Weltbevölkerung

Wachsen und Schrumpfen

Das Weltbevölkerungswachstum hält an und wird wahrscheinlich stärker ausfallen als bisher vermutet. So lautet die jüngste UN-Prognose. Und es bleiben Zweifel, ob sie nicht bald erneut nach oben korrigiert werden muss.

Von Franziska Woellert Mittwoch, 24.07.2013, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Samstag, 03.08.2013, 14:25 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Alle zwei Jahre veröffentlichen die UN Neuberechnungen zur weltweiten Bevölkerungsentwicklung und passen sie damit aktuellen Trends in den drei wichtigsten Einflussfaktoren Fertilitätsraten, Sterberaten und Migration an. Die jüngsten Prognosen zeigen, dass die Kinderzahl pro Frau in vielen Entwicklungsländern langsamer sinkt als bislang angenommen. Weil gleichzeitig die Lebenserwartung weltweit steigt, wird der Zuwachs länger anhalten als bisher angenommen. Insgesamt hat sich die Menschheit mit aktuell 7,2 Milliarden seit 1950 beinahe verdreifacht. Solch ein rasantes Wachstum erleben wir heute nicht mehr, aber ihr Maximum hat die Weltbevölkerung noch lange nicht erreicht. Nach der mittleren Variante der UN-Vorausberechnung könnte die Welt 2025 schon gut acht Milliarden Einwohner zählen, 2050 etwa 9,6 Milliarden und 2100 sogar 10,8 Milliarden. Erst dann käme der Anstieg langsam zum Stillstand.

Die Hälfte des absoluten Wachstums findet in nur acht Ländern statt, nämlich in Nigeria, Indien, Tansania, der Demokratische Republik Kongo, Niger, Uganda, Äthiopien und den Vereinigten Staaten von Amerika. Andere Länder hingegen, darunter Deutschland, werden bis 2050 unterm Strich Einwohner verlieren – viele osteuropäische Länder wie Bulgarien, Georgien, Litauen, Rumänien, Serbien oder die Ukraine sogar bis zu 15 Prozent ihrer aktuellen Bevölkerung.

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Ein halbes Kind Unterschied

(Datengrundlage: UN Population Division, 2012 Revision). © Berlin Institut für Bevölkerung und Entwicklung

(Datengrundlage: UN Population Division, 2012 Revision). © Berlin Institut für Bevölkerung und Entwicklung

Die Bevölkerungsprognosen der Vereinten Nationen basieren auf Annahmen zu drei Faktoren: Fertilitätsrate, Sterberate und Migration. Dabei gehen sie davon aus, dass alle Länder einen ähnlichen Pfad der Bevölkerungsentwicklung durchlaufen. Grundlage hierfür ist das Modell des demografischen Übergangs, nach dem in allen Ländern zuerst die Sterbe- und dann die Geburtenrate sinkt, wenn auch je Land in anderer Geschwindigkeit. Diese Annahmen werden mit weiteren Erfahrungswerten in der mittleren Variante der Prognosen zusammengeführt. Allerdings gilt die mittlere Variante nicht als gesichert, denn einige Länder müssten große Anstrengungen unternehmen, um die erforderlichen Bedingungen zu erreichen. Daher berechnet die UN darüber hinaus zwei weitere Varianten. Diese sind an die mittlere Prognose gebunden und unterscheiden sich einzig in den Annahmen zur Fertilitätsrate: Die untere Variante rechnet mit einem halben Kind pro Frau weniger als die mittlere Version, die höhere Variante mit einem halben Kind mehr. (Datengrundlage: UN Population Division, 2012 Revision).

Insbesondere in den Industrienationen wachsen die Bevölkerungen zunehmend langsamer und dürften ab 2020 insgesamt sogar schrumpfen. Auch die Entwicklungsländer wachsen künftig nicht mehr so schnell wie in früheren Jahrzehnten, weisen aber noch immer hohe Zuwachsraten auf. So dürften die 49 am wenigsten entwickelten Länder selbst nach der mittleren Variante der Prognosen ihre gemeinsame Einwohnerzahl von heute 900 Millionen bis 2050 auf knapp 1,8 Milliarden verdoppeln. Die meisten von diesen Ländern liegen in Subsahara-Afrika, der Region mit dem stärksten Wachstum überhaupt. Hier wird sich die Bevölkerung in einigen Ländern Uganda, Mali oder Niger bis 2050 sogar verdreifachen.

