Optionspflicht

„Ich werde die Verantwortlichen abwählen“

2013 fallen die ersten Betroffenen der Optionsregelung im Staatsangehörigkeitsrecht zum Opfer. Sie verlieren den deutschen Pass. Emre (20) will sich frühzeitig entscheiden, um wählen zu dürfen. Dann wolle er die Verantwortlichen abwählen.

Dienstag, 08.01.2013, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 14.01.2013, 13:35 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Die Optionspflicht, einst als Zwischenlösung von der FDP vorgeschlagen und von CDU und SPD hingenommen, entpuppt sich zunehmend als fauler Kompromiss. Nicht nur der bürokratische Mehraufwand mit unnötigen Kosten, die Regelung wird auch der Lebenswirklichkeit der meisten Betroffenen nicht gerecht, wie ein aktueller Fall aus Hessen zeigt.

Dort verlor eine 23-jährige Hanauerin ihren deutschen Pass, weil sie nicht rechtzeitig zwischen deutscher und türkischer Staatsangehörigkeit gewählt hat. Dabei hätte sie am liebsten den deutschen Pass behalten. Die Behörde sieht keinen Spielraum.

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Kein Einzelfall
Die Hanauerin ist kein Einzelfall und auch nur der Anfang einer gewaltigen Lawine. Bis zum Jahr 2026 werden geschätzte 386.000 Menschen optionspflichtig. Sie müssen sich zwischen dem 18. und 23. Lebensjahr zwischen zwei Staatsbürgerschaften entscheiden – entweder die Deutsche oder die der Eltern. Tun sie das nicht, müssen sie das gleiche Schicksal wie die Hanauerin teilen.

Stellt sich die Frage nach dem „Wieso“? Bereits seit Jahren erfolgt weit mehr als jede zweite Einbürgerung in Deutschland unter Hinnahme der doppelten Staatsbürgerschaft. Und das bezieht sich nicht auf EU-Bürger allein. Auch bei Türkeistämmigen beträgt die Doppelpassquote im Bundesdurchschnitt fast 28 Prozent, im Saarland liegt diese Quote sogar bei fast 70 Prozent. Wieso also ausgerechnet gut integrierte, in Deutschland geborene junge Doppelpassinhaber vor diese Entscheidung stellen?

Mensch zweiter Klasse
Emre (20), in Deutschland geboren, studiert Ingenieurwesen in Köln, empfindet das als „reine Schikane“. Über vermeintliche Loyalitätskonflikte, wie sie oft von Unionspolitikern eingewendet werden, kann er nur lachen. „Ein Grieche, Spanier oder ein Iraner bekommt doch auch einen Doppelpass“, sagt er dem MiGAZIN und fügt hinzu: „Die reden von Integration und Loyalität und torpedieren das mit solchen unsinnigen Regelungen. Ich werde das Gefühl nicht los, dass ich als Mensch zweiter Klasse behandelt werde.“ Mit dieser Meinung steht Emre nicht alleine da.

Die einzige Möglichkeit, die ihm bleibt, ist der Antrag auf eine Beibehaltungsgenehmigung. Damit könnte er beide Staatsbürgerschaften behalten. Voraussetzung ist, dass eines der Ausnahmeregelungen im Gesetz greift. Das ist beispielsweise dann der Fall, wenn die Entlassung aus der ausländischen Staatsangehörigkeit unzumutbar ist. Laut Rechtsexperte Prof. Kay Hailbronner kann Unzumutbarkeit schon dann vorliegen, wenn „ein Optionspflichtiger besonders enge familiäre Bindungen an im Ausland lebende Familienangehörige oder wirtschaftliche Bindungen an das Ausland hat“.

Musterformulare im Internet
Für den Antrag braucht Emre kein amtliches Formular. „In Nordrhein-Westfalen ist das formlos möglich“, erklärt er. Informiert hat er sich im Internet, unter anderem auch bei der Bertelsmann Stiftung. Dort steht das Wesentlichste, was man für diesen Antrag wissen muss. Für Betroffene aus anderen Bundesländern gibt es dort auch schon vorformulierte Musterbögen für den Beibehaltungsantrag.

