Österreichische Befindlichkeiten

Österreich – Minderjährige Flüchtlinge – Kinder zweiter Klasse

Die Situation der unbegleiteten, minderjährigen Flüchtlinge wirft ein Schlaglicht auf die Praxis der Umsetzung internationaler Kinderrechte in Österreich, einem der reichsten Länder dieser Welt.

Von Helga Suleiman Dienstag, 05.03.2013, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 07.03.2013, 22:49 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

„Ich will eine Arbeitsbewilligung“, „Kurze Asylverfahren“, „In Afghanistan ist Krieg“ – diese Botschaften haben jugendliche Asylsuchende mit Plastikklebeband an ihren Jacken befestigt. Sie nahmen am 22.2.2013 in Graz zahlreich und energisch an einer Demonstration in Solidarität mit der internationalen Flüchtlingsbewegung teil.

Jugendliche, die alleine, d.h. ohne Begleitung eines Erwachsenen, in Österreich angekommen sind, haben allen Grund auf ihre Lage aufmerksam zu machen. Die Betreuungssituation ist mangelhaft. Es gibt viel zu wenige Betreuungspersonen; – in der Steiermark ist für 70 Jugendliche oft nur eine Betreuungsperson vorhanden, unzureichend ausgebildet und der Muttersprache der Jugendlichen unkundig, wie KennerInnen der Lage berichten.

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Froh sind sie, die Jugendlichen, und erleichtert, wenn sie in Österreich ankommen. Doch der scheinbar sichere Zufluchtsort ist ein Boden mit dünnem Eis. In der Erstaufnahmestelle Traiskirchen stellen sie den Asylantrag. Nach 20 Tagen wird von den BeamtInnen entschieden, ob sie – vorerst – in Österreich bleiben dürfen. Diese Entscheidung bedeutet „zum Asylverfahren zugelassen zu werden“. Erst jetzt wird die Chance auf ein Bleiberecht im Land das erste Mal real.

Das Lager Traiskirchen kann den Bedürfnissen der Jugendlichen nicht entsprechen. Die Vorschriften sind restriktiv, die Beschäftigungs- und Bildungsangebote karg. Mit der „grünen Karte“ darf die Bezirksgrenze nicht verlassen werden. Es bleibt nichts anderes übrig, als einen Gutteil der Zeit schlafend zu verbringen, damit sie vergeht.

Innerhalb von zwei Wochen sollen die Minderjährigen in Betreuungseinrichtungen in den Bundesländern überstellt werden; – doch diese Frist wird von den Bundesländern unendlich gedehnt. Trotz mit dem Ministerium abgemachter Quoten, verweigern sie Aufnahme und Unterbringung der Minderjährigen nach dem Grundversorgungsgesetz, indem sie kaum oder keine Plätze zur Verfügung stellen. Familien werden lieber aufgenommen, damit deren Kinder jene Grundschulen am Land füllen, die ansonsten zugesperrt werden müssten. Minderjährige Jugendliche können diesen Dienst nicht leisten; – sie bleiben in Traiskirchen monatelang auf ihren Fähigkeiten und Kenntnissen sprichwörtlich sitzen.

Die Verankerung der Kinderrechte in der österreichischen Verfassung hat an der hierarchischen Klasseneinteilung der Menschen entlang ihrer Herkunft nichts geändert. Unbegleiteten Kindern werden fast ausnahmslos in ganz Österreich nur die halben finanziellen Mittel und Ressourcen zuerkannt wie einem österreichischen Kind, das zum Beispiel in einer Kinderwohngruppe im SOS-Kinderdorf lebt. Die Kinderrechtskonvention unterscheidet nicht nach Nationalität oder Aufenthaltsstatus, der österreichische Staat schon. Seinen BeamtInnen und PolitikerInnen sind Kinder anderer Herkunft nur halb so viel und weniger wert.

Im Oktober 2012 hat Heinz Fronek, Experte für Kinderflüchtlinge der asylkoordination österreich die Gesetzeswidrigkeit dieser Situation benannt, wonach unbegleitete Jugendliche unter 14 Jahren gar nicht in die Erstaufnahmestelle aufgenommen werden dürfen, weil diese deren Bedürfnissen nicht gerecht wird. Die Erhebungen der asylkoordination ergaben außerdem, dass die Aufenthaltsdauer in der Erstaufnahmestelle bei unbegleiteten Kindern extrem lange ist, durchschnittlich 150 Tage. Das sind fünf Monate ohne ausreichende sozialpädagogische Unterstützung, ohne Schulunterricht und zusammengepfercht in überfüllten Zimmern.

