Inakzeptabel
Rechtswidrige Privatisierung des Visumverfahrens zu Lasten der Reisenden
Die Bundesregierung verstößt mit der systematischen Teil-Privatisierung des Visumverfahrens und der gleichzeitigen Missachtung vorgegebener Fristen zur Bearbeitung von Visumanträgen gegen EU-Recht. Statt die Auslandsvertretungen ausreichend personell auszustatten und die Visaerteilung zu vereinfachen, bürdet die Bundesregierung den Reisenden die Mehrkosten der Privatisierung auf. Das ist inakzeptabel.
Von Sevim Dağdelen Dienstag, 09.04.2013, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 14.06.2015, 20:24 Uhr Lesedauer: 12 Minuten |
Laut einem Bericht der EU-Kommission vom November 2012 könnten Visaerleichterungen bis zum Jahr 2015 EU-weit Mehreinnahmen von bis zu 60 Milliarden Euro und bis zu 500.000 Arbeitsplätze erbringen; allein in der Tourismusbranche. Dem steht gegenüber die derzeitige strenge Anwendung der EU-Visaregeln insbesondere durch Deutschland. Dadurch wird ganz wesentlich der touristische und wirtschaftliche Austausch erschwert, ja geradezu behindert.
Mindestens genau so problematisch ist, dass auch und besonders familiäre und persönliche Kontakte massiv behindert werden. Doch weder ökonomische noch humanitäre Aspekte interessieren die Bundesregierung in dieser Frage. Statt die Visavergabe zu erleichtern und ausreichendes Personal in den Auslandsvertretungen einzusetzen, setzt die Bundesregierung als vermeintliches Allheilmittel vor allem auf den Einsatz privater Dienstleister im Visumverfahren. Wie so häufig geht diese Form der Privatisierung staatlicher Aufgaben zu Lasten der Betroffenen. Dieses steht aber auch im Widerspruch zu Vorgaben des bei kurzfristigen Schengen-Visa verbindlichen und vorrangig zu beachtenden EU-Rechts. Art. 38 Abs. 1 des EU-Visakodex verpflichtet dabei die EU-Mitgliedstaaten, für die Visaprüfung „geeignete Kräfte in ausreichender Zahl ein[zusetzen], so dass eine angemessene und harmonisierte Dienstleistungsqualität für die Öffentlichkeit sichergestellt werden kann“. Die Mitgliedstaaten sollen – mit anderen Worten – zügige und kundenfreundliche Visaverfahren gewährleisten. So genannte externe Dienstleister dürfen nach Art. 40 Abs. 3 des Visakodex hingegen nur „aufgrund besonderer Umstände oder der Gegebenheiten vor Ort“ und nur „als letztes Mittel“ zum Einsatz kommen.
Ein Grund ist, dass hierdurch den Betroffenen Mehrkosten in Höhe von bis zu 30 Euro entstehen und die Visagebühren im Regelfall ohnehin schon hohe 60 Euro betragen, was für viele Menschen außerhalb der EU sehr viel Geld ist. Externe Dienstleister treffen keine inhaltlichen Entscheidungen, sie können aber zum Beispiel Visaanträge und Gebühren entgegennehmen, auf Vollständigkeit prüfen und an die Botschaften weiterleiten. Solche Angebote privater Dienstleister könnten in großen Flächenstaaten grundsätzlich sinnvoll sein, wenn hierdurch zusätzliche Antragstellen in bislang noch nicht von den deutschen Auslandsvertretungen abgedeckten Gebieten entstehen würden, so dass die dort lebenden Menschen nicht mehr zu aufwändigen und kostenintensiven Reisen in entfernte Städte gezwungen wären. Doch die Bundesregierung setzt auf den systematischen Einsatz privater Dienstleister, um Kosten zu sparen und die selbst verschuldete personelle Unterausstattung der Visastellen im Ausland auszugleichen. Dies belegt eine Weisung von Bundesaußenminister Dr. Guido Westerwelle vom 25. Juni 2012, in der die „Auslagerung der Antragsannahme an private Dienstleister“ als eine von mehreren Maßnahmen gegen den „Arbeitsanstieg an den Auslandsvertretungen“ bezeichnet wird. In neun der 15 wichtigsten Herkunftsländer wird die Auslagerung von Teilen des Visumverfahrens vollzogen, so zum Beispiel in den drei wichtigsten Herkunftsstaaten Russland, China und der Türkei. Dadurch sollen auch die überlagen Wartezeiten für einen Termin zur Visabeantragung in vielen Regionen der Welt verringert werden, die nach Art. 9 Abs. 2 des Visakodex im Regelfall – auch in Hauptreisezeiten! – längstens zwei Wochen betragen darf.
Aufgrund parlamentarischer Anfragen der Fraktion DIE LINKE war im letzten Jahr bekannt geworden, dass diese EU-Vorgabe einer maximal zweiwöchigen Wartezeit durch Deutschland massiv verletzt wurde. In den wichtigen Auslandsvertretungen in Moskau, Nowosibirsk, Peking, Shanghai, Chengdu, Teheran und Kairo betrug die Wartezeit Ende Juli 2012 sogar über fünf Wochen – mehr als das Doppelte der zulässigen Zeit (vgl. Bundestagsdrucksache 17/12476). In einem internen Drahtbericht des Auswärtigen Amtes wurde dies als „nicht hinnehmbar“ bezeichnet. Gegenüber der Fraktion DIE LINKE sprach man lieber von einer „Momentaufnahme“ und einer „bedauerlicherweise vorübergehenden“ Überschreitung der Regelwartezeit, die „ausnahmsweise“ zulässig sei.
