Wörter wie das N-Wort
Ein Brief an Astrid Lindgren
Sollen rassistische Wörter aus Kinderbüchern entfernt werden? Diese Frage stellt auch Farah Melter. In einem Brief an Pipi-Autorin Astrid Lindgren möchte fragt sie die Kult-Autorin nach ihrer Meinung.
Von Farah Melter Freitag, 15.02.2013, 8:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 18.02.2013, 6:05 Uhr Lesedauer: 6 Minuten |
Liebe Astrid,
zurzeit gibt es in Deutschland eine heiße Diskussion über die Verwendung rassistischer Wörter in Kinderbüchern und einige solche Wörter sind auch in deinen Büchern vorgekommen. Viele weiße Deutsche meinen, dass die berühmten Kindergeschichten Kunstwerke sind und man sie auf keinen Fall ändern darf und die Änderung der rassistischen Wörter in solchen Bücher gegen unsere Demokratie im Sinne freier Meinungsäußerung ist und eine Zensur gegenüber Kunstwerken und künstlerischen Ausdrucksweisen in den Medien bedeuten würde.
Nun möchte ich deine Meinung dazu wissen: Hast du absichtlich dieser rassistischen Wörter und Vorstellungen in deinen Bücher verwendet, obwohl dir die historische Diskriminierung der schwarzen und afrikanischen Menschen in Europa und in den USA bewusst war? Du benutzt z.B. Wörter wie das N-Wort in deiner Geschichte Pippi in Taka-Tuka-Land und beschreibst die Menschen dort sehr abwertend….
Weißt Du, für mich bist Du eine tolle Autorin und ich habe schon als Kind deine Geschichten gelesen. Die Pippi Langstrumpf war meine Superheldin und ich wollte auch so ein Mädchen sein wie „Pippi“. So selbstbewusst und immer gegen die komischen Regeln, die die Eltern und die Erwachsenen aufstellen. Ich fand es witzig, zwei unterschiedlichen Strümpfe anzuziehen und sich dabei auch gar nicht schämen müssen.
Deine Bücher sind witzig und deine Figuren, die du beschrieben hast, sind sehr klug und selbstbewusst. Und ich denke, solche tolle Figuren wie „Pippi Langstrumpf“ können keine Rassistinnen sein und ich verstehe aber nicht, wieso reden sie so komisch über schwarze Menschen?
Wusstest du es nicht, dass die Kolonialherrscher in vielen Ländern in Europa solche Wörter für die Erniedrigungen und Beschimpfungen der schwarzen Menschen verwendet haben und ganz viele grässliche Völkermorde in Afrika in der Zeit der Kolonialismus ausgeübt haben? Wie zum Beispiel den Völkermord in Namibia, als die deutschen Kolonialherrscher so viele schwarze Menschen, die Herero und Nama, 1904 umgebracht und ihre Schädel zur Untersuchung für die Forschung ihrer rassistischen Ideologien nach Deutschland gebracht haben? Diese grässlichen Mörder haben ihre schwarzen Opfer „Neger“ und die „Möhrenkopf“ genannt und sie haben die Menschen, die in ihren Augen eine „andere Hautfarbe“ hatten, erniedrigt und verachtet. Wusstest du, dass die Weißen damals unter anderem in den USA die schwarze Menschen als Sklaven und Sklavinnen behandelt und sie als Diener für die Weißen missbraucht und gefoltert haben?
Auch sie haben solche rassistische Benennungen für nicht weiße Menschen verwendet.
Das musst du als sozialdemokratische und feministische Intellektuelle doch alles gewusst haben.
Obwohl du eine weiße Frau bist, kann ich es aber nicht glauben, dass du auch so eine weiße Rassistin bist, die die „anderen Menschen“ verachtet und als „Mohrenkopf“ und „Neger“ beschimpft.
Ich kann nachvollziehen, dass in deiner Zeit solche Wörter nicht thematisierst und als „normale Benennung“ für schwarze Menschen betrachtet wurden und du in so einer weiße Umgebung nur wenige Chancen und Möglichkeiten gehabt hast, über die Bedeutung und die Funktionalisierung solcher Wörter nachzudenken und dich damit auseinander zu setzen.
