Bildung
Warum frühkindliche Förderung entscheidend ist
Je früher in die Bildung eines Kindes investiert wird, desto höher sind die Erträge. Trotz dieser Erkenntnis schneidet Deutschland im internationalen Vergleich schlecht ab - auch bei der Förderung von Kindern mit Migrationshintergrund. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Untersuchung.
Montag, 05.08.2013, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 08.01.2020, 15:45 Uhr Lesedauer: 6 Minuten |
Frühkindliche Förderung bedeutet für Deutschland nicht weniger als die Sicherung einer knappen Ressource. Gegenüber der in den 1950er und -60er Jahren geborenen Generation der Babyboomer hat sich die Zahl der Geburten auf heute jährlich 660.000 halbiert. Immer weniger Menschen rücken damit ins Erwerbsalter nach.
Umso schwerer wiegt es, wenn viele von ihnen keinen oder nur einen niedrigen Bildungsabschluss erreichen und mit geringen Erfolgschancen in den Arbeitsmarkt entlassen werden. Um möglichst viele mitzunehmen, ist frühkindliche Förderung zentral. Denn sie kann bereits lange vor der Einschulung entscheidend dazu beitragen, Defizite von Kindern zu erkennen und auszugleichen.
Das ist wichtig, weil viele der Kinder und Jugendlichen, die im deutschen Bildungssystem straucheln und scheitern, bereits bei ihrer Einschulung schlechtere Ausgangsbedingungen als ihre Altersgenossen haben. Ihr Rückstand wird während ihrer Schullaufbahn eher größer als kleiner. Häufig sind es mangelnde Sprachkenntnisse, die ihren schulischen Erfolg hemmen, aber auch Verhaltensauffälligkeiten und Verzögerungen in der kognitiven Entwicklung.
Mit dem Alter sinken die Erträge
Je früher in die Bildung eines Kindes investiert wird, desto höher sind die Erträge. Defizite, die in jungen Jahren entstehen, lassen sich später kaum noch ausgleichen. Besonders bei Kindern aus sozial schwächeren Schichten ist die Ertragsrate frühkindlicher Bildung hoch.
Jedoch erlangt die frühkindliche Förderung in Deutschland erst allmählich den Stellenwert, den sie in anderen Ländern wie Frankreich oder Schweden längst schon innehat. Um aufzuschließen, muss Deutschland den Elementarbereich noch deutlich ausbauen. Für die deutsche Politik ergeben sich dabei vier Handlungsfelder.
Handlungsfeld 1: Mehr staatliche Bildungsinvestitionen im Elementarbereich
Der Staat wälzt rund ein Drittel der Kosten für Krippen- oder Kindergartenplätze auf die Eltern ab. Insgesamt beteiligen sich Eltern mit geschätzten 2,7 Milliarden Euro pro Jahr an der Finanzierung von Kindertageseinrichtungen. Besonders teuer ist dabei die Betreuung der Kleinsten: Bei den unter Dreijährigen können gerade einmal zwei Prozent aller Eltern auf einen kostenlosen Betreuungsplatz zurückgreifen. Gebühren erweisen sich häufig als Hindernis, wenn es darum geht, Eltern und ihre Kinder möglichst frühzeitig zu erreichen. Etwa jede vierte Familie entscheidet sich aufgrund der Kosten gegen die frühe Förderung und Betreuung in einer Kita. Der hohe Eigenanteil für die unter Dreijährigen steht damit im Widerspruch zu dem hohen Nutzen, den frühkindliche Förderung in diesen jungen Jahren erbringt – besonders bei Kindern aus sozial schwächerem Umfeld. Die Wahrscheinlichkeit, es später auf ein Gymnasium zu schaffen, erhöht sich bei ihnen durch den Krippenbesuch um zwei Drittel.
