Rechtsgutachten

Bertelsmann Stiftung fordert Abschaffung der Optionspflicht

Professor Kay Hailbronner, Experte für Ausländerrecht, legt in einem Rechtsgutachten die Tücken der Optionspflicht dar. Er fordert eine „intensive und verständliche Aufklärung der Optionspflichtigen“. Die Bertelsmann Stiftung geht einen Schritt weiter und fordert die Abschaffung der Optionspflicht.

Mittwoch, 06.02.2013, 8:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Freitag, 08.02.2013, 23:56 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Mit der Reform des Staatsbürgerschaftsrechts im Jahr 2000 hat Deutschland den hier geborenen Kindern von Ausländern das Recht eingeräumt, zusätzlich zur Staatsangehörigkeit ihrer Eltern auch den deutschen Pass zu erhalten. Dieses Recht gilt für Kinder von Nicht-EU-Ausländern allerdings nur bis zur Volljährigkeit (Ausnahme: Schweiz). Dann erreicht die „Optionskinder“ ein Brief der kommunalen Ausländerbehörde, der sie faktisch auffordert, bis spätestens zu ihrem 23. Lebensjahr die Staatsbürgerschaft der Eltern abzulegen. Ansonsten würde ihnen der deutsche Pass entzogen. Das betrifft fast eine halbe Million Kinder. In diesem Jahr stehen die ersten 3.300 jungen Doppelstaatler vor der Pflicht, sich von einem ihrer beiden Pässe zu trennen, ab 2018 sind es jährlich bis zu 40.000.

Professor Hailbronner, renommierter Experte für Ausländer- und Asylrecht, unterstreicht in seinem Gutachten, das geltende Recht eröffne zwar Spielräume für Anträge auf Beibehaltung beider Staatsangehörigkeiten. Diesem Antrag ist zuzustimmen, wenn die Aufgabe der ausländischen Staatsbürgerschaft unmöglich oder unzumutbar ist. Allerdings ist nicht bundesweit geregelt, wann das zutrifft. Insofern enthalte die Regelung „Gefahren der Rechtsunsicherheit und Unklarheit über den Bestand der deutschen Staatsangehörigkeit“. Hailbronner kommt zu dem Schluss, „der Unsicherheit sollte durch einheitlich geltende Verwaltungsvorschriften begegnet werden“.

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Außerdem betont der Rechtswissenschaftler, dass die Optionspflichtigen intensiv und verständlich über das Gesetz aufgeklärt werden müssen, insbesondere über ihre Erklärungspflichten und die damit verbundenen Rechtsfolgen. Eine Studie des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge hatte gezeigt, dass 34 Prozent der Optionskinder nicht wissen, dass sie ihren deutschen Pass verlieren, falls sie nicht nachweisen, ihren ausländischen Pass abgegeben zu haben.

Entstanden war die Optionspflicht als politischer Kompromiss. Die damalige Bundesregierung wollte im Jahr 2000 allen in Deutschland geborenen Kindern von ausländischen Eltern, die seit mindestens acht Jahren rechtmäßig in Deutschland lebten, dauerhaft den deutschen Pass verleihen. Die Opposition hingegen wollte die damit verbundene doppelte Staatsbürgerschaft verhindern. So einigte man sich darauf, dass in Deutschland geborene Kinder, deren Kinder nicht aus einem EU-Land stammen, den deutschen Pass erhalten, sich dann jedoch im Alter zwischen 18 und 23 Jahren von einer der beiden Staatsangehörigkeiten trennen müssen. „Faktisch unterteilen wir die hier geborenen und aufgewachsenen Kinder ausländischer Eltern damit in Bürger erster und zweiter Klasse: Die einen dürfen beide Staatsbürgerschaften behalten, die anderen nicht“, sagte Ulrich Kober, Integrationsexperte der Bertelsmann Stiftung.