Du hast diese Wörter in deinen Bücher verwendet, weil in deiner Zeit solche Wörter für die Weißen „nur“ eine scheinbar witzige Benennung der Schwarzen gewesen sind und damals ganz viele Menschen Witze über die Dummheit der Menschen erzählt haben, die nicht die weiße Hautfarbe hatten und angeblich so anderes gelebt hatten als die Menschen in Europa. Euch wurde gesagt, dass in den warmen Ländern und Kontinenten wie in Afrika, die Menschen, die nicht so verkleidet waren wie du im kalten Schweden, die „Buschmenschen“ sind, die die „zivilisierten“ Verkleidungen nicht kennen. Du bist auch in so einer Gesellschaft aufgewachsen und erzogen worden und deine weiße Figur der Pippi Langstrumpf hat die herrschende Meinung von damals übernommen und sie hat sich auch so verhalten wie die anderen Weißen das witzig fanden.
Liebe Astrid, wir sind eine andere Generationen als du. In unsere Zeit ist nun viele Menschen bewusst geworden, dass die Diskriminierungen, Beschimpfungen und Erniedrigungen von als „anders“ angesehen Menschen, egal welche „Hautfarbe“ sie haben, gegen die Menschenrechte sind, dass sie rassistisch sind und ein solches verhalten absolut „unzivilisiert“ und menschenverachtend ist. Wir schreiben in unseren Büchern nicht mehr die Wörter, die Beschimpfungen und Diskriminierungen anderer Menschen beinhalten. Der Rassismus hat in unsere Geschichten ganz viele schlimme Folgen, auch für weiße Menschen gebracht und alleine während der Zeit des Nationalsozialismus sind ganz viele Menschen in der ganzen Welt gestorben.
Wir versuchen, die rassistische Wörter und Menschenverachtenden Gedanken keinen Raum mehr zu geben und vermeiden, dass unsere Kinder mit solch rassistischen Ideologien aufwachsen.
Damit du besser nachvollziehen kannst, möchte ich dir einige Beispiel aus deiner Zeit benennen. In deiner Zeit mussten die Frauen für ihre kleinsten Rechte ganz viel kämpfen. Die patriarchale Gesellschaft von damals hat ohne jegliche Verantwortung viele frauenfeindliche Wörter verwendet. Die Wörter, wie zum Beispiel „Weib“, als die Benennung einer Frau, sind ganz oft in deiner Zeit vorgekommen. Oder zu unverheirateten Frauen, die mit Männern in der Öffentlichkeit sprachen, wurde „Schlampe“ gesagt und zu älteren unverheirateten Frauen „alte Schachtel“ oder „alte Jungfer“ oder gar zu älteren strengen Frauen „alte Hexe“. Du hättest auch nicht in Ordnung gefunden, wenn über dich so geschrieben worden wäre: „Astrid Lindgren, ein „Weib, eine „Schlampe“ schreibt Kindergeschichten.“ „Ein Weib“ und „Schlampe“ sind nur Wörter, aber die Benutzung so eines Wortes für eine Frau hat eine frauenfeindliche Bedeutung und alleine die Verwendung des Wortes „Weib“ oder „Schlampe“ stellen eine Diskriminierung und Verachtung von Frauen dar. Du und viele andere Frauen haben viel gekämpft, damit die patriarchalen Herrscher sich nicht mehr erlauben, die Frauen so zu behandeln und du hast in deinen Geschichten eine Superheldin wie Pippi beschrieben, damit die Mädchen deiner Generation selbstbewusster werden und sich nicht mehr hinter ihren Männern verstecken und den Mut haben, eigene Meinungen zu vertreten und sich gegen Diskriminierung zu wenden. Wir, die Frauen der neuen Generation, profitieren vom Mut und den Mühen solcher Frauen wie du.
Genau wie die Benutzung des Wortes „Weib“, „alte Hexe“ oder „Schlampe“ für dich als Frau nicht in Ordnung ist, verstehst du es jetzt, dass die Benutzung der Schimpfwörter für schwarzen Menschen in unsere Zeit ein Tabu ist, da es menschenverachtend und rassistisch ist?
Nun möchte ich dich fragen, ob du uns erlaubst, alle rassistischen Wörter und Vorstellungen in deinen Büchern zu ändern und stattdessen passendere Wörter und Vorstellungen für unsere Generation zu verwenden?