Die asylkoordination kritisiert auch die Praxis der Altersbegutachtung scharf. Gemäß Gesetzeslage sind sie nur bei Zweifel an der Minderjährigkeit und nur als „ultimo ratio“ anzuordnen. Zuerst sind die Dokumente der Jugendlichen zu überprüfen. In Realität geschehe das nicht oder ungenügend, was einen massiven Eingriff in das Recht auf Identität bedeutet. Obendrein sind die angewandten Methoden, wie Handwurzelröntgen, CT- Untersuchung Schlüsselbein und Ähnliches, methodisch, rechtlich und ethisch bedenklich und in ihrem Aussagewert umstritten.

Die Arbeitsgruppe „Menschenrechte für Kinderflüchtlinge“ hat im Januar 2013 eine Stellungnahme zu einem Entwurf des Bundesgesetzes abgegeben, mit dem weitere Verschärfungen gegen die unbegleiteten, minderjährigen Flüchtlinge eingeleitet werden sollen. Unbegleitete Minderjährige müssen von EU-Recht her, nach Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, bei der Suche von Familienangehörigen unterstützt werden. Der österreichische Entwurf verdreht den Gesetzestext so, dass plötzlich der Minderjährige dem Staat gegenüber eine Mitwirkungsverpflichtung hat! Damit wird der Aspekt der Freiwilligkeit bei der Familiensuche einfach ignoriert und zu einer Zwangsmassnahme verkehrt. Bezeichnend, dass im Entwurf das Kindeswohl mit keinem Wort erwähnt wird.

Die asylkoordination österreich sorgt mit ihrer Arbeitsgruppe dafür, dass Änderungen von Gesetzen und Verordnungen nicht unbeobachtet von der kritischen Öffentlichkeit über die Bühne gehen. Mit einem breiten Netzwerk kann politischer Druck ausgeübt werden.

So hat die Organisation für die Situation der unbegleiteten, minderjährigen Flüchtlinge in Österreich das Projekt connecting people entwickelt: Lange und länger ansässige BürgerInnen übernehmen eine Patenschaft für einen unbegleiteten minderjährigen Flüchtling, und unterstützen ihn/sie in allen nötigen Belangen.

Dass Menschen, die schon länger in Österreich leben, nicht untätig gegen Abschiebung bleiben, zeigt auch ein bemerkenswertes Projekt von Studierenden der Politikwissenschaft an der Uni Wien. Sie haben als „mapping protest“ eine Karte erstellt, die alle Orte in Österreich aufzeigt, an denen sich Einzelne oder Institutionen gegen die Abschiebung von Asylsuchenden einsetzen.

Mit „Machen wir uns stark“ ruft eine Kampagne zum Engagement per Mausklick auf. Sie fordert JA zum Zugang zu Lehre und Arbeitsmarkt für Asylsuchende! Dieser Aufruf ist besonders für die unbegleiteten Jugendlichen wichtig. Denn trotz Überschuss an Lehrstellen gab es bis Ende Juni 2012 einen Erlass, der ihnen den Zugang zur Lehre verwehrte. Die Kampagne hat mittels mehr als 8000 Unterschriften mit einer teilweisen Öffnung des Arbeitsmarktes einen ersten Zwischenerfolg erreicht.

Das ändert nichts daran, dass es noch großen Bedarf an Reformen zu Gunsten unbegleiteter Kinder und Jugendliche gibt. Von einer zunehmend kritischen Zivilgesellschaft wird allen Restriktionen und Versuchen der Bürokratie, Flüchtlinge abzuschieben und auszuweisen, ein klares NEIN entgegengesetzt.

Die Flüchtlingsproteste in der Wiener Votivkirche und die Botschaften der Grazer Jugendlichen werden gehört und weitergetragen: „Ich will eine Arbeitsbewilligung“, „Kurze Asylverfahren“, „In Afghanistan ist Krieg“… Aktuell Meinung

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