ZDF neokolonial

Wenn Flucht zum Abenteuerspiel für C-Promis wird

Erst an diesem Wochenende starben wieder sechs Menschen bei der versuchten Mittelmeer-Überfahrt nach Italien. In Deutschland spielen derweil C-Promis in der ZDFneo Sendung “Auf der Flucht – Das Experiment” ebensolche Fluchterfahrungen nach – nur eben ohne Gefahren.

Von Charlott Schönwetter Dienstag, 13.08.2013, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 18.08.2013, 21:17 Uhr Lesedauer: 6 Minuten  |  

Im letzten Jahr jährte sich zum 20. Mal die rassistisch motivierte Gewalt gegen Asylsuchende in Lichtenhagen. Anlässlich dieses Jahrestages pflanzte Bundespräsident Joachim Gauck eine deutsche Eiche. Der verantwortliche Redakteur für Innenpolitik bei der FAZ, Jasper von Altenbockum, hielt es für einen angemessenen Anlass um einen Artikel mit dem Titel “Terror gegen Asylanten. Lichtenhagen: Ende der Sozialromantik” zu veröffentlichen. In diesem räumt der Autor Verständnis für die Gewalt ein, verharmlost Rassismus und schmeißt Asyl- und Migrationspolitik in einen Topf.

Und auch dieses Jahr, zwanzig Jahre nach der de facto Abschaffung des Rechts auf Asyl, sieht es nicht besser aus: In Berlin Reinickendorf wird ein Spielplatz eingezäunt und deutlich gemacht, dass geflüchtete Kinder bzw. Kinder von Geflüchteten auf diesem nicht willkommen sind. In Berlin Marzahn-Hellersdorf mobilisiert die NPD gegen eine neueinzurichtende Unterkunft für Asylsuchende. In Schwäbisch Gmünd war da noch diese Geschichte mit den Kofferträgern. Und in der Schweiz, um einmal einen Blick über die Grenzen zu werfen, wird Geflüchteten der Besuch im Freibad und der Kirche untersagt.

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Es gibt also viel zu kritisieren und diskutieren: Fast nicht mehr vorhandenes Asylrecht, Behandlung von Asylsuchenden in Deutschland (und auch anderen europäischen Staaten), Grenzpolitiken, die Dritt-Staaten-Regelung, Rassismus in Deutschland. In den Mainstream-Medien kommt dies zu kurz und wird wenn häufig an Einzelfällen abgehandelt und nicht als systematisches Problem analysiert. Gegen dieses Schweigen und die Tatenlosigkeit der Regierung werden die Proteste von betroffenen Menschen lauter.

Im letzten Jahr startete mit einem Hungerstreik in Würzburg eine bis heute andauernde Reihe von Protestaktionen Asylsuchender Menschen in Deutschland, die meistens unter dem Namen “Refugee Tent Action” firmieren. Aktionen, speziell von Frauen ausgeführt, finden sich auf der Seite des Refugee Strike Berlin. (Auch wenn Münchens Bürgermeister Ude sich kaum vorstellen kann, dass auch Frauen politisch aktiv sind.) Vom 13. bis 16. Juni fand in Berlin das “Refugee Tribunal Against Germany” statt.

Auf den Refugee Protestmarsch nach Berlin, das dort errichtete Camp und die Polizeiübergriffe im letzten Oktober angesprochen, antwortete ZDF-Redakteur Dominik Rzepka damit, dass das Thema nicht relevant genug sei.

Info: Die erste Folge wurde am letzten Donnerstag ausgestrahlt. Die zweite Folge wird diesen Donnerstag erscheinen. Ausführlich habe ich das Konzept der Sendung auf meinem Blog Afrika Wissen Schaft kritisiert. Weitere Auseinandersetzungen finden sich auf Alis Afrikablog, bei daStandard und bei der Frankfurter Rundschau.

“Auf der Flucht – Das Experiment”
Nun aber möchte sich das ZDF, zu mindestens in Gestalt von ZDFneo, doch mit dem Thema beschäftigen. Ein weiterer Fail in der Geschichte “diskriminierender Klogriffe des ZDF“. Moderator Daniel Gerlach sieht “die Chance mit der Sendung den Themen Flucht und Asyl ein Gesicht zu geben.”, wie die Sprecherin in einem der Video-Clips zu Protokoll gibt. Statt aber das Thema Flucht und Asyl zu kontextualisieren, auf die andauernden Proteste einzugehen und ausschließlich Betroffene zu Wort kommen zu lassen, wird Flucht als ein Abenteuerspiel für C-Promis inszeniert.