Da du nicht mehr am Leben bist, haben wir keine Möglichkeit, deine Antwort zu hören. Aber wie ich dich durch deine Bücher und deine Biographie kennengelernt habe, bin ich mir sicher, wenn du jetzt gelebt hättest, würdest du selbst alle deine Geschichten und die menschenverachtenden Wörter und Vorstellungen, die du verwendet hast, durch nicht-rassistische Inhalte und Wörter ersetzen, damit unsere Kinder in einer besseren und Menschenrechte akzeptierenden Welt leben und mit Respekt für alle Menschen, egal ob weiß oder schwarz, aufwachsen.
Mit freundlichen Grüßen,
Farah Melter Aktuell Meinung
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Gerade die Debatte um Pippi Langstrumpf macht deutlich, dass die Jagd auf böse Wörter nicht nur unsinnig, sondern schädlich ist. Schädlich für den Kampf gegen Rassismus. Nicht Wörter sind rassistisch, sondern Inhalte, Aussagen, Geschichten.
Der Verlag hat aus dem NEGERKÖNIG Ephraim Langstrumpf einen Südseekönig gemacht. Was ist damit gewonnen? Nichts! Denn rassistisch an der Geschichte ist nicht das Wort NEGER, sondern doch die Annahme, dass ein schwedischer Kapitän, wenn er schiffbrüchig auf einer Insel landet, von den Eingeborenen selbstverständlich zu ihrem König gemacht wird. Warum sollten die das denn tun? Doch nur, weil sie die Überlegenheit der weißen Rasse anerkennen. Das bleibt rassistisch, auch wenn man die Eingeborenen nicht NEGER nennt, sondern von mir aus „Mitmenschen aus der Südsee“. Aber weil alle Antirassisten und Antirassistinnen gebannt auf das Wort NEGER starren, fällt ihnen das gar nicht auf. Und deshalb ist die Jagd auf Wörter schädlich, weil sie von den Inhalten ablenkt!
Ich verwende das Wort NEGER üblicherweise nicht. Aus Höflichkeit, weil viele Menschen dunkler Hautfarbe es ablehnen. Keine Frage. Ich will niemanden kränken. Aber Martin Luther King hat in seiner berühmten Rede „I Have a Dream“ gesagt: „One hundred years later, the Negro still is not free“. Soll man das jetzt auch zensieren? Ist doch Quatsch. Heute würde er „African American“ sagen, aber 1963 hat er eben „NEGRO“ gesagt. Und wir alle wissen, wie er das Wort gemeint hat.
Der rassistische Mörder Franz Fuchs hat auf seine Bombe, die vier Roma getötet hat, nicht das Z-Wort geschrieben. Sondern politsch korrekt: „Roma zurück nach Indien!“ Wäre die Tat noch schlimmer gewesen, wenn er auch noch ZIGEUNER geschrieben hätte?
Die österreichisches Boulevardpresse verwendet das Z-Wort nicht. Sie hetzt gegen „Bettlerbanden“ und schreibt von „Roma-Clans“. Ist das um ein Jota besser, als wenn diese Blätter ZIGEUNERBANDEN schreiben würden? Gegen solche Inhalte muss man auftreten, aber nicht Zeit und Kraft auf den Kampf gegen das ZIGEUNERSCHNITZEL verschwenden. Die Roma in Europa brauchen dringend unsere Solidarität, aber ihre Lage wird sich nicht dadurch verbessern, dass das ZIGEUNERSCHNITZEL von den Speisekarten entfernt wird.
Wäre ich der Herausgeber einer Pippi-Langstrumpf-Ausgabe, würde ich zu dem Wort NEGERKÖNIG eine Fußnote setzen: „Ich glaube, Pippi hat zu viele billige Abenteuerbücher gelesen. Aus denen hat sie wohl die Idee bekommen, dass ein weißer Kapitän alles besser kann als die dunkelhäutigen Bewohner von fernen Inseln. Sonst hätte ihr klar sein müssen, dass ihr Vater wahrscheinlich erst hat lernen müssen, wie man sich auf Taka-Tuka-Land benimmt und wie man dort seinen Lebensunterhalt erwirbt, bevor ihn die Taka-Tuka-Leute überhaupt ernst genommen und als einen der ihren anerkannt haben. Und wer sagt, dass die Taka-Tuka-Leute überhaupt einen König brauchen, der ihnen sagt, was sie zu tun haben? Vielleicht setzen sie sich ja alle zusammen und beraten und entscheiden gemeinsam.“