EU-Vergleich
Ohne Doppelpass ins Abseits
Mit der Ablehnung der doppelten Staatsbürgerschaft steht die Union innenpolitisch zunehmend alleine da. Kommt es zu keiner Reform, könnte sich Deutschland auch international ins Abseits stellen, schreibt Jasper Dag Tjaden.
Von Jasper Dag Tjaden Mittwoch, 03.07.2013, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 08.07.2013, 22:16 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
Die SPD will sie. Die Grünen und die Linke wollen sie. Die FDP will sie neuerdings auch. Experten, Verbände und Stiftungen unterstützen sie schon länger. Nur CDU und CSU lehnen die doppelte Staatsbürgerschaft nach wie vor strikt ab. In der Debatte um den Doppelpass wirkt die Union innenpolitisch zunehmend isoliert.
Pünktlich zum Wahljahr meldet sich die Debatte über die doppelte Staatsbürgerschaft (oder Mehrstaatlichkeit) in Deutschland zurück. Vor allem die sogenannte Optionspflicht als Teil des Staatsbürgerschaftsrechts erhitzt die Gemüter. Worum geht es eigentlich?
Die sogenannte Optionspflicht sieht vor, dass in Deutschland geborene Kinder von Zuwanderern nach dem 18. und vor ihrem 23. Geburtstag entscheiden müssen, ob sie die Staatsangehörigkeit ihrer Eltern oder die deutsche behalten wollen. Versäumen sie dies, wird die deutsche Staatsbürgerschaft automatisch entzogen. In diesem Jahr haben bereits 68 Personen ihren deutschen Pass verloren – teilweise unbeabsichtigt. Nach offiziellen Angaben wird der Optionszwang 2018 jährlich etwa 40.000 junge Erwachsene betreffen.
Rechtwidrig, unpraktisch, integrationsfeindlich?
„Es gilt der Grundsatz der Vermeidung von Mehrstaatlichkeit. Dafür gibt es gute Gründe“, sagt Regierungssprecher Steffen Seibert. Doch welche Gründe sind das eigentlich? Unionsvertreter stützen sich hauptsächlich auf drei Argumente. Erstens: Die Mehrstaatlichkeit widerspreche internationaler Rechtsnorm. Zweitens: Mehrstaatlichkeit führe zu Problemen in der Rechtspraxis, zum Beispiel bei der Auslieferung von Strafverfolgten. Drittens: Mehrstaatlichkeit schade der Integration. Kritiker haben ernste Zweifel an allen drei Thesen.
Erste These: Die Mehrstaatlichkeit widerspricht internationalen Rechtsnormen
Die doppelte Staatsangehörigkeit ist völkerrechtlich unproblematisch. Das sagen zumindest Experten wie der Rechtsprofessor Kai Hailbronner, von der Universität Konstanz, und der Anwalt und Ausländerrechtsexperte Şükrü Uslucan. Rechtliche Probleme verursacht eher die Optionsregel, da sie in Einzelfällen zu Staatenlosigkeit führen könnte. Und zwar dann, wenn die Ausbürgerung in der Türkei fristgerecht beantragt, aber erst nach Ablauf der deutschen Frist genehmigt wird.
Zweite These: Mehrstaatlichkeit führt zu Problemen in der Rechtspraxis
Als gängiges Beispiel für praktische Probleme dient der Fall Jonny K – jenes Jungen, der im vergangenen Jahr auf dem Berliner Alexanderplatz von einer Gruppe Jugendlicher totgetreten wurde. Der Hauptverdächtige hatte sich in die Türkei abgesetzt. Es wurde diskutiert, ob die doppelte Staatsbürgerschaft des Tatverdächtigen eine Auslieferung nach Deutschland erschweren würde. Nachdem auch die türkischen Behörden eine Strafverfolgung gegen den Hauptangeklagten eröffneten, stellte sich dieser schließlich der Polizei in Deutschland. Jonny K. war ein Einzelfall. Das Staatsangehörigkeitsrecht kann sich nicht nur an Extremfällen orientieren und dabei Millionen gesetzestreue Bürger betrafen. Zweitens wird vergessen, dass die Strafverfolgung nicht einfacher gewesen wäre, hätte der mutmaßliche Täter nur die türkische Staatsbürgerschaft gehabt. Die große Mehrheit der Fälle wird schon jetzt in bi- und multilateralen Abkommen zwischen einzelnen Staaten geregelt. Auch deswegen darf nach Angaben des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge schon jetzt jeder zweite Eingebürgerte den Pass des Herkunftslandes ohne größere Probleme behalten. Dies gilt zum Beispiel für alle EU-Bürger, aber auch u.a. für Einwanderer aus Marokko und dem Iran, die es ihren Bürgern fast unmöglich machen, ihre Staatsangehörigkeit abzugeben.
