alltag halt. Denn Rassismus ist nicht etwas, auf das wir entspannt mit weit ausgestrecktem Finger in der weiten, weiten Ferne zeigen können. Etwas, das irgendwo am rechten Rand der Gesellschaft geschieht, wo die Glatzen glänzen und die Springerstiefel stampfen. Nein. Rassismus ist hier. Mitten unter uns. Jeden Tag. Überall.
“Lass uns drüber sprechen & schreiben!” Immer wieder habe ich das gesagt. Immer wieder haben das Hunderte andere vor mir gesagt und unzählige Aktionen, Demonstrationen und Projekte gestartet. Aber es musste immer einen Anlass, eine Relevanz geben, damit wir in der Gesellschaft über Rassismus sprachen. Damit wir schnell vom Thema abweichen konnten. Thilo Sarrazin wäre die perfekte Gelegenheit gewesen, um über den nun salonfähigen Rassismus zu sprechen. Stattdessen diskutierten wir unkritisch, in welchen Punkten er nun recht haben könnte. Oder wir diskutierten wochenlang über Deutschenfeindlichkeit auf Berliner Schulhöfen, statt über den systematischen Rassismus zu sprechen, der Millionen von Deutsche im Alltag begleitet. In der Kinderbuch- & N-Wort-Debatte (Danke an so großartige Menschen wie Mekonnen Mesghena, die die Debatte anstießen) wurde erstmals ein Alltagsrassismus zum Thema, man versuchte sie aber im “Kulturgut”, das man verteidigen musste, zu ersticken. Erst kürzlich hatten wir ein TV-Duell, denn es sind ja bald Wahlen. Die sogenannten Menschen mit Migrationshintergrund kamen nicht mit einem Wort vor. Rassismus war kein Thema.
Man braucht nicht lange nach einem Anlass oder der Relevanz zu suchen, um über Alltagsrassismus zu sprechen. Rassismus ist immer aktuell, immer relevant, immer ein Anlass. Dennoch haben wir es bisher nicht geschafft, eine ehrliche Debatte über Rassismus in Deutschland zu führen. Was für eine Rolle spielt Rassismus bei der Polizei? Im Beamtenapparat? Ist Angela Merkel rassistisch? Wie sieht in den Zeitungen, im Fernsehen aus? Und in anderen Teilen der Gesellschaft? Wie rassistisch bin ich?
Und bevor die üblichen Verdächtigen nun klagen ‘Ja, aber ich wurde auch schon von Türken diskriminiert!’ Für alle: 1. Es geht um den systematischen Rassismus. 2. Auch Frauen können sexistisch, Schwule homophob, Ausländer rassistisch sein. Trotzdem müssen wir über diese Probleme sprechen und sie benennen.
Das einzig Neue an #SchauHin ist der Hashtag, das Etikett, also die Sammlung dieser Erlebnisse. Mit nur einem Klick, das ist das Ziel, soll man/frau eine ungefähre Ahnung davon bekommen, wie sich der Alltagsrassismus in Deutschland anfühlen kann. #Aufschrei hat vorgemacht, wie ein Alltag, den Millionen Menschen in Deutschland teilen, aber kaum in der Öffentlichkeit wiederfinden, Gegenstand einer Debatte werden kann. Vor wenigen Tagen, auf dem #Abbloggen-Podium der FES, war das Thema: Sexismus & Rassismus ab_bloggen. Dort entstand die Idee und wir beendeten die Suche nach einem Hashtag und ich legte mit ein paar Tweets los.
Und der Hashtag für (bzw. gegen) Alltagsrassismus erblickte um 15.55 das Licht der Welt: #SchauHin. – http://t.co/Fd4vFdB5a3
— Kübra Gümüşay (@kuebra) September 6, 2013
Mit @FREIHAFEN-Redaktion beim Stern. K.K. zu mir: Du wirst niemals Journalistin werden. – Warum? – Weil du ein Kopftuch trägst. #schauhin
— Kübra Gümüşay (@kuebra) September 6, 2013
Die (ich belasse sie unbekannt)-Redakteure, die an meiner Bürotür stehen und mich auslachen während ich bete. #schauhin
— Kübra Gümüşay (@kuebra) September 6, 2013
Als #Aufschrei lief, verfolgte ich, was dort geschah und geschrieben wurde. Aber so ganz konnte ich weder die Passion noch die Begeisterung mitfühlen und konnte es mir nicht so recht erklären. Vielleicht, weil ich nie nur Sexismus allein, sondern immer mit Rassismus erlebte. Erst als #SchauHin lief und in wenigen Minuten Hunderte ihre Erlebnisse teilten, konnte ich nachfühlen, was die Frauen, die sich bei #Aufschrei engagierten, gefühlt haben müssen: Eine große Erleichterung. Das Teilen der Erlebnisse macht nicht schwächer oder gar erneut zum Opfer. Ganz im Gegenteil, das Teilen nimmt die Last von den Schultern, es macht öffentlich, was oft verborgen blieb. Es problematisiert, prangert an, verurteilt und schafft Raum für die Zukunft.
