Unfaire Rollenverteilung
Die Theorie der selbsterfüllenden Prophezeiung
Die Theorie der selbsterfüllenden Prophezeiung besagt, dass Vorhersagen aufgrund der positiven Rückkopplung zwischen Glauben und Verhalten, von selbst wahr werden.
Von Alev Dudek Montag, 19.11.2012, 8:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 19.02.2013, 11:45 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Ständig werden in Deutschland Studien publiziert, Artikel veröffentlicht, Diskussionen mit Experten geführt, die sagen, dass der Sprachstand und die Leistungen von sogenannten Migranten „problematisch“ sind und dass Migranten sich nicht integrieren.
Solche negativen Aussagen werden durch die ständige Wiederholung zu „Prophezeiungen“. Sie beeinflussen das Image und Selbstimage der Menschen mit Migrationshintergrund und behindern sie in ihrer persönlichen Entwicklung und Entfaltung. Die negativen Aussagen beeinflussen insbesondere die „Türken“, weil laut Studien, diese Gruppe sich „sogar“ unter den Migranten hervorhebt. Da Deutschland sehr darauf fixiert ist herauszufinden, „woher jemand kommt“, wird sehr schnell entschieden, ob jemand zu dieser oder einer anderen „Kategorie“ gehört. Und Menschen mit Migrationshintergrund können ihrer Etikette und dieser Prophezeiungen nicht entkommen. Verschärft wird die Situation zusätzlich durch fehlende Studien und Aufklärung über Diskriminierung und deren Auswirkungen.
Hinzu kommt, dass mithilfe dieser einseitigen Studien Rollen verteilt und diese „wissenschaftlich belegt“ werden. Es wird festgelegt, wer schwach und „hilflos“ ist und wer Hilfe braucht. Die Position der „Helfer“ – der deutsche Staat und die „Deutschen“ – werden dabei aufgewertet, während die „hilflosen“ Menschen, die Migranten, abgewertet werden. Die Helfer versuchen, den hilflosen zu helfen und sie auf ihre Stufe zu bringen.
Die Sache scheint aber aussichtslos zu sein. Obwohl die „Deutschen“ sich so viel Mühe geben, wollen und können diese Menschen, besonders die „Türken“, einfach nicht lernen und sich integrieren. Ist die mangelnde Intelligenz schuld?
Kommen wir zu den Auswirkungen in der Schule: Ahmet wird in der Schule nie eine Chancengleichheit haben. Seine Lehrerin wird ihn höchstwahrscheinlich durch ihre getrübte Brille von (unbewussten) Vorurteilen sehen, die sie aus den „wissenschaftlich belegten Befunden“ hat. Von seinem Namen wird sie schließen, dass er aus einem muslimischen Land kommt, dass sein Sprach- und Leistungsstand mangelhaft ist, dass seine Familie schlecht Deutsch spricht und dass er die Förderung, die er braucht, zu Hause nicht erhält.
Einige dieser Klischees mögen auf den Ahmet zutreffen, genauso wie sie auf einen Michael zutreffen können. Aber für Ahmet werden diese Klischees fatale Folgen haben. Die Lehrerin wird von Ahmet weniger erwarten als vom Michael. Sie wird die Leistungen vom Ahmet bewusst oder unbewusst höchstwahrscheinlich niedriger bewerten. Die Prophezeiungen werden sich für Ahmet immer wieder erfüllen. Höchstwahrscheinlich wird auch Ahmet weniger von sich erwarten und langfristig zu der Erfüllung dieser negativen Prophezeiungen beitragen.
Alle werden später froh sein, wenn Ahmet seinen Hauptschulabschluss macht, ohne jemals zu erfahren, dass er die Begabung gehabt hatte, Abitur zu machen, ein erfolgreiches Studium abzuschließen. Möglicherweise hätte seine Arbeit einen großen Beitrag gleistet. Man wird es nicht erfahren.
Und welche Rolle wird die Theorie der selbsterfüllenden Prophezeiung bei Emines Arbeitsuche spielen? Natürlich wird auch sie keine Chancengleichheit haben. Wegen ihres türkisch klingenden Namens wird man sie aufgrund von Vorurteilen in Schubladen stecken, auch wenn diese nichts oder wenig mit ihr zu tun haben. Wegen fehlender Diversity- und Inklusionsstrategien und fehlender Antidiskriminierungsarbeit in den Unternehmen wird ihre Chance sehr gering sein, eine Arbeit zu finden, die zu ihrer Qualifikation passt. Folge: Nach jahrelangen vergeblichen Bemühungen wird sie sich mit einer Stelle zufriedengeben, die unter Ihrem Leistungsniveau liegt.
