Racial Profiling
Menschenrechtsinstitut fordert Abschaffung rassistischer Personenkontrollen durch Polizei
Das Deutsche Institut für Menschenrechte fordert in einer am Mittwoch vorgelegten Studie die Abschaffung rassistischer Personenkontrollen durch die Bundespolizei. Der Staat müsse sicherstellen, dass die Polizei Personenkontrollen nicht aufgrund von Merkmalen wie Hautfarbe überprüft.
Freitag, 28.06.2013, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 01.07.2013, 23:23 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Am 3. Dezember 2010 steigt ein deutscher Student in einen Regionalzug von Kassel nach Frankfurt/Main. Er studiert in Kassel und möchte über das Wochenende seine Eltern besuchen. Nach dem zweiten Zwischenstopp des Zuges verlässt er das Abteil, um sich einen Tee zu holen. Auf dem Weg zurück zu seinem Platz wird er von zwei Beamten der Bundespolizei wahrgenommen, angesprochen und aufgefordert, sich auszuweisen.
Er weigert sich, sich auszuweisen. Die Polizisten durchsuchen daraufhin seinen Rucksack, ohne darin Ausweispapiere finden zu können. Schließlich wird er zur Dienstelle der Bundespolizei nach Kassel verbracht, wo seine Personalien festgestellt werden. Wie kann es zu einer solchen polizeilichen Maßnahme kommen?
Aufgrund der Hautfarbe ins Raster gefallen
Einer der beiden Beamten sagt dazu später vor Gericht aus, dass sie im Rahmen von Personenkontrollen zur Verhinderung unrechtmäßiger Einreise Leute ansprechen, die einem „als Ausländer erschienen“. Dies richte sich „nach der Hautfarbe, aber auch danach, ob der Reisende Gepäck bei sich habe oder irgendwo alleine im Zug stehe“. Der Betroffene sei „aufgrund seiner Hautfarbe ins Raster gefallen“.
Info: § 22 Abs. 1 a Bundespolizeigesetz (BPolG) lautet: „Zur Verhinderung oder Unterbindung unerlaubter Einreise in das Bundesgebiet kann die Bundespolizei in Zügen und auf dem Gebiet der Bahnanlagen der Eisenbahnen des Bundes (§ 3), soweit auf Grund von Lageerkenntnissen oder grenzpolizeilicher Erfahrung anzunehmen ist, daß diese zur unerlaubten Einreise genutzt werden, sowie in einer dem Luftverkehr dienenden Anlage oder Einrichtung eines Verkehrsflughafens (§ 4) mit grenzüberschreitendem Verkehr jede Person kurzzeitig anhalten, befragen und verlangen, daß mitgeführte Ausweispapiere oder Grenzübertrittspapiere zur Prüfung ausgehändigt werden, sowie mitgeführte Sachen in Augenschein nehmen.“
Grundlage für eine solche Vorgehensweise sind Gesetzesbestimmungen, welche die Polizei in weitreichender Weise ermächtigen, an bestimmten Orten – wie etwa in Zügen oder Bahnhöfen – Personenkontrollen durchzuführen. Dabei muss sich eine Person weder durch ihr Verhalten verdächtig machen, noch müssen irgendwelche konkreten Anzeichen oder Tatsachen vorliegen, die einen konkreten Verdacht gegen eine Person begründen.
Das Hin und Her der Gerichte
Aufgrund der geltenden Gesetze erachtete das Verwaltungsgericht Koblenz die Kontrolle durch Bundesbeamte für zulässig. 1 Erst in zweiter Instanz hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) Rheinland-Pfalz eine verbotene Diskriminierung nach Artikel 3 Abs. 3 GG erkannt. 2 Das Verfahren wurde, nachdem sich Vertreter der Bundespolizei für die Kontrolle im Zug entschuldigt haben, durch übereinstimmende Erledigungserklärungen beendet.
So wurde die erstinstanzliche Entscheidung zwar wirkungslos, das Verwaltungsgericht hat aber in einer weiteren Entscheidung 3 an seiner ursprünglichen Haltung dennoch festgehalten. Das Gericht hat die Praxis der Bundespolizei wiederholt nicht nur legitimiert und verteidigt; es hält Racial Profiling ausdrücklich für geboten. Dabei hat das Verwaltungsgericht weder Grundrechte noch menschenrechtliche Diskriminierungsverbote – abermals – mit keinem Wort erwähnt.
Menschenrechtsinstitut fordert Abschaffung
Deshalb fordert das Deutsche Institut für Menschenrechte die Abschaffung rassistischer Personenkontrollen durch die Bundespolizei. In einer am Mittwoch veröffentlichten Studie zeigt das Institut, dass einschlägige Vorschriften des Bundespolizeigesetzes gegen das Diskriminierungsverbot des Grundgesetzes und gegen internationale Menschenrechtsverträge verstoßen.
