Normalfall Vielfalt?
Entmischung des deutschen Bildungssystems
In Deutschland findet eine Entmischung im Bildungssystem statt. Kinder deutscher und nichtdeutscher Herkunft besuchen häufig getrennte Schulen. Der Sachverständigenrat für Integration und Migration empfiehlt „interkulturelle Öffnung“.
Von Katja Musafiri Montag, 05.08.2013, 8:27 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 07.08.2013, 22:59 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
Das neue Schuljahr steckt in den Startlöchern und mit ihm die bange Frage der Eltern, ob sie die bestmögliche Schule für ihr Kind gewählt haben. Gerade in den Großstädten mit hohem Migranten- Anteil machen sich viele Eltern Sorgen, ob ihr Kind denn genug lerne oder um Ausgrenzung fürchten müsse. Folglich werden Schulen mit hohem Zuwanderer-Anteil gemieden und besonders bildungsnahe Familien suchen nach Alternativen. Dafür gehen sie schon mal Wege, die sich am Rande der Legalität befinden. Meldeadressen werden gefälscht, die Kinder bei Freunden oder Verwandten angemeldet, nur um in einen Einzugsbereich mit vermeintlich besseren Schulen zu gelangen.
Eine Studie des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) zeigt, dass in deutschen Schulen ein hohes Ausmaß an Entmischung zu beobachten ist. Bereits in den Grundschulen lernen etwas über 40 Prozent der Schüler mit nichtdeutschen Wurzeln an einer sogenannten „segregierten“ Schule. Das sind Schulen, an denen der Anteil der Schüler mit Migrationshintergrund überdurchschnittlich hoch oder überdurchschnittlich niedrig ist. Von den Schülern mit deutschen Wurzeln sind gerade einmal 7,7% an solch einer Schule. Fast doppelt so viele besuchen sogar eine Grundschule, an welcher kein einziger Schüler einen Migrationshintergrund hat. Diese Trennung wirkt sich negativ auf die Lernerfolge der Kinder mit Migrationshintergrund aus. Wobei laut SVR die Höhe des Migranten-Anteils an einer Schule nicht das Entscheidende ist, vielmehr haben sozialer Hintergrund und durchschnittliches Leistungsniveau der Mitschüler Effekte auf die Bildungschancen.
Die Tochter von Aydan Yeyin besucht eine dieser von Bildungsbürgern gemeinhin gemiedenen Grundschulen in Berlin-Kreuzberg. Sie empfand die Schule als eine „herrlich normale Grundschule ohne Schnick und ohne Schnack“. Um das Bildungsniveau dort macht sie sich keine Sorgen. Die Schule hat eine tolle Bücherei, die Lehrerin ist super und jung, die Mischung der Schüler ausgewogen. Außerdem kannte die Tochter einige der Mitschüler bereits aus der Kindergartenzeit.
„Was soll ich mir denn noch wünschen?“, fragt die Linguistin. Mehr Gedanken macht sie sich über die sozialen Differenzen. Die eigene Familie hat „mit Religion nicht viel am Hut“, wie Aydan Yeyin sagt, aber an die Schule kämen auch viele Kinder aus sehr traditionellen, frommen Familien. Da hört man auch schon mal, dass eine gläubige Familie nicht möchte, dass ein deutsches Kind zum Spielen mit dem eigenen Nachwuchs zu Besuch nach Hause kommt. Aus ihrem eigenen Umfeld kennt sie so etwas nicht und fühlt sich als türkische Linke, manchmal „genervt oder zwischen den Fronten“. Sie selbst wuchs in Freiburg auf und fühlt sich deutsch sozialisiert: „Zu meiner Schulzeit gab es da keine weiteren Ausländer an der Schule.“ Das sieht sie kritisch, so konnte sie selbst erst spät ein Bewusstsein gegenüber der eigenen Kultur entwickeln. Denn obwohl sie eine moderne und aufgeschlossene Familie seien, sind sie doch geprägt von der türkischen Kultur. Für ihre Tochter wünscht sie sich, dass sie damit nicht allein auf weiter Flur steht. Sie soll anderen Kindern selbstbewusst entgegen setzen können: „Du, bei uns ist es eben einfach anders.“