#SchauHin hat seinen Anfang genommen mit Emran Feroz, Kathy Messmer, Sabine Mohamed und viele anderen. Alle Tweets können Sie hier nachlesen. Und wir werden weiterschreiben, weitererzählen. Bis es aufhört.
Um nur einige hier zu zitieren: Gesellschaft Leitartikel Meinung
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Gut, vielleicht ist mein Kommentar wirklich ein wenig abgehoben. @Ali Schwarzer: Deine Erfahrungen tun mir leid und ich kenne dies von Freunden. Was aber willst du tun? Ich sage nicht, dass du Schuld hast. Das Missverständnis liegt woanders:
Wir sollten zwischen Rassismus und Kulturrassismus unterscheiden. Genau dies wird in einen Topf geworfen. Ich erkläre es mal:
Ich stamme aus einer muslimischen Familie, möchte behaupten, die Religion gut zu kennen und ich bin ausdrücklich kein Fan (liberaler junger Mann mit vielen homosexuellen Freunden, freiheitsliebend). Ja ich glaube sogar, dass die fehlende Diskussionskultur im Islam ihn für eine gelungene Integration in aufgeklärte westliche Gesellschaften disqualifiziert – zumindest jetzt noch und das wissen (oder ahnen) viele Menschen. Wenn ich mit Kopftuch durch die Gegend renne, dann nehme ich Diskriminierung in Kauf. Sie basiert aber nicht auf Rassismus, sondern auf Kulturzentrismus. Lege ich das Kopftuch ab, dann war’s das mit der Diskriminierung. Wenn ich schwarz bin und deshalb diskriminiert werde, dann ist es Rassismus. Das ist eine andere Sache: Ich kann meine Hautfarbe nicht ablegen. Der Unterschied sollte doch einleuchten, oder nicht?
Was daran abgehoben ist, verstehe ich nicht. Der Großteil derer, die sich über Rassismus beschweren (ja, dies sind vor allem muslimische Migranten), wählt den mühsamen Weg: Herummotzen an der Gesellschaft und sich als Opfer stilisieren (Heuchlerparteien wie SPD, Grüne und Linke freuen sich über diese Werbung). Sinnvoller und kraftsparender wäre es, bei sich selbst anzusetzen und zur Not auch Diskriminierung zu akzeptieren und sein Leben zu leben. Wer das schafft, ist garantiert deutlich zufriedener als Mihigru-Nörgler. Ich wähle den ökonomischen Weg. Das ist nicht abgehoben, sondern schlicht sinnvoller.
Noch ein Wort zur Integration des Islams: Ich bin kein Gegner, ich mag die Menschen, aber es fehlt an einem intellektuellen, aufgeklärten Diskurs innerhalb der Religionsgemeinschaft. Vielleicht ist es ein strukturelles Problem, da es keine zentrale Organisation der muslimischen Gemeinden gibt. Eher denke ich aber, dass es an Moslems mangelt, die ihre eigene Kultur in Frage stellen. Genau diese Leute meine ich mit Mihigru-Nörglern: Es ist ein ständiges wir gegen euch; unsere Kultur gegen eure. Niemand hat etwas gegen Moslems, die ihre Religion im Wohnzimmer abfeiern. Gegen dreiste Forderungen (und das gilt auch für die Kirchen; einfach mal drauf achten) hat eine aufgeklärte säkulare Gesellschaft sehr wohl etwas und das aus gutem Grund!
@Berta
Deutsch leitet sich von dem althochdeutschen diutisc ab was „zum Volk gehörig“ heißt.
Der Name Deutschland deutet demnach „Land unseres Volkes“
Sollte Deutschland umbenannt werden?
Es wird in diesem Artikel eine Auswahl an Tweets angeboten, vermutlich keine zufällige, sondern eher eine aussagekräftige Auswahl, die den Alltagsrassismus belegen soll.
Was ist eigentlich Rassismus? Dazu kursieren zahlreiche Definitionen. In der Wissenschaft hast sich folgender gemeinsamer Kern herausgebildet: Rassismus beschreibt Mechanismen, die Machtverhältnissen jeglicher Art mit einer „Theorie“ der Unterschiede zwischen Gruppen rechtfertigen.