Info: Um Optionspflichtige besser über ihre Möglichkeiten zu informieren, hat die Bertelsmann Stiftung Informationen zur möglichen Beibehaltung beider Staatsbürgerschaften auf einer eigenen Website zusammengestellt. Dort zur Einsicht steht auch das Gutachten von Prof. Dr. Dr. h.c. Kay Hailbronner „Rechtliche Rahmenbedingungen der Beibehaltungsregelung bei Optionskindern“.

Nicht nur aus diesem Grund spricht sich Kober dafür aus, die Optionspflicht ersatzlos zu streichen. Die Regelung schaffe das Risiko, dass jemand seine deutsche Staatsbürgerschaft infolge von Unkenntnis oder rechtlichen Unklarheiten verliert. „Das wäre aus Integrationsperspektive eine Katastrophe – nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für das Einwanderungsland Deutschland. Wir brauchen dringend mehr qualifizierte Zuwanderung – da ist es völlig unverständlich, wieso wir einer halben Million jungen Deutschen mit Ausbürgerung drohen. Das ist kein gutes Signal für Offenheit und Willkommenskultur“, sagte Kober. Ohnehin widerspreche das Ziel, doppelte Staatsbürgerschaften zu vermeiden, immer mehr der Realität eines Einwanderungslandes. Dies lasse sich auch daran ablesen, dass Deutschland heute bereits bei jeder zweiten Neu-Einbürgerung den Antrag auf Mehrstaatigkeit bewillige.

Erst vor zwei Wochen berichteten Medien über den Fall einer 23 Jahre alten Hanauerin, die in Hessen geboren und aufgewachsen ist und Anfang Januar gegen ihren Willen die deutsche Staatsbürgerschaft verlor. Die Frau hatte zu spät beantragt, aus der türkischen Staatsangehörigkeit entlassen zu werden, um den deutschen Behörden fristgerecht den Nachweis zu erbringen, dass sie ihren türkischen Pass abgegeben habe. Nun bleibt ihr nur der Weg, ein Einbürgerungs-verfahren zu beantragen. (pmbs/bk) Aktuell Politik

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  1. Ahmetzade sagt:

    Ich finde die Optionspflicht auch absurd. Es kann nicht sein, einem Deutschen, welcher in 3. Generation in Deutschland lebt und das Herkunftsland seiner Großeltern lediglich aus dem Urlaub kennt, die Staatsbürgerschaft zu entziehen. Auch wenn ich die Mehrstaatlichkeit für mich niemals in Anspruch nehmen würde (außer ich ziehe für immer nach Australien oder so), muss sie für alle Menschen in diesem Land gewährleistet sein, seien sie EU-Bürger oder nicht. Meine Eltern hätten längst die deutsche Staatsbürgerschaft beantragt, hätten sie dafür die alte Staatsbürgerschaft nicht abgeben müssen. Das möchten sie aber nicht, aus verständlichen Gründen. Es geht im Übrigen auch niemanden was an, warum. Aber das mal beiseite. Denn, wenn nämlich aus o.g. Gründen auch noch einem jungen Deutschen die Staatsbürgerschaft entzogen wird, dann ist es gelinde gesagt das allerletzte.

  2. Gero sagt:

    @Ahmetzade: Meine Eltern hätten längst die deutsche Staatsbürgerschaft beantragt, hätten sie dafür die alte Staatsbürgerschaft nicht abgeben müssen. Das möchten sie aber nicht, aus verständlichen Gründen. Es geht im Übrigen auch niemanden was an, warum. Aber das mal beiseite.
    ________________

    Wem die deutsche Staatsbürgerschadft nicht den Verzicht der türkischen wert ist, der soll es eben bleiben lassen.

    Man sollte aber das dennoch das Optionsmodell ganz abschaffen und den hier Geborenen gleich NUR die deutsche Statsbürgerschaft verleihen – dann gäbe es Ruhe.

  3. Schwurbeln sagt:

    „Es kann nicht sein, einem Deutschen, welcher in 3. Generation in Deutschland lebt und das Herkunftsland seiner Großeltern lediglich aus dem Urlaub kennt, die Staatsbürgerschaft zu entziehen.“

    Und wieso braucht so ein Mensch dann noch eine ausländische Staatsbürgerschaft?