In Deutschland sind die Eltern gefordert
Im internationalen Vergleich müssen Eltern in Deutschland einen großen Teil der Betreuungskosten tragen. Andere europäische Staaten beteiligen sich stärker an den Kosten. In Schweden oder den Niederlanden übernimmt der Staat sie sogar nahezu vollständig.
Handlungsfeld 2: Eltern bei der frühkindlichen Förderung mit einbeziehen
Die größte Wirkung entfalten frühkindliche Bildungsangebote, wenn Eltern als Bildungspartner mit ins Boot geholt werden. Das zeigt sich besonders beim frühkindlichen Spracherwerb, der maßgeblich vom familiären Umfeld abhängt. Wird den Eltern beispielsweise gezeigt, wie sie mit ihrem Kind ein Bilderbuch in sprachlich anregender Weise betrachten können, wird die Sprachfähigkeit bereits gefördert. In einigen Bundesländern wurden dazu in den vergangenen Jahren verschiedene Modellprogramme aufgelegt. „Familienzentren“ oder „Eltern-Kind-Zentren“ haben das Ziel, Kindertageseinrichtungen auch für Eltern zu öffnen und damit einen optimalen Rahmen für frühkindliche Förderung zu schaffen. Für den weiteren Ausbau könnte auch ein Blick in Länder hilfreich sein, die schon länger Erfahrungen in diesem Bereich haben. In Kanada etwa können Kinder seit 1981 vielerorts in Parenting and Family Literacy Centres spielerisch ihre Sprachfähigkeiten erweitern. Diese Zentren könnten zudem bei Eltern mit Migrationshintergrund helfen, die Hemmschwelle vor außerfamiliärer Betreuung abzubauen.
Handlungsfeld 3: Kinder mit Migrationshintergrund gewinnen und gezielt fördern
Die bestehenden Angebote an Kindertagesbetreuung und sonstiger zusätzlicher Förderung erreichen häufig gerade jene nicht, die am stärksten von ihnen profitieren könnten. Zu ihnen zählen vor allem Kinder, die sprachliche Defizite haben. Von dem Nachwuchs mit Migrationshintergrund gelten 30 Prozent im Alter von drei bis sieben Jahren als sprachförderbedürftig – bei Kindern ohne Migrationshintergrund liegt der Anteil bei 21 Prozent.
Download: Das neue Diskussionspapier des Berlin-Instituts im Auftrag der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) untersucht die Bedeutung von frühkindlicher Förderung angesichts des demografischen Wandels. Das vollständige Diskussionspapier mit dem Titel „Bildung von Klein auf sichert Zukunft – Warum frühkindliche Förderung entscheidend ist“ können Sie hier herunterladen.
Studien zufolge sind die ersten drei Lebensjahre entscheidend für die sprachliche Entwicklung. Daher sollte eine Förderung des Spracherwerbs möglichst früh ansetzen. Doch die Betreuungsquote liegt bei den unter Dreijährigen mit Migrationshintergrund bei nur 16 Prozent und damit deutlich unter dem Anteil von 33 Prozent ihrer deutschstämmigen Altersgenossen. Aber selbst wenn Kinder mit Migrationshintergrund schon früh eine Kita besuchen, ist nicht garantiert, dass sie dort die notwendigen sprachlichen Anregungen für einen schnellen Spracherwerb bekommen. Denn Kinder mit Migrationshintergrund besuchen oft Kindertageseinrichtungen, in denen Deutsch mehrheitlich nicht die Muttersprache der Kinder ist. Ihnen fehlt damit das für den Spracherwerb so wichtige “Sprachbad“. Den Erzieherinnen und Erziehern kommt in diesen Kitas eine besonders wichtige Rolle als Sprachvorbild zu. Die können sie nur erfüllen, wenn sie gut ausgebildet sind und kontinuierlich geschult werden. Allerdings gefährdet gerade der Ausbau der Betreuung für unter Dreijähriger dieses Ziel. Gesellschaft Leitartikel Studien
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