Nachdem ich die EU-Kommission über diese skandalösen Wartezeiten unterrichtet hatte, leitete diese Ende 2012 ein entsprechendes Prüfverfahren gegen Deutschland ein, dem ein formelles EU-Vertragsverletzungsverfahren folgen könnte. Die Bundesregierung erklärte daraufhin im Februar diesen Jahres, dass sie zur „Verminderung von Wartezeiten personalwirtschaftliche, rechtliche sowie organisatorische Maßnahmen“ einsetze – was auch immer das konkret bedeuten mag. Ob sie die EU-Kommission auch darüber informierte, dass sie die Wartezeiten mithilfe externer Dienstleister verringern will, ist nicht bekannt.
Die EU-Kommission hat in ihrem eingangs genannten Bericht zur Weiterentwicklung der EU-Visumpolitik sehr viele Vorschläge zur Verbesserung und Modernisierung des Visumverfahrens gemacht. Der Einsatz externer Dienstleister gehörte jedoch nicht dazu, was angesichts der Vorgabe im Visakodex als „letztes Mittel“ auch nicht verwundert. Stattdessen schlug die Kommission z.B. den verstärkten Einsatz vertrauenswürdiger Reisebüros („Reisebüroverfahren“), die vermehrte Erteilung von Mehrjahresvisa mit langer Gültigkeit (bis zu fünf Jahre), eine verkürzte Liste vorzulegender Unterlagen und schließlich auch eine „stärkere konsularische Präsenz“ in den jeweiligen Ländern vor. Als bewährte Praktiken nannte die EU-Kommission das Beispiel Italiens, das mit einem Ausbau der konsularischen Vertretungen im Jahr 2011 die Verfahren vereinfachen und verkürzen konnte: Die Zahl der durch italienische Auslandsvertretungen beispielsweise in China erteilten Visa stieg gegenüber dem Vorjahr um 100 Prozent! Auch die USA stockten die personellen Kapazitäten in China um 50 Prozent und in Brasilien um mehr als 100 Prozent auf. Wartezeiten konnten dadurch auf unter 10 Tage gesenkt werden.
Ganz anders die Bundesrepublik Deutschland. Zwar sollen nach Angaben der Bundesregierung personelle Verstärkungen in den Konsularbereichen der Botschaften erfolgen (29 entsandte Beamte und 20 Ortskräfte weltweit bis Sommer 2013) – womöglich auch zur Abwendung des drohenden Vertragsverletzungsverfahrens. Doch in den Jahren 2009 bis 2011 wurde weltweit trotz steigender Visazahlen noch am Personal gespart. In Russland hält diese Entwicklung sogar noch an. Hier stieg in den letzten drei Jahren die Zahl der Visaanträge um 18 Prozent. Das wäre mit einer entsprechenden Personalplanung, vereinfachten Verfahren oder verstärkt erteilten Mehrjahresvisa locker auszugleichen gewesen. Doch stattdessen sanken die eingesetzten Mitarbeiterkapazitäten im selben Zeitraum um 15 Prozent. Ergebnis: Während ein/e Mitarbeiter/in in einer Visastelle in Russland im Jahr 2009 für 2.681 Visaanträge im Jahr zuständig war, waren es 2012 bereits 3.700 zu prüfende Fälle, was eine Steigerung um 38 Prozent ausmacht. Gröblicher kann man die Vorgaben des EU-Rechts nach einer angemessenen Personalausstattung gar nicht missachten.
Vor allem Mehrjahresvisa wären ein wirksames und einfaches Mittel zur Entlastung der Auslandsvertretungen. Das sieht neben der EU-Kommission auch das Auswärtige Amt so und hat deswegen die Visastellen zu einer großzügigen Erteilung von Mehrjahresvisa im Rahmen des Rechts angehalten. Doch nach internen Einschätzungen des Auswärtigen Amtes werden insbesondere Visa mit einer Gültigkeit von mehr als einem Jahr „nur in geringem Umfang vergeben“. Angaben der Bundesregierung auf Anfrage der Fraktion DIE LINKE. bestätigen dies: Nur gut ein Drittel der etwa 326.000 im Jahr 2012 erteilten Mehrjahresvisa (das waren 18 Prozent der insgesamt knapp 2 Mio. erteilten Schengen-Visa) waren länger als ein Jahr gültig, und gerade einmal zwei Prozent der erteilten Mehrjahresvisa schöpften die Maximaldauer von fünf Jahren aus. Die Forderung von Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP), „alle Spielräume“ für eine liberale Visavergabe zu nutzen (Handelsblatt vom 10.1.2013), Wartezeiten zu verkürzen und „vermehrt Ein- und Mehrjahresvisa“ auszustellen, ist also völlig berechtigt. Unklar bleibt nur, warum er seine Forderung an Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) und nicht an den zuständigen „Kollegen“ Guido Westerwelle (FDP) richtete. Aktuell Politik
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… und in diesen privatwirtschaftlichen Annahmestellen nistet sich bereits „Filz“ ein, d.h. Antragstellern wird systematisch die Remonstration ausgerede um sie dann zu weiteren dubiosen „Dienstleistern“ weiterzureichen, die gegen zusätzliche hohe Gebühren bei einer erneuten (gegenüber dem einfachen Remanstrations-Verfahren unsinnigen!!!) Antragstellung zu „helfen“ ….
… das neue Verfahren ist für alle durchaus vorteilhaft – außer für den Antragsteller – und der stört in deutschen Amstuben schon von jeher … :-(