Download: Die Studie „Racial Profiling – Menschenrechtswidrige Personenkontrollen nach § 22 Abs. 1 a Bundespolizeigesetz. Empfehlungen an den Gesetzgeber, Gerichte und Polizei“ kann kostenlos heruntergeladen werden.
„Der Staat muss sicherstellen, dass die Polizei bei anlasslosen Personenkontrollen Menschen nicht aufgrund unveränderlicher Merkmale wie Hautfarbe oder Gesichtszügen überprüft“, so Beate Rudolf, Direktorin des Instituts. Solche pauschalen Verdächtigungen grenzten Menschen aus und verletzten ihren Anspruch auf Achtung als Gleiche. Rudolph weiter: „Damit wird ihre Menschenwürde beeinträchtigt, deren Schutz Kernanliegen des freiheitlichen und auf Menschenrechten basierenden Rechtsstaates ist.“
Hendrik Cremer, Autor der Studie, forderte die Streichung des entsprechenden Paragrafen. „Es geht hier nicht um Einzelfälle von Diskriminierungen durch die Bundespolizei. Der Grund für diese Praxis ist auch nicht allein im Verantwortungsbereich und Handeln der Polizei zu suchen. Es sind die gesetzlichen Ermächtigungsgrundlagen der Polizei, die auf diskriminierendes Handeln angelegt sind. Paragraf 22 Absatz 1a) muss daher gestrichen werden.“ Auch weitere Gesetze auf Bundes- und Landesebene müssten überprüft werden.
Bundesregierung uneinsichtig
Ob sich die Bundesregierung auf diese Forderung einlassen wird, bleibt abzuwarten. Noch im Juni 2012 hatte sie in einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der Grünen-Fraktion im Bundestag die Kontrollpraxis der Polizei verteidigt. Die Bundespolizei könne bei der Kontrolle „polizeiliche Erfahrungswerte und aktuelle Lageerkenntnisse“ heranziehen.
Die Bundesregierung widersprach in dem Papier auch der Einschätzung der Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Christine Lüders. Sie hatte erklärt, solche Polizeikontrollen hätten „schwere Folgen für das Zusammenleben in Deutschland“. Wenn die Polizei Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe kontrolliere, habe das schwere Folgen für das „Bemühen um Verhinderung von Diskriminierung“. (hs)
- Verwaltungsgericht (VG) Koblenz, Urteil vom 28.02.2012, Az. 5 K 1026/11.KO, S. 2 f.
- Oberverwaltungsgericht (OVG) Rheinland-Pfalz, 29.10.2012, 7 A 10532/12.OVG.
- VG Koblenz, Beschluss vom 08.01.2013, Az. 5 K 832/12. KO.
Wir informieren täglich über das Wichtigste zu Migration, Integration und Rassismus. Dafür wurde MiGAZIN mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet. Unterstüzte diese Arbeit und verpasse nichts mehr: Werde jetzt Mitglied.
MiGGLIED WERDEN- Rheinland-Pfalz-Studie Jeder zweite Polizist lehnt muslimfeindliche…
- Der Fall Prof. Dr. Kenan Engin Diskriminierung an deutschen Hochschulen kein Einzelfall
- Drama im Mittelmeer Seenotretter bergen hunderte Geflüchtete
- Neue Integrationskursverordnung Bundesregierung will Integrationskurse verschlanken
- Prof. Heckmann im Gespräch Migrationspolitik, die von Sicherheitsthemen…
- „Menschenwürde verteidigen“ Zivilgesellschaftliche Kampagne fordert AfD-Verbot
eine derartige Polizeipraxis ist immer wieder z.B. im Zug von Innsbruck nach München bei der Grenzquerung zu beobachten: Dort wird recht barsch und martialisch kontrolliert – jedoch in der Regel nur „fremd aussehende“ Menschen. Glücklicherweise mischen sich immer Fahrgäste ein, die dann allerdings auch recht rüde behandelt werden. Dort wird polizeiliche Macht gern demonstriert – stößt aber zum Glück auf Widerstand.
Dieses Verhalten der Polizei ist grundgesetzwidrig und muss geahndet werden.
Hier wird eindeutig die Würde des Menschen verletzt.
Josef Özcan (Diplom Psychologe)
Pingback: Abschaffung rassistischer Personenkontrollen im Koalitionsvertrag verankern! - Deutsches Institut für Menschenrechte, Polizei, Racial Profiling, Rassismus - MiGAZIN
Pingback: Richtungsweisendes Racial-Profiling-Urteil: Polizeikontrolle von deutsch-afrikanischem Paar war unzulässig - MiGAZIN