Arm durch Arbeit

Euromayday 2013 in Dortmund: Prekär Beschäftigte gedenken der NSU-Opfer

Am 1. Mai war es wieder soweit: Gewerkschafts-Veteranen mit 40jähriger Mitgliedschaft und bronzener Ehrennadel trafen sich in den Städten, um rote Fahnen zu schwenken und wichtige Parteikader der SPD reden zu hören. In Essen war Sigmar Gabriel angetreten.

Von Georg Niedermüller Freitag, 10.05.2013, 8:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 14.05.2013, 9:07 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

In Duisburg wurde Hannelore Kraft von den Gewerkschaften ausgebuht, weil sich die Landesregierung weigert, Zitat WAZ – „den Tarifabschluss des öffentlichen Dienstes mit einem Gehaltsplus von 5,6 Prozent für 2013 und 2014 nicht auf die höheren Besoldungsgruppen der Landesbeamten zu übertragen“. Für besserverdienende Beamte gibt es also eine Nullrunde. Zitat: „Die Spitzenverdiener des öffentlichen Dienstes – Studienräte, Richter oder auch Minister gehen leer aus.“

Aus Sicht der GEW-Landesvorsitzenden Dorothea Schäfer ist es „zutiefst empörend, wie die Landesregierung die verbeamteten Lehrkräfte zur Sanierung des Landeshaushaltes heranzieht.“ Die Kürzungsabsicht sei ein kompletter Affront gegen das Engagement der Pädagogen für mehr Qualität und bessere Ergebnisse in den Schulen und Bildungseinrichtungen. Die Attraktivität des öffentlichen Dienstes insgesamt stehe bei diesen Einschnitten in der Beamtenbesoldung zur Disposition. Schäfer: „Dann brauchen wir uns künftig nicht mehr fragen, weshalb die jungen Leute nicht mehr Lehrer werden wollen.“

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Prekär beschäftigte Lehrkräfte in der Bildungsbranche würden wahrscheinlich sofort mit einem Beamten tauschen. Von einer Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, von bezahltem Urlaub, Kündigungsschutz bzw. Unkündbarkeit können sie nur träumen. Die GEW fordert für prekär beschäftigte Lehrkräfte in Integrationskursen ein Mindesthonorar von 30 € pro Stunde. Das entspricht bei 100 Unterrichtseinheiten ca. 750 € netto pro Monat, wie die KollegInnen in Bielefeld ausgerechnet haben. Diese gewerkschaftliche Forderung ist einfach nicht ernst zu nehmen. Man fühlt sich von der GEW verschaukelt.

Auch in Dortmund wollte man sich am 1. Mai treffen, allerdings nicht die etablierten Gewerkschaften, sondern die prekär Beschäftigten. Zum dritten Mal fand im Ruhrgebiet der „Euromayday“ statt, eine Veranstaltung für „all diejenigen, die sich in unsicheren Lebens- und Arbeitsbedingungen befinden, die oft Unsichtbaren unserer Gesellschaft“, wie es auf Ruhrbarone.de heißt. Da man am 1. Mai gegen die Veranstaltung einer rechtsextremistischen Partei demonstrieren wollte, die ebenfalls in Dortmund stattfand, hat man den Mayday auf den 4. Mai verlegt.

Während der „Tanzparade“, die von drei Musikanlagen und einer life-Band begleitet wurde, gab es Stopps an verschiedenen Punkten, an denen z.B. über die schwierige Situation von ArbeitsmigrantInnen aus Südosteuropa berichtet wurde. An dem Kiosk, in dem 2006 Mehmet Kubaşık von den Rechtsterroristen des NSU umgebracht wurde, wurde ein Halt eingelegt und der Opfer des NSU-Terrors gedacht. Die Veranstaltung endete auf dem Dortmunder Nordmarkt, wo eine ziemlich bunte Mischung zwischen flippigen jungen DemonstrantInnen und alteingesessenen türkischen und anderen migrantischen BewohnerInnen entstand.

Der Euromayday fand erstmalig 2001 in Mailand statt. Sein Thema ist, den „verschiedenartigsten Formen von Prekarisierung in Arbeit und Leben, die durch die klassischen Institutionen der Arbeiterbewegung und der Linken nicht (mehr) organisiert werden können, einen Ausdruck zu geben.“ Er ist also zu verstehen als eine Alternative zu den Gewerkschaften, die die prekarisierten Menschen nicht organisieren können oder wollen. Die Aufzüge haben einen ausgesprochen spaßbetonten Charakter, wie man an Bildern des Euromayday leicht erkennen kann.