Dritte These: Mehrfache Staatsangehörigkeit schadet der Integration
Laut Unionsvertretern verhindert der Doppelpass ein klares Bekenntnis der Einwanderer zur Bundesrepublik. Dieses Argument verblüfft nicht nur, weil der ehemalige niedersächsische Ministerpräsident David McAllister (CDU) ebenfalls zwei Pässe besitzt. Die Akzeptanz der Mehrstaatlichkeit könnte die Integration in einigen Fällen sogar fördern, sagen Befürworter. Vor allem Türken lassen sich häufig nicht einbürgern, weil sie ihren türkischen Pass nicht aufgeben wollen. Dabei bestätigt die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) einen positiven Einfluss der Einbürgerung auf Integration, insbesondere auf dem Arbeitsmarkt. Max Steinhardt vom Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitut fand zum Beispiel heraus, dass die Einbürgerung sich positiv auf die Löhne auswirkt – unabhängig von der Qualifikation und sozialem Hintergrund der Eingebürgerten. 1
Immer mehr Staaten erlauben doppelte Staatsbürgerschaft
Auf nationaler Ebene gehen den deutschen Doppelpasskritikern die Argumente aus. Wie wird die Frage im Ausland beantwortet?
Die ursprünglich feindliche Einstellung zur Mehrstaatlichkeit hat sich in den letzten zwanzig Jahren weltweit ins Gegenteil verkehrt. Das zeigt die Politikwissenschaftlerin Tanja Brøndsted Sejersen in einer Studie aus dem Jahr 2008. Danach hätten die meisten Staaten ihre Gesetze in den letzten zehn bis zwanzig Jahren geändert. Inzwischen erlaube rund die Hälfte aller Länder die doppelte Staatsbürgerschaft – 1980 waren es gerade einmal 20 Prozent. Asiatische und Afrikanische Staaten seien dabei zögerlicher als amerikanische und europäische (siehe Grafik).
Wachsender Trend: Akzeptanz der Mehrstaatlichkeit nimmt weltweit zu; in Prozent aller Staaten 2
Vor allem mit Blick auf EU-Staaten lässt sich einen klarer Liberalisierungstrend zur Mehrstaatlichkeit beobachten. Marc Howard, Politikwissenschaftler an der Georgetown University in Washington, stellte schon 2005 fest, dass der Trend seit 1980 mehrheitlich auf eine Öffnung des Staatsangehörigkeitsrechts in der EU hindeutet. Der Politikwissenschaftler Maarten Vink und sein Kollege Rene de Groot von der Universität Maastricht bestätigen, dass sich in den letzten Jahrzehnten am Staatsbürgerschaftsrecht in der EU nichts so sehr verändert hat wie die Akzeptanz der Mehrstaatlichkeit.
- Does citizenship matter? The economic impact of naturalizations in Germany
- Brøndsted Sejersen, T. (2008): “I Vow to Thee My Countries” – The Expansion of Dual Citizenship in the 21st Century. International Migration Review, Volume 42, Issue 3, pages 523–549, September 2008
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„Erste These: Die Mehrstaatlichkeit widerspricht internationalen Rechtsnormen“ ???
Ach so. Und deshalb ist die doppelte Staatsbürgerschaft auch in Deutschland kein Problem bei EU-Bürgern oder wenn ein Elternteil „deutsch“ ist …
Nur bei Nicht-EU-Bürgern widerspricht sie in den allermeisten Fällen (Ausnahmen: siehe Text) internationalen Rechtsnormen?
Wie verlogen ist das denn!
„dass allein die baltischen Staaten, Kroatien und Rumänien restriktivere Anforderungen an den Verzicht auf den alten Pass bei der Einbürgerung haben als Deutschland. “
–> müsste es nicht Bulgarien anstatt Rumänien heißen? Das sagt jedenfalls die Grafik aus, Rumänien blau und Bulgarien rot…