Kino
La Pirogue – ein Film von Moussa Touré
Siebzehn Uhr. Kino in den Hackeschen Höfen von Berlin. Moussa Touré erhebt sich. Er hat die Sonntagsreden abgesessen, nun ist es an ihm, etwas zu seinem Film zu sagen. Er hat Schneid, das sieht man sofort, und Ausdauer hat er auch.
Von Jamal Tuschick Mittwoch, 05.06.2013, 8:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 08.08.2016, 10:47 Uhr Lesedauer: 2 Minuten |
Fünf Jahre gingen in den Senegal, bis „La Pirogue“ in Berlin ins Kino kommen konnte. Touré erinnert daran, dass in den letzten Jahren fünftausend Westafrikaner beim Versuch, der Armut über den Atlantik zu entkommen, den Tod fanden. Im Kern ist das die Geschichte, die „La Pirogue“ erzählt.
Junge Leute aus dem Senegal und aus Guinea vertrauen ihr Leben den nautischen Fähigkeiten eines „Kapitäns“ und dem technischen Standard einer Piroge an – und geraten bald in Seenot. Doch bis dahin sieht man Dakar im Spiegel des Alltags einer Familie. Der Mann betreut Ringer, die zum Verlieren tendieren, er selbst erscheint zwischen muskulös und melancholisch und auch sonst hin- und hergerissen. Die Mutter aller afrikanischen Fragen lautet dem Vernehmen nach: Should I stay or should I go? – Devrais-je rester ou bien devrais-je partir? Wie gesagt, seine Ringer bringen es nicht, der jüngere Bruder raucht Gras zu musischen Flausen, zu ernähren sind ferner Frau und Kind.
Unser Held geht schließlich zu dem Mann, der in Dakar die Fäden der Flucht zieht. Man hat nur auf ihn gewartet, so groß ist das Vertrauen in eine Verbindung von Nachdenklichkeit und Kraft. Ein denkendes Kraftwerk: das ist Leye Beye, um seinem Gesicht auch einen Namen zu geben. Sein Vater war Fischer und das Meer seine Heimat wie in der alte Mann und das Meer und so wie bei B. Traven. Eine blinde Passagierin schmuggelt sich an Bord, ein Huhn ist mit von der Partie, einem Verrückter ergeht es wie Troubadix. Stämme treffen aufeinander und essen getrennt. Die Frau unter Männer hat Aussicht auf Arbeit in Paris, der Verrückte hat das Huhn als Haustier, jemand fehlt eine Prothese für kein Bein. Unser Held hält Tag und Nacht Kurs, sein kleiner Bruder Abou wird immer mehr verlässlicher Gefährte, der Roman dieses Films kennt keine Überraschungen und packt trotzdem.
Die Reisenden nach Europa passieren ein treibendes Boot, auf dem gestorben wird. Sie fahren an ihrem Schicksal vorbei. Sie überlassen die Verdurstenden dem Durst und sich der Depression. Ein großer Fisch bringt als Fang Freude, Spanisch lernen bringt übrigens Unglück. Ein Motor fällt aus, ein Sturm fällt ein. Das Boot läuft voll, Europa winkt mit dem Roten Kreuz. Am Ende ist alles vergeblich, da hilft kein Voodoo. Man sieht in leere Gesichter der Überlebenden und man sieht Dakar bei Nacht. Aktuell Feuilleton
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