Offener Protestbrief

BAMF soll Asyl-Unterstellung „Zuzug in die Sozialsysteme“ erklären

Ein Großteil der Asylbewerber sei „Zuzug in die Sozialsysteme“. Das steht in einer offiziellen BAMF Informationsbroschüre. Für den Parlamentarischen Staatssekretär beim BMI, Ole Schröder (CDU) ist das eine „Tatsache“. Jetzt soll sich auch der BAMF-Präsident erklären.

Montag, 03.12.2012, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Freitag, 07.12.2012, 8:18 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Mitte November berichtete das MiGAZIN über eine Informationsbroschüre des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Darin wird behauptet, dass der „weitaus größte Anteil“ der Asylbewerber im Jahr 1992 „den Zuzug in die deutschen Sozialsysteme beabsichtigte“. Eine MiGAZIN-Nachfrage beim BAMF, auf welchen Daten diese Aussage basiert, konnte ein Mitarbeiter der zuständigen Abteilung nicht beantwortet. Das wisse er nicht. Er sei überfragt.

Wenige Tage später legte das Bundesinnenministerium (BMI) in seiner Antwort auf eine schriftliche Frage der migrationspolitischen Sprecherin der Linksfraktion, Sevim Dağdelen, nach. In der BAMF-Broschüre würden „Tatsachen“ benannt: „1992 konnte in der ganz überwiegenden Mehrzahl der Asylverfahren kein Schutzbedarf festgestellt werden, bereits die Ausreise aus den Herkunftsländern erfolgte daher aus asylfremden, insbesondere wirtschaftlichen Gründen“, so Ole Schröder (CDU), Parlamentarischer Staatssekretär beim BMI. Woraus sich das ergibt, teilt Schröder in dem Papier, das dem MiGAZIN vorliegt, nicht mit.

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Protestbrief an BAMF-Präsident
Bleibt abzuwarten, ob BAMF-Präsident Manfred Schmidt eine Erklärung hat. In einem offenen Protest-Brief fordern die Linkspolitikerinnen Ulla Jelpke und Dağdelen ihn auf, die Broschüre zu korrigieren. „Aus unserer Sicht ist die genannte Aussage eine nicht zu rechtfertigende und nicht zu entschuldigende sprachliche Entgleisung“, heißt es darin.

Die Behauptung, „ist a) nicht nur nicht belegbar, es ist auch b) falsch und fördert c) eine gefährliche rechtspopulistische Stimmungsmache gegen Asylsuchende“, so die Linkspolitikerinnen weiter. Sie stützen sich auf das Asylverfahrensgesetz. Danach führt die Flucht vor Krieg und Bürgerkrieg zu einer Ablehnung eines Asylantrags als „offensichtlich unbegründet“. Aus diesem Grund lässt die Ablehnung des Asylantrags nicht darauf schließen, die Asylanten würden in die „deutschen Sozialsysteme“ einwandern.

Unverschämtheit
Hinzu kommt, dass gerade im Jahr 1992 sehr viele der Asylsuchenden aus dem Bürgerkriegsgebiet des zerfallenden Jugoslawiens kamen. Das Land war 1992 das bedeutendste Herkunftsland von Asylsuchenden. „Ihnen zu unterstellen, sie hätten im Asylverfahren keinen Schutzbedarf geltend machen können und seien deshalb aus asylfremden, insbesondere wirtschaftlichen Gründen ausgereist, wie es Staatssekretär Dr. Schröder in seiner Antwort auf die Schriftliche Frage indirekt tut, ist eine Unverschämtheit“, so Jelpke und Dağdelen in dem Brief.

Download: Die BAMF-Broschüre „Das deutsche Asylverfahren – ausführlich erklärt“ sowie das offene Protestbrief an BAMF-Präsident Manfred Schmidt.

Auch seien im Jahr 1992 selbst solche Schutzbedürftigen als „abgelehnte Asylbewerber“ statistisch erfasst worden, die als Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt worden waren. Gleiches gelte für Menschen mit subsidiären Schutzansprüchen, d.h. für Menschen, bei denen zwar keine politische Verfolgung, aber rechtliche oder humanitäre Abschiebungshindernisse festgestellt wurden. „Wie viele Personen diese verfälschende statistische Wahrnehmung betraf, ist im Nachhinein nicht mehr feststellbar, aber der Bezug von Sozialhilfeleistungen war für all diese Menschen jedenfalls nicht das Motiv zur Flucht“, stellen die beiden Linkspolitikerinnen fest.

Verantwortungslos
Die verleumderische Redewendung vom „Zuzug in die Sozialsysteme“ sei nicht nur inhaltlich falsch, sondern angesichts der verfestigten und wissenschaftlich immer wiederbelegten rassistischen Einstellungen in Teilen der Bevölkerung für „fatal und verantwortungslos“.

Dass Asylsuchende zumeist zur Untätigkeit gezwungen und vom Sozialsystem abhängig seien, liege vor allem an den arbeitsrechtlichen Beschränkungen, die der deutsche Gesetzgeber den Asylsuchenden auferlegt habe (Arbeitsverbot und Vorrangprüfung) – nicht aber an ihrer vermeintlichen Absicht, hier von Sozialleistungen leben zu wollen. (bk) Leitartikel Politik

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  1. aloo masala sagt:

    @Soli

    —-
    Von Verfolgung sprechen da die wenigsten.
    —-

    Da wissen Sie offenbar mehr als das BAMF.