Das ist eine recht allgemeine Auffassung, die aus zwei Komponenten besteht: Der Gruppenbildung und der Machtkomponente, wobei die Machtkomponente sehr weit gefasst werden kann. Zum Beispiel, wer Türken seine Wohnung nicht vermietet, weil Türken im Gegensatz zu Deutschen für den Vermieter unvereinbare Eigenschaften besitzen, der erfüllt beide Komponenten des Rassismus.
In diesem Sinne sind in der Tat einige Tweets rassistisch. Bei anderen lässt sich nicht beurteilen, ob sie rassistisch sind oder nicht.
Beispiel:
1) Winter.Ein Freund will sich kurz meine Handschuhe ausleihen.Lehrer: Nein, die braucht sie selbst, hier ist’s kälter als in Afrika
Weder die erste noch die zweite Komponenten müssen notwendig erfüllt sein. Sie können erfüllt sein, müssen aber nicht. Das ganze kann ebenso auch als schlechter Witz durchgehen.
2) Drei Supermarktkassen offen & bei zwei endlos lange Schlangen. Eine Kasse ist fast leer: die, wo eine Frau mit Kopftuch arbeitet.
Das kann auch ein Vorurteil sein. Ein Vorurteil kann als Komponente 1 des Rassismusbegriffs mit Wertung aufgefasst werden. Komponente 2 ist nicht notwendig erfüllt. Davon abgesehen halte ich den Tweet für unglaubwürdig.
3) Wenn eine Freundin auf FB ein NPD-Poster teilt, und sich verteidigt, dass sie gegen Rassisten sei, aber der „Inhalt“ stimme
Ohne zu wissen, was auf dem Poster steht, kann man hierzu nichts sagen. Positionen der NPD werden auch von Nicht-Rassisten geteilt.
4) D-Lehrerin mal zu mir: „Du wirst immer Probleme mit der deutschen Sprache haben.“ Heute liest sie meine Artikel in ihrer Zeitung.
Hier ist nicht einmal klar ob überhaupt die erste Komponente von Rassismus erfüllt ist. Das kann auch eine ganz individuelle Einschätzung der Lehrerin sein. Es kommt vor, dass ein Lehrer einem Schüler ein vernichtendes Zeugnis ausstellt. Das spricht sicher nicht für die Lehrerin, bedeutet aber auch nicht selbstredend, dass hier Rassismus vorliegt.
Der Rassismus-Vorwurf wiegt deswegen so schwer, weil damit die schlimmsten Verbrechen gegen die Menschheit verknüpft sind. Wer mit solchen Vorwürfen um sich wirft, sollte sich fragen, ob sein Vorwurf gerechtfertigt ist. Historiker haben das längst begriffen. Sie lehnen inflationäre Vergleiche mit dem Holocaust ab. Vorurteilsexperten befeuern dagegen jede noch so abwegige Konstruktion als rassistisch. Der Vergleich hinkt etwas, aber es ist so als ob mann einem Mann als Vergewaltiger oder üblen Sexisten bezeichnet, der eine Frau für einen Bruchteil einer Sekunde zu lange anschaut hat.
@aloo masala
Sehr schöner aufschlussreicher Kommentar! Sie scheinen ein sehr ausgeglichener selbstbewusster Mensch zu sein, der nicht von Einzelpersonen auf ein ganzes Volk schliesst und nachdenkt bevor er jemandem Rassismus unterstellt!
Ich will zusätzlich aber auch nochmal darauf hinweisen, dass es ziemlich utopisch ist, zu glauben, dass die Nazis und deren kruden Ideologie sich nach dem verlorenen 2. WK in Luft aufgelöst haben. Deren Ideologie wird immer noch von einer kleinen Minderheit vertreten und die Menschen die diese Ideologie gutheissen leben nunmal mitten unter uns! Und wenn diese Menschen werden wollen, dann müsste man ein neues Verbrechen begehen.
Die Kunst liegt darin von diesen Menschen nicht auf alle anderen zu schließen! Zugegeben um das zu können, darf man nicht von vornherein eine negative Einstellung gegenüber Deutschland haben, sonst verliert man sich in kakophonie und Verschwörungstheorien.
@Lilalaunebär
Ihre Kommentare sind eine erfrischende Abwechslung und ich befürworte auch ein out-of-the-box-denken bei muslimischen Migranten vor allem bei den Konservativeren, die versuchen sich mithilfe von Rassismusvorwürfen nur entgegen jeglicher Vernunft an ihre Traditionen zu klammern und die gesellschaftlichen Entwicklungen ignorieren und sich davon selbst ausgeklammert sehen wollen, also auch selbst ausdrücken, dass sie nicht dazu gehören wollen.
Daumen hoch für diese Objektivität!