Das Erfahrungswissen von Geflüchteten reicht wieder einmal nicht, stattdessen soll das (Nach-)Erleben von priviligierten Personen die gelebten Erfahrungen vieler Menschen legitimieren. Die Mitmachenden lernen zu Beginn zwei geflüchtete Familien kennen und “flüchten” dann als “Team Irak” und “Team Afrika” (sic) in die jeweiligen Herkunftsländer der Familien (Irak/ Eritrea). Für die sechs TeilnehmerInnen gibt es ein Vorbereitungscamp, in dem sie Kartenlesen lernen und durch das Gelände zu laufen. Dann sollen sie auch einmal am eigenen Leibe erfahren, wie es sich anfühlt, entführt zu werden. Und so laufen die TeilnehmerInnen mit Säcken über den Kopf durch die Landschaft, neben sich die ganze Fernseh-Crew. Mirja du Mont bringt in wenigen Worten die Unsinnigkeit auf den Punkt: “So ein Kinderspiel. Du weißt ja, du sitzt hier in Bayern. Da bin ich null gestresst.”

Den TeilnehmerInnen wird viel Raum gegegeben. Diesen nutzen sie um allerlei rassistische Aussagen zu tätigen. Mirja du Mont könne schon die “Angst vor Überfremdung” schon verstehen, spricht über ihren Stolz aufs Deutschsein und unterstellt Deutschland ein fehlgeleitetes “Helfersyndrom”. Die Autorin Kathrin Weiland findet die Vermischung von Kulturen schwierig, meint, dass eine Gesellschaft sich schützen dürfe (schließlich nehme mensch ja auch einen Dorn aus dem Schuh) und gibt Folgendes von sich: “Deutschland schafft sich ab – ich glaub da ist schon was dran an der These. Ich glaube nicht, dass Leute nur wegen dem Wetter kommen. Ich stell mir das wie eine große Sahnetorte vor und jeder möchte mal ein bißchen mitnaschen.”

Außerdem gecastet ein “rechter Aussteiger” (Kevin Müller) und das ehemalige Böhse Onkelz- Mitglied Stephan Weidner. Deren Einstellungen sind dramaturgisch durchaus genau so gewollt, denn es scheint, dass die Sendung darauf ausgelegt ist, dass diese Menschen im Kontakt mit Betroffenen ihre Vorurteile abbauen. Folge davon ist, dass Rassismus durchgehend re_produziert wird und Geflüchtete nur als Kulisse für die Erweckungserlebnisse priviligierter Pass-Deutscher herhalten müssen, was auch wiederum ein rassistisches Konzept ist.

Die TeilnehmerInnen können niemals auch nur ansatzweise nachempfinden, was tatsächlich flüchtende Menschen erleben. Sie haben jederzeit die Möglichkeit das Experiment abzubrechen und die Sicherheit, dass mit einem Kamerateam nebenbei wohl nichts wirklich Schlimmes passieren kann. Und Fernseh-Deutschland sitzt noch etwas bequemer auf der Couch und soll durch diesen Zugang plötzlich etwas über Flucht und Asyl erfahren.

Info: Diesen oder andere Briefe könnt ihr natürlich auch selbst an den Fernsehrat/ das ZDF (zuschauerredaktion@zdf.de) schicken. Außerdem gibt es die Möglichkeit sich auf Twitter (ZDF/ ZDFneo) oder auf Facebook zu beschweren. Und zu guter Letzt: Es gibt bereits zwei Petitionen, die die Absetzung der Sendung und eine Erklärung fordern. Diese können bei change.org hier und hier unterschrieben werden.

Protest gegen die Sendung
Das ZDF und ZDFneo haben bisher auf Twitter die Kritiker_innen abgebügelt: Zu erst vor allem mit dem Argument, dass die erste Folge gesehen werden müsste, um wirklich die Sendung kritisieren zu können, dann auch damit, dass die Macher_innen ja mit dem Flüchtlingshilfswerk der UN zusammengarbeitet hätten. Als wäre dies eine Absolution.

Nadia hat auf Shehadistan einen öffentlichen Beschwerdebrief an den ZDF-Fernsehrat veröffentlicht. In diesem schreibt sie: “Es ist nicht hinnehmbar, dass das ZDF die Lebenssituation von Asylsuchenden in Deutschland als Inspiration für eine fragwürdige und politisch zweifelhafte Sendung nutzt. Es ist nicht hinnehmbar, dass offen rassistische Aussagen von Berufsprominenten im deutschen Fernsehen ungefiltert und eingebettet in ein pseudo-subversives Format den Eingang in die Wohnzimmer von Millionen GEZ-Zahler_innen finden. Es ist nicht hinnehmbar, dass die strukturelle Gewalt und das Leid, das geflüchtete Menschen de fakto in Deutschland erleben, zur Schmiervorlage für Zerstreuungsunterhaltung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen wird. Es ist nicht hinnehmbar, dass Praktiken die an eine Völkerschau erinnern, gebührenfinanziert von potentiellen Zuschauer_innen getragen werden.” Feuilleton Leitartikel Meinung

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  1. Saadiya sagt:

    Es ist beschämend, wenn das ZDF Flucht als eine Art Abenteuerspiel darstellt und damit jeglichen Respekt vor jenen missen lässt, für die das traurige Realität ist. Was soll dem Zuschauer suggeriert werden? Flüchten ist lustig?
    Ernsthafte Dokumentation stehen dem ZDF besser zu Gesicht als derartig diskriminierender Schabernack!