„Wenn die uns mit solchen Gesetzes in die Quere kommen, muss man eben schauen, wie man trotzdem zum Recht kommt. Ich sehe nicht ein, wieso ich im Vergleich zu EU-Bürgern schlechtergestellt werden sollte. Ich bin hier geboren“, sagt der 20-Jährige. Das ist sein Glück: Denn der Antrag muss zwischen dem 18. und dem 21. Lebensjahr gestellt werden. Einen Termin bei der örtlichen Behörde hat er schon.

Gegen die Optionspflicht wählen
Ob sein Antrag Erfolg haben wird, kann er noch nicht einschätzen. Zwar sind die Gesetze überall dieselben, doch werden sie unterschiedlich ausgelegt, hat er sich erklären lassen. Vor allem die Ausnahmevorschriften im Staatsangehörigkeitsgesetz seien schwammig formuliert. „Vielleicht erwische ich einen netten Sachbearbeiter“, hofft Emre.

Für den Fall, dass sein Antrag erfolglos bleiben sollte, wird er die deutsche Staatsbürgerschaft behalten, ist er sich jetzt schon sicher. Ihm werde die Trennung vom türkischen Pass aber schwerfallen, sagt er in die Leere blickend. Seine innere Zerrissenheit kann er nicht überspielen. „Trotzdem.“ Er habe dann noch eine offene Rechnung begleichen: „Es wird mir eine große Freude sein, bei jeder Wahl gegen all diejenigen zu wählen, die diesen Mist verzapft haben, so lange, bis ich akzeptiert werde, wie ich bin: mit zwei Herzen in der Brust.“ (bk) Leitartikel Politik

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  1. Deniz Yildirim sagt:

    Den Emre und viele Andere in der Situation kann ich sehr gut verstehen. Wenn er auf der Suche nach einer politischen Alternative ist, kann ich uns, die Piratenpartei (Hessen) empfehlen. Auf meine Initiative hin, wurde der Antrag die Optionspflicht abzuschaffen mit großer Mehrheit ins Programm aufgenommen. https://www.piratenpartei-hessen.de/unsere-ziele#k13
    Also Emre, sei selbst die Veränderung, die du dir wünschst.
    Grüße Deniz Y. Piratenpartei Hessen

  2. Werner sagt:

    Die Türkei kommt (hoffentlich) bald eine neue, EU-taugliche Verfassung. Dann wird auch von türkischer Seite der doppelten Staatsangehörigkeit ein Riegel vorgeschoben werden. Dann sind endlich die Verhältnisse klar. Und aus Ausländern werden endlich Mitbürger.

    Die Klarstellung welche Staatsbürgerschaft gilt, ist auch für die Betroffenen nicht nur ein Nachteil. In Fragen z.B. der Steuer und des Militärdienstes kann die sog. „doppelte“ Staatsangehörigkeit auch unangenehme Seiteneffekte haben.

    Also, solange es die beiden unabhängigen Staaten Türkei und Deutschland gibt, wird man sich auch immer irgendwann für die eine oder andere Staatsbürgerschaft entscheiden müssen.

  3. Feriah F. sagt:

    Mir geht es genau so. Obwohl ich hier geboren bin und einen deutschen Pass habe, wünschte ich mir damals meinen türkischen Pass behalten zu dürfen, aber ich musste mich entscheiden. Ich bin ein Deutsch-Türke und bin stolz darauf. Ich liebe beide Länder. Leider wird man hierzulande auf eines von beiden reduziert, so dass man sich nicht zugehörig, sondern Bürger 2. Klasse fühlt.

  4. Lothar Schmidt sagt:

    @Feriah

    Kann man sich nicht als Deutsch-türke fühlen, wenn man nur einen deutschen Pass hat? Was hat ein Fetzen Papier damit zu tun?