  2. Tai Fei sagt:

    Soli sagt:
    3. Dezember 2012 um 15:13
    „@Tai Fei: Viele der hierherkommenden Menschen sagen doch sogar: Es geht ihnen in ihrem Land sehr schlecht, keine gute wohnung, keine gute medizinische Versorgung, nur sehr wenig Kindergeld etc
    Von Verfolgung sprechen da die wenigsten. wäre auch merkwürdig denn gegen eine “Pauschale Vergütung” gehen viele wieder in ihre Ursprungsland zurück. Jemand der ernsthaft verfolgt wird, der würde das wohl kaum machen, oder?
    In diesem Zusammenhang – vor allem die Zahlen der Aslybewerber aus Rumänien und Bulgarien sind “explodiert”. Von Jugoslawien redet da keiner.“

    Mein Kommentar war auf folgenden Text bezogen:
    Soli sagt:
    3. Dezember 2012 um 09:29
    „Ja was ist denn nun mit den vielen Asylsuchenden aus Serbien und Montenegro? Es kann dohc keiner ernsthaft glauben, dass die da komlpette Dörfer “verfolgen”. Nein, die kommen hier her weil es hier Leistungen gibt die sie im eigenen Land eben nicht bekommen. soweit ja auhc nicht mal verwerflich, wer würde das nicht versuchen?“

    Serbien und Montenegro liegen nun mal in Ex-Jugoslawien. Und genau dort haben sowohl NATO als auch die EU offiziell gegen Völkermord, ethnische Säuberungen und Kriegsverbrechen interveniert. Das schließt definitionsgemäß die Verfolgung kompletter Dörfer mit ein.

    Wie schon gesagt, sobald es um Menschen geht, fühlt sich ganz plötzlich niemand mehr verantwortlich.

  3. Harald sagt:

    Wer Asyl braucht, soll es bekommen. Und wer kein Asyl braucht und es nur aus wirtschaftlichen Gründen beantragt, soll es nicht bekommen. So einfach ist das.

    Eine Lösung könnte darin bestehen, die Asylverfahren auf Höchstgeschwindigkeit zu beschleunigen. Denn wenn jeder Asylbewerber noch am selben Tag, an dem er seinen Asylantrag stellt, den Bescheid bekommt, ob er nun anerkannt wird und bleiben darf, oder ob er abgelehnt wird und in seine Heimat zurückkehren darf, dürfte sich das Problem der Wirtschaftsflüchtlinge von selbst erledigen.

    Dann gäbe es nur noch anerkannte Asylbewerber in Deutschland, und das wäre doch eine gute Sache.

  4. aloo masala sagt:

    @Fragender

    —-
    Frage an die Redaktion: Gibt es nun Wirtschaftsflüchtlinge oder nicht?
    —-

    Was eine billige Suggestivfrage. Natürlich gibt es Wirtschaftsflüchtlinge. Was es aber vor allem auch gibt ist, die Opfer als Täter zu denunzieren, nämlich aus Asylbewerbern schmarotzende Wirtschaftsflüchtlinge zu machen. Das BAMF ist hier eine Erklärung schuldig und tut sich damit offenbar sehr schwer. Solange die Erklärung fehlt, handelt es sich hier um eine plumpe Denunziation.

  5. gedanke sagt:

    Ich sehe Asylanten nicht als ausnutzer der Sozialen Hängematte,ich finde eher jene Menschen als Zecken die ihre irgend wie erworbenen Millionen am Fiskus vorbei ins Ausland schleusen.

    Wenn man bedenkt sich hier wegen ein paar Hundert Euro aufzuregen aber im gegenzug die Politiker Milliarden irgend wohin in die Luft Blasen nicht anprangert.

    Ich finde es ebenso verwerflich den Asylanten vorwirft uns die Haare vom Kopf zu fressen aber selber Pro Kopf und Jahr 80 Kilo verwertbare Lebensmittel einfach in die Mülltonne wirft.

    Was für eine heuchelei im Großformat!

  6. Pingback: Eingesehen – BAMF streicht Asyl-Behauptung: “Zuzug in deutsche Sozialsysteme” | MiGAZIN

  7. Mama warum bin ich anders?

    Mein Kind, weil die anderen dich so sehen,
    nicht in dich, flüchtig, fremd, ängstlich.
    Angst teilen müssen, nicht gestehen,
    Fremde nur zum Dienen, gespenstisch.

    Wir sind geflohen, Tod, eingedrungen,
    Hautfarbe, Sprache zum Makel.
    Unser hier ihnen aufgezwungen,
    wir bettelnd, ihr Ehr, ihr Spektakel.

    Ihr Wohlstand, Überfluss, uns beraubt,
    ihre Waffen schossen Vater nieder.
    Mitleid, Spenden in Billigkeit verstaut,
    kamen Peiniger, Schiffe immer wieder.

    Nur hier sehen wollen sie dich nicht,
    Mensch wird erst durch ihre Geburt.
    Hier geboren schauend ins Licht,
    du im Sand, mit Ihnen gehurt.

    Er kam als Tourist, weil ich billig bin,
    wir hunger hatten, wir allein.
    Hilfsorganisationen mittendrin,
    am Strand, im Dreck, auf einem Stein.

    Nur sehen will er dich nicht,
    singt im Kirchenchor, hat die Seinen.
    Weit weg fällt Trauer nicht ins Gewicht,
    hier fickt er im Bett, nicht auf Steinen.

    Du bist nicht anders, eher besonders,
    du weißt um die Fremde, die Einfachheit.
    Wer schaut, nicht fragt, die tun das,
    was dich bewegt, in Erinnerung bleibt.
    Frank Poschau
    28.08.12

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