Theater

Hans Schleif. Eine Spurensuche.

Günther Jauch gucke ich nicht mehr an - das hatte ich mir nach der desaströsen Sendung „Im Namen Allahs – was tun gegen Deutschlands Gotteskrieger?“ vorgenommen. Dem Zuschauer wurde alles andere als eine Diskussion geboten, und - anders als angekündigt – schon gar keine Aufklärung über Islamismus und Gotteskrieger!

Von Dienstag, 26.03.2013, 8:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 28.03.2013, 6:56 Uhr Lesedauer: 6 Minuten  |  

Eigentlich wollte ich Sonntagabend gleich nach dem „Tatort“ abschalten, blieb aber dann doch bei Jauch hängen, angefixt durch den Titel der Sendung: „Mutter, Vater, was habt Ihr getan? Die Geschichten unserer Familien“. Die Vorlage dazu bot „Unsere Mütter, unsere Väter“ – das zu erwähnen ist eigentlich überflüssig, weil ja der Film von der Presse rauf- und runtergenudelt wurde. Zum Erkenntnisgewinn hat die sonntägliche Talkrunde im Ersten nicht beigetragen.

Am vergangenen Mittwochabend gehörte auch ich zu den vielen Menschen in Deutschland, die sich der nationalsozialistischen Geschichte aussetzten. Aber ganz anders als die rund acht Millionen Zuschauer, die sich im ZDF den dritten Teil von „Unsere Mütter, unsere Väter“ anschauten. Ich saß nicht vor dem Fernseher, sondern in der Studio Box des Deutschen Theaters, um der Geschichte eines Mannes zu folgen, der Hans Schleif hieß und ein ranghohes SS-Mitglied war.

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Hans Schleif muss man nicht kennen; könnte man aber durchaus, wenn man sich für Archäologie und Architektur interessiert. Den Mann zeichnete aber noch etwas anderes aus: Er war als ranghoher Nazi am Bau von Konzentrationslagern beteiligt. Dieser Teil seiner Biografie war auch jenen unbekannt, die von seiner Tätigkeit als Archäologen wussten. Seine „Karriere“ innerhalb der SS wurde jedoch nicht einmal innerhalb seiner Familie kommuniziert. Das kam erst ans Licht, als sein Enkelsohn sich auf Spurensuche begab. Er wollte herausfinden, wer Hans Schleif wirklich gewesen ist.

Der Enkelsohn heißt Matthias Neukirch, ist 50 Jahre alt und Schauspieler am Deutschen Theater in Berlin. Hätte ich eben diesen Matthias Neukirch nicht auf einer Bahnfahrt kennengelernt, dann wäre ich wohl nicht eigens für ein Stück mit dem Titel „Hans Schleif. Eine Spurensuche“ nach Berlin fahren. Meine Zufallsbekanntschaft aus dem Zug schickte mir nämlich mehrmals eine Einladung für das Solo-Stück über seinen Großvater, das Thema unseres Gesprächs auf der Bahnfahrt gewesen war. Vergangenen Mittwoch stand es wieder im Spielplan, und ich war eine der rund 30 Zuschauer. Dieser Abend ging mir sehr unter die Haut, am Ende musste ich um Fassung ringen.

„Hans Schleif“ passt es in die aktuelle Diskussion um „unsere Mütter und unsere Väter“, auch wenn Neukirch seine Familiengeschichte ganz anders ausleuchtet. Der Enkelsohn beschäftigt sich mit der Frage, wie aus einem Wissenschaftler, der dem nationalsozialistischen Gedankengut gegenüber „indifferent“ gewesen ist, ein ranghoher SS-Mann werden konnte, der sich kurz vor Kriegsende das Leben nahm. Und der Enkelsohn befasst sich mit der Frage des Sich-Schuldigfühlens und des Schuld-Abweisens. Eindeutige Antworten gibt es keine, es sind Annäherungen an Antworten, die Neukirch während seiner Recherchen entdeckt hat.

Angefangen hat er mit der Spurensuche 1996. Damals sollte er im Staatstheater Kassel einen SS-Mann spielen und stieß bei der Vorbereitung auf seine Rolle auf „Unangenehmes“ in seiner Familie. Neukirch begann seine Mutter zu befragen, sich im Umfeld umzuhören und er begab sich in das Bundesarchiv, um sich aktenkundig zu machen über diesen Großvater, auf den seine Mutter nichts kommen ließ.

Termin: „Hans Schleif. Eine Spurensuche.“ Nächste Aufführung: Deutsches Theater, Studio Box, am Samstag, 27. April (19 Uhr). Weitere Infos gibt es hier. Und am 6. Mai wird das Stück im Landestheater Linz aufgeführt.

Bei seiner Recherche wurde er vom Regisseur Julian Klein begleitet, zusammen arbeiteten sie an dem Solo-Stück, das im November 2011 Premiere im Deutschen Theater hatte und als Gastspiel auch hier und dort gezeigt wurde.