Wo das Wachstum stattfindet

(Datengrundlage: UN Population Division, 2012 Revision). © Berlin Institut für Bevölkerung und Entwicklung

(Datengrundlage: UN Population Division, 2012 Revision). © Berlin Institut für Bevölkerung und Entwicklung

Die Bevölkerungsprognosen der Vereinten Nationen basieren auf Annahmen zu drei Faktoren: Fertilitätsrate, Sterberate und Migration. Dabei gehen sie davon aus, dass alle Länder einen ähnlichen Pfad der Bevölkerungsentwicklung durchlaufen. Grundlage hierfür ist das Modell des demografischen Übergangs, nach dem in allen Ländern zuerst die Sterbe- und dann die Geburtenrate sinkt, wenn auch je Land in anderer Geschwindigkeit. Diese Annahmen werden mit weiteren Erfahrungswerten in der mittleren Variante der Prognosen zusammengeführt. Allerdings gilt die mittlere Variante nicht als gesichert, denn einige Länder müssten große Anstrengungen unternehmen, um die erforderlichen Bedingungen zu erreichen. Daher berechnet die UN darüber hinaus zwei weitere Varianten. Diese sind an die mittlere Prognose gebunden und unterscheiden sich einzig in den Annahmen zur Fertilitätsrate: Die untere Variante rechnet mit einem halben Kind pro Frau weniger als die mittlere Version, die höhere Variante mit einem halben Kind mehr.

Voraussetzung für das Eintreffen der aktuellen Prognose ist, dass die Fertilitätsraten vor allem in Ländern mit hohen Kinderzahlen pro Frau massiv sinken. Ansonsten sind noch deutlich höhere Bevölkerungszahlen möglich. Das kann zu großen Problemen führen, wie das Beispiel Nigeria verdeutlicht. Der Fläche nach ist das Land zweieinhalbmal so groß wie die Bundesrepublik und zählt heute knapp 160 Millionen Einwohner – also bereits doppelt so viele wie in Deutschland. 2050 wird sich die Bevölkerung Nigerias den Prognosen zufolge noch einmal verdreifachen und 2100 wäre sie auf knapp eine Milliarde Menschen angewachsen. Aber nur, wenn die Kinderzahl pro Frau von heute knapp sechs bis 2050 auf 3,8 und bis 2100 auf 2,2 sinkt. Selbst in der optimistischen Variante ist es kaum vorstellbar, dass ein solches Wachstum ohne Konflikte vor sich geht.

Warum es anders kommen mag
Nach den aktuellen Entwicklungen könnte die mittlere Variante der Prognosen sogar noch zu niedrig greifen. Denn sie setzt voraus, dass die Fertilitätsrate im Afrika südlich der Sahara so schnell sinkt, wie in Asien und Lateinamerika in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Würde dies so geschehen, hätte 2050 in Subsahara-Afrika nur noch Niger eine Fertilitätsrate von über vier Kindern pro Frau. Heute liegen noch 40 Länder in der Region zum Großteil deutlich über dieser Grenze. Es ist fraglich, ob die sozioökonomische Entwicklung in den betroffenen Ländern so zügig voranschreitet, dass die Kinderzahlen entsprechend schnell sinken. Denn in einigen Regionen Afrikas ist der Rückgang ins Stocken geraten oder hat sich sogar umgekehrt. Nur mit deutlichen Verbesserungen im Gesundheits- und Bildungssektor werden die Länder südlich der Sahara dem Beispiel der asiatischen Staaten folgen können. Fortschritte in diesen beiden Bereichen wirken sich besonders stark auf die Geburtenzahlen aus.

Für den europäischen Kontinent dürfte dagegen der angenommene leichte Zuwachs bei den Geburtenzahlen mit Unsicherheiten behaftet sein. So wird für Deutschland bis 2050 ein Anstieg der Geburten pro Frau auf 1,7 erwartet. Seit fast vier Jahrzehnten liegen wir jedoch bei einem Wert von 1,4. Warum dieser gerade in den kommenden Jahren ansteigen sollte, bleibt unklar. Erst recht, weil bisher noch nirgendwo eine vergleichbare Entwicklung beobachtet werden konnte. Eher liegt die Vermutung nahe, dass sich kleine Familien oder sogar eine Kinderlosigkeit hierzulande als soziale Norm so stark verfestigt haben, dass eine Umkehr fast unmöglich ist. Gesellschaft Leitartikel

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  1. aloo masala sagt:

    Schaut man sich die erste Grafik an, dann ist zu erkennen, dass die Prognosen zur Bevölkerungsentwicklung über einen Zeitraum von mehr als 10 Jahren unbrauchbar werden. Die Aussage, das 2100 zwischen 7 und 16 Milliarden Menschen auf der Erde leben, enthält etwa soviel Informationsgehalt wie die Aussage, dass ein 10 jähriges Kind mit Körpergröße 1,50 in den nächsten 10 Jahren zwischen 1,50 und 2,50 m groß wird.

  2. Hans sagt:

    @aloo masala
    Es gibt ja deswegen eine mittlere Variante.
    Das heisst das 10 jährige Kind wird wahrscheinlich 1,80 m.