Diese beiden beispielhaft aufgeführten Phänomene sind nicht auf die Schule oder den Arbeitsmarkt begrenzt. Viele Migranten werden tagtäglich daran gehindert, ihre Potenziale zu entfalten. Und dieser Status-quo ist für ein hoch entwickeltes Land wie Deutschland inakzeptabel.
Deutschland muss die Folgen dieser Exklusion begreifen und das Ausmaß der Diskriminierung, um dem ein Ende zu setzen. Hierfür ist allen voran ein Wechsel notwendig: weg von der sogenannten Integrationspolitik und hin zur Anti-Diskriminierungspolitik. Hinzu kommen müssen die Finanzierung von Studien, die der Diskriminierung auf den Grund gehen.
Sonst verliert Deutschland, weil es diese Potenziale nicht abrufen und daraus nicht schöpfen kann. Die Talentiertesten werden diesen Zustand nicht auf Dauer akzeptieren. Sie werden ihr Glück in einem anderen Land suchen, wo ihre Qualifikationen geschätzt werden und wo sie frei von bestimmten Etiketten leben können. Aktuell Meinung
Wir informieren täglich über das Wichtigste zu Migration, Integration und Rassismus. Dafür wurde MiGAZIN mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet. Unterstüzte diese Arbeit und verpasse nichts mehr: Werde jetzt Mitglied.
MiGGLIED WERDEN- Wieder Obergrenze CSU fordert Asylrecht-Aus und Abschiebung aller…
- Staatsanwalt Vater des Hanau-Attentäters provoziert Hinterbliebene
- Stoff für Populismus Bürgergeld: Was die gestiegene Ausländerquote bedeutet
- Netzwerke Führen aus der zweiten Reihe hat bei der AfD Tradition
- Europäischer Gerichtshof „Sicherer Drittstaat“ muss im gesamten Gebiet als…
- Rechte Stimmung bedient Asylbewerber arbeiten für 80 Cent die Stunde
Warum wird – zum größten Teil unbewußt, bzw. als Vorurteil – vorausgesetzt, daß der Leistungsstand und die -Fähigkeiten eines Schülers oder einer Schülerin mit Migrationshintergrund aus einem muslimischen Land geringer sind als diejenigen eines Schülers aus Deutschland oder einem anderen westlichen Land? Warum wird unbewußt der Universitätsabschluß einer Hochschule in Polen oder Rußland als geringerwertig eingestuft als derjenige einer Hochschule in einem westlichen Land?
Zu den „Prophezeiungen“, von anderen als „Meme“ oder zur Kommunikation auf gleicher Ebene hinderliche kulturelle und geistige Filter bezeichnet, siehe:
http://www.youtube.com/watch?feature=player_embedded&v=KCAPpUjYOQw.
Andreas Popp von der „Wissensmanufaktur“ fordert, daß solche Meme zunächst bei anderen und dann bei sich selbst erkannt werden müssen, um entfernt werden zu können.
Danke für den Hinweis Lynx.
Tatsächlich muss man sich die Frage stellen: „Warum wird unbewußt der Universitätsabschluß einer Hochschule in Polen oder Rußland als geringerwertig eingestuft als derjenige einer Hochschule in einem westlichen Land?“
Obwohl die Russen z.B. als erstes die Erde umrundeten, immer noch in der Weltraumtechnik einigen westl. Ländern voraus sind. Vielleicht spielen Medien eine große Rolle. In den meisten Filmen spielen Russen oder andere Osteuropäer die Figur des verrückten Terroristen oder des Zuhälters, die dann von den guten „Westlern“ zur Strecke gebracht werden. Ich kann mich an keinen Film erinnern, wo Russen usw. als Intellektuelle, Schriftsteller oder hochbegabte Forscher (außer für den Bau von Atombomben für Terroristen) dargestellt wurden. Der Ansatz der Anti-Diskrimiinierungspolitik wäre ein guter Anfang.