  5. Migrantin sagt:

    Fragen Sie das mal die zigtausende Deutschen, die in den USA leben und (meist mit Erfolg) beantragen, die Deutsche Staatsbürgerschaft behalten zu dürfen, wenn sie die US-Staatsbürgerschaft annehmen.
    Man möchte halt zurückkehren können, wenn die Mutter in Deutschland pflegebedürftig wird, man arbeitslos wird oder ein behindertes Kind bekommt und Hilfe von Angehörigen braucht. Oder wenn man seinen Lebensabend im geerbten Elternhaus verbringen möchte. Ach ja, viele fühlen sich aber auch einfach als Deutsche und wollen trotzdem volle Rechte in dem Land haben, in dem sie Jahrzehnte leben und Steuern zahlen.

    Menschlich, nicht?

    P.S. Die Kinder von Deutschen, die in den USA geboren werden, bekommen per Geburtsrecht einen deutschen Pass zusätzlich zu dem amerikanischen, die sie auch erhalten. Den eigenen Bürgern möchte man also keine Optionspflicht ausdrücken.

  6. Werner sagt:

    Ich weiß nicht, ob die USA so ein gutes Beispiel sind! Ich wünsche Euch (den türkischen Einwanderern) wirklich nicht, was den deutschen Einwanderern nach USA widerfahren ist!

    Nach türkischer „Denke“ sind es nicht nur Zigtausende sondern Zigmillionen „Deutsche“, die in USA leben. Und es ist nach meinen Erkenntnissen mitnichten so, dass die USA die doppelte Staatsbürgerschaft akzeptieren würden. Ich weiß von einem konkreten Fall, wo die USA – trotz nach Deutschland zurückgekehrter und potentiell pflegebedürftiger Eltern – den Doppelpaß abgelehnt haben mit Verweis auf die „Geschichte“!!

    Mir fällt bei dieser Diskussion immer auf, wie wenig unsere Auländer sich selbst als Einwanderer begreifen. Für einen Einwanderer, einen Immigrant, wäre es nur selbstverständlich, den deutschen Paß schnellstmöglich anzustreben. Spätestens in der Folgegeneration, also bei den Kindern. Die Option, die Entscheidung sollte bei der Geburt fallen – wie in den USA!

    Nicht erst mit 21 Jahren – wie bei uns. In diesem Sinne gehört die Optionspflicht abgeschafft.

    Entscheidet Euch, seid Ihr Einwanderer oder „Migranten“. Also, der Vorwurf, dass Deutschland sich nicht als Einwanderungsland begreife, richtet sich auch an Euch!

  7. Helmut sagt:

    Man muss sich halt irgendwann entscheiden, ob man nun wirklich zum Deutschen werden will oder doch lieber seine alte Nationalität bewahren möchte. Wenn man heiratet, muss man sich – jedenfalls in Deutschland – schließlich auch für die Richtige oder den Richtigen entscheiden und kann sich darüber hinaus nicht noch andere Optionen offen halten. So, finde ich, sollte man es auch mit der Staatsbürgerschaft halten. Wer sich nicht entscheiden kann, läuft Gefahr, dass ihm „die Richtige“ oder „der Richtige“ nie wirklich über den Weg läuft und er oder sie zeitlebens nur ohne Orientierung herum irrrlichtert. Mir persönlich reicht es, um meine innere Verbundenheit mit Frankreich und die innere Verbundenheit meiner Frau mit Italien zu wissen. Was sollen da Staatsbürgerschaften aus purer Nostalgie? Wer seine alte Heimat oder die Heimat seiner Verwandten irgendwann mit dem Blick eines Deutschen betrachtet, ist dort schlussendlich fremd geworden. Da kann man die alten Papiere beim Passieren der Staatsgrenze genauso entsorgen wie früher die Knöllchen wegen Falschparken in Paris oder Rom.

  8. Pingback: Doppelpass – Sachverständigenrat fordert Aussetzung der Optionspflicht | MiGAZIN