Völlig zu unrecht stieß „Hans Schleif“ nicht auf allzu großes Interesse. Das Thema – Auseinandersetzung mit der Familiengeschichte im Nationalsozialismus – scheint nur dann mediale Aufmerksamkeit zu bekommen, wenn es als ein aufwendiges und kostspieliges Filmepos umgesetzt wird.

Um eine Aufführung im eigentlichen Sinne handelt es sich nicht bei dem, was Neukirch seinen Zuschauern in 130 Minuten ohne Pause bietet. Und dass nur 30 Zuschauer zugegen sind, sieht das Konzept vor. Mehr ist nicht gewollt. Es soll ein inhaltlich und räumlich dichter Abend sein; die Geschichte des Hans Schleif und die seiner Tochter und seines Enkelsohnes soll den Zuschauern nahe gehen. Und das tut es auch, weil der Enkelsohn nicht nur als Schauspieler agiert, sondern auch sehr viel Persönliches preisgibt. Die Frage der Schuld ließ Neukirch nicht los, machte sich sogar körperlich bemerkbar.

Mal sitzt, mal steht der großgewachsene Schauspieler vor dem Publikum, mal blättert er in Aktenordnern, mal verteilt er Kopien von Originaldokumenten unter dem Publikum, mal erzählt er, mal liest er vor – aus dem Material, das er im Bundesarchiv über seinen Großvater vorgefunden hat; und er trägt auch aus privaten und offiziellen Briefen vor. Die Zuschauer sitzen an Seminartischen, die in U-Form angeordnet sind und hören vor allem zu, wenn Neukirch Teil haben lässt an den Ergebnissen seiner jahrelangen und aufwendigen Recherchen zur Familiengeschichte. Das verbindet ihn mit dem Produzenten des als Meisterwerk gepriesenen Dreiteilers „Unsere Mütter, unsere Väter“. Der Film, erklärte Hoffmann in einem Interview, sei für ihn der Abschluss von 30 Jahren Familienauseinandersetzung. Für Neukirch bedeutet „Hans Schleif“ nicht das Ende der Beschäftigung mit dem Großvater. „Hans Schleif. Eine Spurensuche“ ist „work in progress“, neue Erkenntnisse integrieren Schauspieler und Regisseur in die Inszenierung.

Neukirchs akribische Recherche, seine Suche nach der Wahrheit, sein Den-Dingen-auf-den-Grund-Gehen wollen lässt während der „Aufführung“ immer wieder meine Gedanken abschweifen zu den Untersuchungen über die NSU-Morde. Mir stellt sich die Frage, ob die Ermittler die rechtsextremen Motive und Täter früher erkannt hätten, wenn mehr Sensibilität für die eigene Geschichte vorhanden gewesen wäre…

Neukirch stellt für sich fest, dass der Nationalsozialismus schlimm war; führ ihn als Nachkomme sei das eigentlich Schlimme aber, „dass man nach dem Krieg einfach nicht wahrhaben wollte, was passiert war oder vielleicht auch nicht konnte, ohne am Leben zu verzweifeln und deshalb diese Schuld so viele komische Wege gegangen ist“. Eines dieser „komischen Dinge“ sei, dass seine Mutter eine Art von Christentum lebe, mit der sie die Vergangenheit ihrer Familie entschuldigen könne, ohne die Vergangenheit wirklich anzugehen. Geradezu unheimlich wird einem zumute, wenn Neukirch Tonbandaufnahmen abspielt, auf denen die Stimme seiner Mutter zu hören ist. Sie spricht von der „Urschuld“ Adams und davon, dass kein Mensch ohne Schuld auf die Welt komme. So einfach kann man es sich also machen, wenn man die Gräuel der Nazis und des eigenen Vaters nicht an sich rankommen lassen möchte, geht es einem durch den Kopf. Und es versöhnt solche wie mich, die keine familiären Bezüge zur NS-Zeit haben, dass es unter den Deutschen auch Nachkommen gibt, die sich ihrer Familiengeschichte stellen, die nicht locker lassen, die wissen wollen, wie all das passieren konnte, was passierte.

Über Familiengeschichten und NS-Zeit wird dieser Tage viel diskutiert – zumindest in den Medien; ob Talkrunden a la Jauch oder der als „Meisterwerk“ kategorisierte Dreiteiler von Nico Hoffmann dazu beitragen, dass zwischen den Generationen tatsächlich Gespräche über die Zeit des Nationalsozialismus stattfinden? An Spekulationen mag ich mich nicht beteiligen. Die Spurensuche, wie es der Schauspieler Neukirch betrieben hat, scheint mir der angemessenere Weg zu sein, sich der Geschichte zu stellen. Aktuell Feuilleton

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