  2. Pingback: Petition zeichnen, gebührenfinanzierte Verrohung stoppen: ZDF findet Flucht eine unterhaltsame Kulisse und lässt keinen rassistischen O-Ton aus | DER SCHWARZE BLOG

  3. Gülsün sagt:

    Schade, dass rundum die Keulen ausgepackt wurden, noch bevor die erste Sendung ausgestrahlt wurde. Dass man nie die Situation der Flüchtenden wirklichkeitsgetreu simulieren oder auf diese Weise nachempfinden können wird ist wohl jedem klar, auch den Machern der Sendung. Es wäre aber schon etwas bewegt, wenn im Verlaufe der Sendung für den Durchschnittsmenschen sichtbar wird, das Flucht Elend und kein Spaziergang ist. Das Konzept – nämlich die Reise im goldenen Westen zu beginnen, und in die entgegengesetzte Richtug zu machen – halte ich für sehr smart. Es dürfte sehr interessant werden, zu sehen welche weiteren Erfahrungen und Entwicklungen die Reisenden durchmachen, die die Zustände schon in D.land hart finden. Und wir alle wissen, dass diese Zustände quasi noch Luxus sind, im Vergleich zu dem was noch kommt. Im Moment sind wir noch beim „ja, aber…“ Status, einiger Reisender, die Dinge wie die Drittstaatenregelung für richtig halten. Reisende, die bald direkt „erfahren“ werden, was die Drittstaatenregelung in der Praxis bedeutet. Sie mögen es nicht am eigenen Leib, aus einer Ohnmachtssituation heraus erfahren, aber sie werden es hören, riechen, sehen. Und auch ohne es am eigenen Leib zu „erfahren“, wird das was sie sehen reichen, um einige Überzeugungen schwer auf die Probe zu stellen, noch bevor sie Europa überhaupt verlassen haben. C-Promis hin oder her, ein Teil der Menschen, die da reisen, sind Menschen mit denen der Durchschnittsdeutsche durchaus etwas Anfangen kann, und deren „jeder will was von der Torte“-Meinung er durchaus zustimmt. Gerade diesen Menschen auf der Route in die entgegengesetzte Richtung zu folgen könnte wesentlich wirkungsvoller sein, als noch eine Doku über Flüchtende, an austauschbaren Orten, mit austauschbaren Bildern, bei der viele – auch interessierte Menschen – wegschalten. Warum also nicht ein neues Format ausprobieren? Ist das wirklich so schlimm? Können wir gleich ohne die Sendung (oder nun nach dem ersten Teil) schon sagen, dass das nicht funktioniert? Ich für meinen Teil möchte sehen, wie es weiter geht, und dieser Versuch es vielleicht schaffen kann, dem Durchschnittszuschauer eine andere Perspektiver zu verschaffen.

  4. Gast sagt:

    Anscheinend sind wir im Westen emotional schon tot, sonst sehe ich keinen Bedarf daran solche Experimente zu führen. Das nennt man Unterhaltung für die verarmten Seelen und Herzen, die ihre antrainierte Gier nicht überwinden können.

  5. Saadiya sagt:

    @ Gülsün

    es gibt da einen fundamentalen Unterschied zwischen einem „Reisenden“ und einem „Flüchtenden“. Das „Format“ der Sendung entspricht eher dem, was GAST sagt, nämlich der Gier nach Showdown….Es hat nichts mehr damit zu tun, den Zuschauer umfassend und neutral über die Situation von Flüchtlingen zu informieren. Der Zuschauer solcher „Formate“ giert danach, zu erfahren, ob die C-Promis ihr Ziel erreichen oder wieweit sie durchhalten, welche unsinnigen Kommentare sie von sich geben. Ich zweifele daran, dass die selben Personen ebenso mit einem afrikanischen oder arabischem Flüchtling „bangen“ würden, der sich auf einer realen Flucht nach Deutschland befindet…….

  6. cosmopolit sagt:

    Das Medienmagazin ZAPP lässt ehemalige Flüchtlinge, Teilnehmer der Sendung und eine Medienwissenschaftlerin zu Wort kommen. Ein guter, kritischer Beitrag,
    http://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/zapp/film_fernsehen_radio/flucht141.html

  7. Baddi Morat sagt:

    Die durch GEZ zwangsfinanzierten minderbemittelten Sendungen zeigen doch eines, nämlich, es gibt wohl unter uns Bürgern viele Zuschauer mit RTL II Niveau die natürlich „bedient“ werden müssen.

    Ich bin mal gespannt wann ARD/ZDF eine Sendung über die NSU Vorfälle drehen werden oder mal eine Krimiserie über dubiose V-Männer.