Plädoyer für Türkischunterricht

Die Sprache ist der Schlüssel zur Teilhabe

Baden-Württemberg wagt sich in der Integrationspolitik einen Schritt nach vorne: Türkisch soll Schulfach werden. Doch die sogenannte Mehrheitsgesellschaft fürchtet sich. Weshalb das so ist, beschreibt Marcel Hopp in einem Gastkommentar für das MiGAZIN.

Von Marcel Hopp Mittwoch, 03.07.2013, 8:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Samstag, 06.07.2013, 20:25 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Die Skepsis und Abneigung ist in weiten Teilen der Bevölkerung enorm. Auf den Internetseiten sämtlicher Zeitungen, die über den Vorstoß aus Stuttgart berichteten, lassen sich zahlreiche Kommentare finden, die gegen die Einführung von Türkisch in Schulen wettern. Kommentare wie die eines Lesers der Stuttgarter Zeitung sind keine Seltenheit: „Wozu brauchen Türken diese Sprache als dritte Fremdsprache? Eigentlich wäre es ja sinnvoll, dass türkische Landsleute erst einmal richtig Deutsch lernen, denn immerhin leben sie ja in Deutschland.“

Wieder einmal geht die Angst vor dem Untergang des Abendlandes von Stammtisch zu Stammtisch. Und genau an diesen sitzen die eigentlichen „Integrationsverweigerer“, denn das ewige Mantra „Bringt euren Kindern Deutsch bei“ führt in vielen türkischstämmigen Familien eben nicht zu besseren Deutschkenntnissen. Von Eltern zu verlangen, sie sollten die von ihnen erlernte deutsche Fremdsprache ihren Kindern als Muttersprache vermitteln, wäre ebenso unsinnig wie aus integrativer Sicht kontraproduktiv. Die Zahl derjenigen Kinder und Jugendlichen, die sowohl in ihrer Muttersprache (Türkisch) als auch in der Fremdsprache (Deutsch) gravierende Mängel aufweisen, würde dadurch noch weiter steigen.

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Zweitsprache: Ja oder Nein?
Für die Zweitspracherwerbsforschung ist die Erkenntnis keine neue, dass diejenigen die ihre Muttersprache kompetent erlernt haben, sich eine Fremdsprache nicht nur sehr viel schneller, sondern eben auch um einiges erfolgreicher aneignen können. Der Grund dafür ist einfach: je besser die Muttersprache gelernt wurde, desto gefestigter ist die kognitive Basis, auf der die Zweitsprache aufbauen kann. Andersrum bedeutet das eben auch, dass Defizite in der Muttersprache durch mangelnde Sprachvermittlung zu gravierenden Problemen beim Erlernen der Fremdsprache nach sich ziehen können. Von türkischstämmigen Eltern, die die deutsche Sprache selbst als Fremdsprache erlernt haben, zu verlangen, sie sollten ihren Kindern „erst einmal richtig Deutsch“ beibringen, würde das Kommunikationsproblem daher nur verschärfen. Folgt man dieser Erkenntnis, so muss diesen Kindern erst richtig Türkisch beigebracht werden – und zwar sowohl der mündliche Gebrauch als auch die Grammatik und Lexik. Und genau an diesem Punkt kann und sollte die Schule die türkeistämmigen Eltern unterstützen.

Aus diesem Grund ist der Vorstoß der SPD ein Schritt in die richtige Richtung, allerdings reicht er bei Weitem nicht aus. Ja, er könnte den Kritikern letztlich sogar in die Hände spielen. Denn wollte man die Sprachkenntnisse türkeistämmiger Schüler entscheidend verbessern, so wäre die Einführung des Türkischunterrichts ab der 8. Klassenstufe viel zu spät. Richtig und wichtig wäre die Einführung des türkischen Fremdsprachenunterrichts so früh wie möglich – also mindestens ab der Grundschule. Je später die Vermittlung der Muttersprache stattfindet, desto weniger wirksam ist sie. Ebenso inkonsequent ist die Beschränkung des Türkischunterrichts auf das Gymnasium. Die Mehrheit der türkeistämmigen Schüler würde nicht von der Einführung profitieren, daher wäre einzig allein die Ausweitung des Türkischunterrichts auf alle Schulformen sinnvoll.

Kein Untergang des Abendlandes
Wenn die sogenannte Mehrheitsgesellschaft tatsächlich ein Interesse daran hat, dass türkeistämmige Kinder die deutsche Sprache kompetent beherrschen, so muss sie lernen, die Lebenswelten dieser Kinder anzuerkennen. Türkisch im Unterricht führt nicht zum Untergang des Abendlandes, sondern zu mehr Teilhabe und einer besseren Verständigung untereinander. Neben den rationalen und wissenschaftlich fundierten Gründen, wäre die Einführung des Türkischunterrichts also auch eine längst überfällige Geste der Anerkennung der türkischstämmigen Community in unserer „Einwanderungsgesellschaft“.

Der Türkischunterricht wäre außerdem nicht nur für türkeistämmige Kinder, sondern eben für alle offen. Auch ethnisch deutsche Kinder können und sollen Türkisch erlernen können – sie würden die „Völkerverständigung“ entscheidend voranbringen. Integration bedeutet nicht, dass sich ausschließlich die Minderheiten an die Mehrheitsgesellschaft „anzupassen“ haben, sondern, dass wir alle lernen aufeinander zuzugehen. Das ist keine Sozialromantik, sondern schlichtweg unumgänglich, wenn wir miteinander wachsen wollen. Aktuell Meinung

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  1. Süperhorst sagt:

    @Soli.

    Gegenstand der Diskussion ist ein Unterrichtsfach Türkisch an Schulen. Ein Unterrichtsfach Türkisch stellt genauso wenig die Amtssprache Deutsch in Frage, wie die Fächer Französisch, Englisch oder Italienisch.

