DIW-Studie

Kinder mit Migrationshintergrund gehen eher in eine Ganztagsschule

Insgesamt geht mehr als jedes vierte Grundschulkind in Deutschland ganztags zur Schule. Das gilt insbesondere für Kinder mit Migrationshintergrund und umso mehr für Kinder mit türkischen Wurzeln. Das zeigt eine aktuelle DIW-Studie.

Donnerstag, 04.07.2013, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 08.01.2020, 15:45 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Kinder aus einkommensschwachen Haushalten in Westdeutschland gehen immer häufiger in eine Ganztagsschule. Ihr Anteil an allen Ganztagsgrundschulkindern ist im Durchschnitt der Jahre 2004 bis 2011 von zuvor knapp 18 auf nun rund 27 Prozent gestiegen. Das geht aus einer aktuellen Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) hervor.

Im Hinblick auf den Migrationshintergrund zeigt sich, dass Kinder, bei denen mindestens ein Elternteil einen Migrationshintergrund hat, eher in Ganztagsschulen gehen. Dies zeigt sich auch für die Gruppe der Kinder, von denen mindestens ein Elternteil aus der Türkei stammt – sie machen unter den Ganztagsschülern einen Anteil von knapp 15 Prozent aus, bei den Halbtagsschülern sind es nur acht Prozent. „Es scheint sich auszuzahlen, dass einige Bundesländer beim Ausbau der Ganztagsschule den Schwerpunkt auf die Förderung benachteiligter Haushalte gelegt haben“, sagt DIW-Bildungsökonom Jan Marcus.

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Zwischen 2003 und 2009 stellte die Bundesregierung den Ländern im Rahmen eines Investitionsprogramms insgesamt vier Milliarden Euro für den Auf- und Ausbau der Ganztagsschule bereit. Infolgedessen hat sich die Zahl der Ganztagsschüler im Grundschulalter positiv entwickelt: Mittlerweile ist mehr als jedes vierte Kind ganztags in der Schule, 2004 waren es lediglich 6,8 Prozent.

Im Rahmen der Studie haben die DIW-Forscher Jan Marcus, Janina Nemitz und C. Katharina Spieß untersucht, welchen Familienhintergrund Ganztagsgrundschulkinder haben. Grundlage dafür waren Datensätze des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) und der Spezialstudie „Familien in Deutschland“ (FiD). Erstmals konnte anhand dieser Daten untersucht werden, wie sich Unterschiede bei der sozioökonomischen Nutzung von Ganztagsschulen über die Zeit entwickelt haben. Die Ökonomen konzentrierten sich dabei auf die Grundschule und damit ein Altersspektrum der Kinder, bei dem die Vereinbarkeit von Familie und Beruf besonders bedeutend ist.

Kinder Alleinerziehender und Erwerbstätiger sind eher Ganztagsschüler
Im Gegensatz zu den alten Bundesländern gehen in Ostdeutschland Kinder einkommensschwacher Haushalte auch nach dem Ausbau der Ganztagsschule eher in eine Halbtagsschule. Vor dem Ausbau (1995 bis 2003) kamen 24 Prozent aller Ganztagsschüler aus Haushalten, die weniger als 75 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung haben. Zwar ist dieser Anteil in der Ausbauperiode (2004 bis 2011) auf 28,7 Prozent gestiegen, doch der Anteil von Kindern aus einkommensschwachen Haushalten an den Halbtagsschülern hat noch stärker zugenommen.

„Wenn in Ostdeutschland ebenfalls eine größere soziale Mischung erreicht werden soll, müssen benachteiligte Familien noch gezielter gefördert werden“, erklärt DIW-Forscherin Janina Nemitz. „Geringere Kosten sowie ein bedarfsgerechtes und wohnortnahes Angebot sind wichtige Ansatzpunkte.“ Äußerst gut schneiden die neuen Bundesländer bei der Nutzung von Ganztagsschulen insgesamt ab: Während in Ostdeutschland inzwischen fast jedes zweite Grundschulkind eine Ganztagsschule besucht, ist es in Westdeutschland nicht einmal jedes fünfte.

In Ost- wie in Westdeutschland gehen Kinder eher in eine Ganztagsschule, wenn die Mutter Vollzeit arbeitet: Im Vergleich zu Kindern nicht erwerbstätiger Mütter steigt die entsprechende Wahrscheinlichkeit in den alten Bundesländern um 7,6 Prozentpunkte, in den neuen Bundesländern sogar um 16,3 Prozentpunkte. Ist eine Mutter alleinerziehend, steigen die Wahrscheinlichkeiten um 4,4 beziehungsweise 8,4 Prozentpunkte. Diese Ergebnisse sogenannter Regressionsanalysen sind statistisch hoch signifikant. Bei solchen Analysen wird der Einfluss eines Merkmals um den Einfluss anderer Merkmale bereinigt. So berücksichtigten die Forscher beispielsweise, dass erwerbstätige Mütter ein höheres Einkommen haben, eher die Kosten eines Ganztagsangebots tragen können und deshalb ihr Kind ganztags zur Schule schicken.

Download: Die Studie „Ganztagsschulbesuch in Deutschland“ kann im Internetangebot des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung e.V. (DIW Berlin) kostenlos heruntergeladen werden.

Investitionen weiter erhöhen
Kinder besuchen zudem umso eher eine Ganztagsschule, je jünger sie sind und je weniger Geschwister sie haben. Auch der Wohnort ist bedeutend: Kinder aus Großstädten werden in Deutschland deutlich häufiger ganztags in der Schule betreut als Kinder aus ländlichen Regionen. „Das kann einerseits an verschiedenen Einstellungen gegenüber Ganztagsschulen liegen“, erklärt Marcus. Andererseits könnten Eltern aber oftmals keine freien Plätze in einer wohnortnahen Ganztagsschule finden, obwohl sie ihr Kind gerne in eine solche schicken würden. „Von einer flächendeckenden Versorgung kann nach wie vor keine Rede sein“, so Marcus.

Ein weiterer Ausbau der Ganztagsschule sei daher und aufgrund der positiven Auswirkungen der bisherigen Investitionen zu empfehlen, so die DIW-Forscher. Dies erfordere ein noch stärkeres finanzielles Engagement insbesondere der Länder und des Bundes. „Das Geld wäre gut angelegt“, sagt DIW-Ökonom Marcus. „Denn Ganztagsangebote können der Vereinbarkeit von Familie und Beruf zugutekommen und, eine hohe Qualität vorausgesetzt, auch die Bildung der Kinder fördern.“ (sb) Gesellschaft Leitartikel Studien

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