  4. Pingback: Die Optionsfalle « BlogIG – Migrationsblog der InitiativGruppe

  5. Lionel sagt:

    Wozu braucht ein normaler Mensch zwei oder mehr Pässe?
    Die überwältigende Mehrheit in diesem Land kommt mit einem Pass aus – der wird nicht automatisch ein weiterer Pass für mindestens 23 Jahre geschenkt.
    Genau das bewirkt die Optionsregelung: Das Geschenk der deutschen Staatsbürgerschaft auf dem Silbertablett.

    Aber fast 23 Jahre Bedenkzeit, um sich für die Staatsbürgerschaft des Landes, in dem man geboren wurde, in dem bereits die Eltern geboren wurden, und in dem die Großeltern den größten Teil ihres Lebens verbracht haben, reichen wohl für die Angehörigen der 3. Generation (um die handelt es sich zumeist) nicht aus.
    Um sich endlich zu entscheiden was sie wollen und wo sie hingehören.

  6. Lothar Schmidt sagt:

    „Um sich endlich zu entscheiden was sie wollen und wo sie hingehören.“

    Warum wohl jubeln die türkischen Jugendlichen, auch wenn sie in der 4.Generation hier leben, mit der türkischen Fahne? Weil sie sich doch schon längst entschieden haben. Sie sind Türken by heart. Der deutsche Pass ist peinlich aber vereinfacht das Leben hier halt um einiges.

  7. Non-EU-Alien sagt:

    @ GERO: „Wem die deutsche Staatsbürgerschadft nicht den Verzicht der türkischen wert ist, der soll es eben bleiben lassen.

    Man sollte aber das dennoch das Optionsmodell ganz abschaffen und den hier Geborenen gleich NUR die deutsche Statsbürgerschaft verleihen – dann gäbe es Ruhe.“

    _______________________________________________

    Ich habe mit dieser Sichtweise kein Problem, wenn es für ALLE gelten würde! Aber selektives Handeln kann nicht akzeptiert werden. Wieso sprechen Sie hier von Türken und nicht von Ausländern im Allgemeinen?

  8. Lionel sagt:

    @ Lothar Schmidt

    Das stimmt wahrscheinlich so.
    Wenn sich jemand zu einer bestimmten Nationalität bekennt, dann ist das zu akzeptieren.
    Er müsste aber seinerseits akzeptieren, dass man ihn, wenn er die deutsche Staatsangehörigkeit aus reiner Nützlichkeit angenommen hat, als Pass-Deutschen bezeichnet.

  9. Johann Hartmann sagt:

    Wie mehrere meiner Vorforisten habe auch ich immer noch nicht verstanden, warum man eine doppelte Staatsbürgerschaft braucht. Es sei denn, man erhofft sich davon Vorteile, für jetzt, vor allem aber für Gegebenheiten, die in der Zukunft auftauchen könnten: politische oder gar militärische Wirren (ICH bin kein Deutscher bzw. ICH bin Türke und vice versa), Ausweichmöglichkeiten in die Türkei aus steuerlichen oder strafrechtlichen (sic!) Gründen oder Fragen der Ehe, der Scheidung, des Erbrechts(!) etc.. In jedem dieser Fälle handelt es sich um eine Vorteilsnahme gegenüber den Bürgern, die schon seit Generationen brav und nur mit einem Pass in diesem Land leben. Der Hinweis, man möchte seine Verwandten in der Türkei besuchen können, ohne lästige Visa erwerben zu müssen, ist m.E. lediglich vorgeschoben. Meine Enkeltochter ist in Japan verheiratet. Soll ich mir nun einen japanischen Zweitpass zulegen?

  10. Lothar Schmidt sagt:

    @Non-EU-Alien

    vielleicht meint Gero dass gar nicht so. Die Türken echauffieren sich darüber am lautesten, vielleicht fällt das so mehr ins Auge.