    Die schiere Idee Türkisch NICHT anzubieten und dadurch indirekt zu fördern dass die Kinder eher Deutsch lernen ist provinziell und eben arrogant. Im Gegenteil, es schadet der Fähigkeit des Spracherwerbs insgesamt, wie der Artikel und wissenshcaftliche Studien nachweisen.

    Wann kann die deutsche Mehrheitsgesellschaft endlich mal die türkische Kultur als Bereicherung sehen? Und nicht immer nur als Angriff auf die eigene Identität?

  2. epze sagt:

    @Rudolf Stein + @Mathis

    … ja, Sie haben das Problem der Zeit erkannt und können Visionen anbieten wie alles gerechter, anti-rassistischer und zwangsfreier für Kinder wird!
    Aber warum auf halbem Weg stehenbleiben?? Entwickeln wir Visionen!!!
    Besser, die Schule gleich abschaffen oder als völlig freies Angebot zu entwickeln? Zusammen mit dem BGE und Grenzen auf für alle haben wir wahrhaftig eine großartige Zukunft für die ganze Welt in Deutschland anzubieten! Und nur damit können wir auch unsere (auch Ihre und meine!) Schuld für 1933-45 etwas abtragen ,,,

  3. Lionel sagt:

    @ Süperhorst

    Eine Bewertung als Bereicherung setzt eine wechselseitige positive Grundeinstellung voraus. Daran mangelt es – hüben wie drüben.

  4. Marie sagt:

    Liebe Marie,
    Hut ab vor ihren Fremdsprachenkenntnissen. Dennoch sollten Sie, wenn ich mir die bescheidene Bemerkung erlauben darf, noch etwas an ihrem deutschen Textverständnis arbeiten.

    Eine angenehme Nachtruhe
    wünscht posteo

    Wie arrogant ist das denn? Mein ausgezeichnetes Textverständnis ist die Basis meiner Tätigkeit, sowohl in deutsch, als auch in englisch (französisch eher weniger) und wie steht es mit Ihrem? Ihrem Textverständnis meine ich. Ich finde Übrigens nicht, dass ihr obiger Text themenrelevant ist oder Sachargumente enthält (meine Replik zugegebenermaßen auch nicht, aber meine Höflichkeit gebietet, Ihnen auch auf themenfremde Texte wenigstens zu antworten, Herr Posteo.

  5. deutscher staatsbürger sagt:

    Für eine wechselseitige positive Grundeinstellung müssen sie an sich arbeiten Lionel. Sie meinen hüben sind sie und drüben die Türken. Mit einer positiveren Grundeinstellung, hier im hüben, würden sie sofort wahrnehmen, dass die Türken schon viel weiter sind, dort im drüben, mit einer positiveren Grundeinstellung. Ihre Sicht ist ganz schön eingeschränkt. Und von der Entfernung sehen sie schlecht. Gehen sie für eine bessere Sicht ruhig auf die Türken zu. Aber sie müssen die Glasmauer vor ihnen, welches durch ihre Vorurteile betrübt ist und ihre Sicht ganz schön beeinträchtigt, durchbrechen.

  6. Marie sagt:

    @Deutscher Staatsbürger

    Auch wenn das hier eher nicht üblich ist, ich versuch es trotzdem und hoffe, es wird nicht gelöscht:

    Ich freue mich sehr, Sie hier mal wieder zu lesen.

  7. Lionel sagt:

    Ich habe Ihren Rat befolgt – allerdings schon vor vielen Jahren, als ich einen Grundkurs Türkisch an der VHS belegte. Bei einer türkisch geprägten Firma war ich auch tätig, ich denke, ich habe in dieser Hinsicht nur geringe Berührungsängste.
    Glücklicherweise gibt es allgemein viele Berührungsspunkte und Schnittmengen, eine scharfe Abgrenzung ist nicht existent.
    Allerdings ist es schade, dass nur von einer Seite etwas verlangt wird und eigene mögliche Defizite nicht benannt werden.

  8. Marie sagt:

    „Allerdings ist es schade, dass nur von einer Seite etwas verlangt wird und eigene mögliche Defizite nicht benannt werden.“

    Da haben Sie völlig recht, ich finde es auch schade, dass nur von den Migranten „Integration“ bis hin zur Aufgabe Ihrer kulturellen und religiösen Identität verlangt wird, während es mit der Gleichberechtigung mehr als schlecht bestellt ist und Muslime von der Mehrheitsgesellschaft zur schlimmsten Bedrohung der Deutschen stilisiert werden, die angeblich deren Existenz bedrohen (Deutschland stirbt aus). Ich finde das auch ganz schrecklich, dass man von den Muslimen verlangt, ihre Kopftücher abzulegen und das Tragen eines Kopftuchs zur tödlichen Gefahr in diesem Lande werden kann. Ich finde das auch sehr schade, dass man Migranten aus dem muslimischen Kulturkreis in mehrheitlich deutschen Wohngebieten bei der Wohnungssuche diskriminiert, und sich dann scheinheilig über „Parallelgesellschaften“ beklagt und ich finde das auch ganz schade, dass man Menschen aus demselben Kulturkreis in Deutschland bei der Arbeitssuche diskriminiert und sich dann scheinheilig darüber beklagt, Türken und Araber hätten keine produktive Funktion, außer eventuell im Obst- und Gemüsehandel. Doch, das finde ich auch alles sehr einseitig und sehr schade. Man könnte auch bösartig sagen.

  9. süperhorst sagt:

    @ Lionel

    Eine „Bewertung als Bereicherung“ sollte eigentlich nichts vorraussetzen!
    Wer bitte schön kann sich darüber erheben eine Sprachkultur zu „bewerten“ ?