Viele TeilnehmerInnen waren fantasievoll verkleidet. Das Motto des diesjährigen Umzuges lautete: „Unser Leben ist keine Geschäftsidee“.

Am 29.02.2004 ist in einem Mailänder Supermarkt sogar San Precario selbst, der Schutzheilige der prekär Beschäftigten erschienen. Vorausgegangen waren inbrünstige Gebete von Menschen, die um Sozialleistungen, um einen arbeitsfreien Sonntag und um die Befreiung von Ausbeutung bettelten. Eine ganze Reihe von Videos zu den verschiedenen Aktionen in ganz Europa findet sich bei YouTube.

Allen prekär Beschäftigten und den migrantischen ArbeitnehmerInnen kann man nur empfehlen, sich den nächsten Euromayday als vielversprechendes Event im Mai 2014 vorzumerken. Aktuell Meinung

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  1. Herzlichen Dank für den Artikel!.

    Hier Webseite des EuroMayDay mit dem Bericht über die Parade sowie eine kleine inhaltliche Korrektur:
    Das diesjährige Motto lautete: „Kommt nach vorne!“

    Dieses Motto ist eine Anspielung auf die skandalöse, beweislose Verurteilung von Tim H. in Dresden. Tim H. wird vorgeworfen 2011 bei den Proteste gegen den Naziaufmarsch in Dresden den Durchbruch durch eine Polizeisperre koordiniert zu haben – unter anderem mit den Worten »Kommt nach vorne!«. Dafür wurde er jetzt zu einer Haftstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt – ohne Bewährung!

    Beim Euromayday Ruhr 2013 steht »Kommt nach vorne!« zugleich als Aufforderung an alle Prekarisierten mit ihren Forderungen nach einem besseren Leben gemeinsam sichtbar zu werden und die Vereinzelung zu überwinden.

  2. Kigili sagt:

    Danke! Bitte informiert hier weiter und insbesondere VORAB über solche Aktivitäten, damit wir sie unterstützen können.

  3. Aloha sagt:

    „Die GEW fordert für prekär beschäftigte Lehrkräfte in Integrationskursen ein Mindesthonorar von 30 € pro Stunde. Das entspricht bei 100 Unterrichtseinheiten ca. 750 € netto pro Monat, wie die KollegInnen in Bielefeld ausgerechnet haben.“

    30 x 100 = 3000

    Zumindest nach meiner Rechnung. Und natürlich brutto.

    Vielleicht mag man ja mal aufschlüsseln, wie hier gerechnet wurde.

  4. Georg Niedermüller sagt:

    Hallo Aloha,

    tcha, 30 x 100 sind 3000, das stimmt. Aber man macht ja auch mal Urlaub, ist mal krank, zahlt den Krankenversicherungsbeitrag eines „Selbstständigen“, den Rentenbeitrag eines „Selbstständigen“, muss als „Selbstständiger“ Rücklagen für Verdienstausfallzeiten anlegen, muss sich gegebenenfalls für Selbstständige arbeitslos versichern, muss Betriebsausgaben berechnen, usw.
    Bis heute hat es keiner geschafft, das alles auszurechnen. Die Rechnung der Bielefelder KollegInnen ist ja oben verlinkt. Wir fordern ganz einfach, dass die Lehrkräfte dasselbe bekommen wie Lehrer an Schulen. Das Studium ist fast dasselbe, und Lehrkräfte in Integrationskursen sind qualifiziert, zumindest Vertretungsunterricht an allen Schulformen zu erteilen, wenn sie einen Uniabschluss wie z.B. Magister haben.
    Ein echter Selbstständiger im IT-Bereich nimmt 70 € die Stunde. Deshalb sind 30 € vollig indiskutabel. Und dass sowas von der Gewerkschaft kommt ist eh ein Witz.
    Die Frage des Honorars wird gerade auch im Forum Deutsch als Fremdsprache diskutiert: http://www.deutsch-als-fremdsprache.de/austausch/forum/read.php?9,87642
    Viele Grüße
    Georg