Für Samira Halabi*, die im Wedding lebt, war klar, dass die Kinder dort nicht zur Schule gehen sollen. „Die Mischung stimmt einfach nicht“, sagt sie und meint damit, dass auch ihre Kinder mit arabischen Wurzeln, nicht anders als deutschstämmige Kinder, in der Minderheit sind, wenn die Schülerschaft hauptsächlich türkischer Herkunft sei. An den Schulen, die ihre Kinder besuchen, gäbe es auch viele „Ausländer“,wie sie sagt, „aber aus ganz unterschiedlichen Ländern“. Da sei die gemeinsame Sprache eben deutsch. Auf die Sprachkompetenz legt die Pharmazeutin viel Wert, ihre jüngste Tochter geht als einzige der Kinder doch zu einer Grundschule im Wedding, allerdings gibt es dort die „NaWi-Klasse“, mit Naturwissenschaften bereits ab Schulbeginn. Dafür müssen Kinder entsprechende Deutschkenntnisse nachweisen. Die Schule an der Grenze zum Bezirk Mitte konnte mit dieser „Deutsch-Garantie-Klasse“ wie sie in den Medien genannt wurde, auch wieder Neuanmeldungen aus Mitte verzeichnen und so ihren Migranten-Anteil senken. Das allerdings die schlechte Bildungssituation immer an „den Ausländern“ festgemacht würde, findet auch Samira Halabi nicht richtig. „Wir haben beispielsweise Verwandte im Libanon, da ist der Bildungsanspruch viel höher. Die investieren auch viel mehr für ihre Bildung. Hier ist das doch selbstverständlich.“
Sie selbst war als „Ausländerin“ noch eine Minderheit in ihrer deutschen Grundschulklasse, ist aber als einzige Schülerin zum Gymnasium zugelassen worden. Eine gute Schule macht für sie vor allem aus, dass Eltern sich engagieren, mit den Lehrern zusammenarbeiten und dass die Lehrerschaft konsequent gegen soziale Probleme, wie Mobbing, vorgeht.
Der SVR empfiehlt zur gezielten Verbesserung der Bildungssituation für alle Schüler die „interkulturelle Öffnung“ der Schulen. Die „an vielen (segregierten) Schulen immer noch vorherrschende Orientierung am ‚deutschen Durchschnittsschüler‘“ müsse aufgebrochen werden und eine „konsequente Umorientierung auf den Normalfall einer Schülerschaft mit unterschiedlichen sozialen, kulturellen und körperlich-geistigen Ausgangsvoraussetzungen“ erfolgen. Laut SVR haben vier Schulen in Deutschland solch ein Konzept erfolgreich umgesetzt.
Eine Dortmunder Grundschule mit einem Anteil von mehr als 80 Prozent an Kindern nichtdeutscher Herkunft, verzeichnet auch ebenso viele Kinder, die zum Zeitpunkt der Einschulung sprachliche Defizite in der Unterrichtssprache aufweisen. Und doch wechselt später fast die Hälfte der Schüler auf ein Gymnasium und kaum ein Schüler auf die Hauptschule. Zu verdanken ist dieser Umstand einem hohen Engagement der Lehrer, die Entwicklungsprofile erstellen, laufend aktualisieren und daraus individuelle Förderungen erarbeiten.
Schulbehörden und Kultusministerien sollten die Mehrkosten und den erhöhten Aufwand nicht scheuen – „angesichts der hohen gesellschaftlichen Bedeutung, die gleiche Bildungschancen für Menschen mit und ohne Migrationshintergrund haben.“
*Name geändert Aktuell Gesellschaft Meinung
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Die interkulturelle Öffnung der Schulen ist bestimmt eine gute Idee, löst aber das hier genannte Problem der Verteilung nicht. Das Problem liegt hier bei der Wohnstruktur und bei den Eltern:
Die Grundschulen in Vierteln mit hohem Migrantenanteil haben auch einen hohen Migrantenanteil, soweit so logisch. Schließlich ist es für die Schülerinnen und Schüler auch nicht verkehrt, kurze Schulwege zu haben.
Dies wird aber durch die Wahl der Eltern noch verstärkt: „Deutsche“ Eltern schicken ihre Kinder nicht auf die stigmatisierten Ausländerschulen, auch Eltern mit Migrationshintergrund mit höherem Bildungsgrad, wie hier im Artikel, wählen andere Schulen. Das ist ein Teufelskreis, der Schulen mit schon strukturellbedingt höherem Migrantenanteil überproportional trifft. Die interkulturelle Öffnung der Einrichtungen ist daher ggf. sinnvoll, aber Symptombekämpfung.