Mohammed-Schmähvideo

Ist der Islam krank oder der Westen?

Das Anti-Islam-Video sorgt weiter für Wirbel. Rückwärtsgewandte Religionsfanatik versus aufgeklärte Rationalität? Jakob Augstein (Der Freitag) und Nikolaus Blome (Bild-Zeitung) diskutierten auf Phoenix. Anja Tuchtenhagen hat sich die Sendung angesehen.

Von Montag, 24.09.2012, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 01.03.2016, 12:17 Uhr Lesedauer: 6 Minuten  |  

Die westliche Medienlandschaft brodelt. Der Grund sind muslimische Protestierende und Fanatiker, die sich gewalttätigen Übergriffen auf westliche Institutionen verschrieben haben. Die Protestierenden mobilisieren gegen religiöse Beleidigung, gegen Respektlosigkeit gegenüber dem Propheten Mohammad und der Religion des Islam.

Auslöser für den Aufruhr ist das aus den USA stammende anti-islamische Video, das seit Juli auf Youtube zirkuliert und später untertitelt in arabischen Medien ausgestrahlt wurde. In ihm werden Muslime als Christen abschlachtende Horde dargestellt und der Prophet Mohammed als Pädophiler ins Lächerliche gezogen. Schliesslich hat das Video am 11. September einen aufgebrachten Mob in Lybien dazu getrieben, die US-amerikanische Botschaft in Benghasi zu stürmen und den Botschafter zu ermorden. So lautet jedenfalls die gängigste Version der Geschehnisse. Ob der gewalttätige Übergriff nun tatsächlich direkt auf die Veröffentlichung des islamfeindlichen Filmes oder generell auf den Hass auf den Westen zurückzuführen ist, ist unklar. Klar ist jedoch, dass der Übergriff eine unbeschreibliche Greueltat an einem unschuldigen Individuum darstellt.

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Wie ist so etwas zu erklären? Eine Woche nach dem schrecklichen Vorfall diskutieren Jakob Augstein, Hauptverleger der Wochenzeitung Der Freitag und Nikolaus Blome, Leiter des Hauptstadtbüros der Bild-Zeitung auf Phoenix über die neueste Welle muslimischer Empörung. Die Diskussion flimmert unter dem Titel: „Mohammed Schmähvideo – ist der Islam krank oder der Westen?“ über den Bildschirm.

„Muslime sind selbst schuld an ihrem schlechten Ruf“
Augstein eröffnet die Debatte, indem er sich über die einseitige Medienberichterstattung im Westen empört, die die Muslime als Bösewichte und religiöse Fanatiker über einen Kamm schere: „Wer hat über die acht Lybier berichtet, die bei dem Versuch ihre fanatischen Landsmänner an dem Sturm auf die Botschaft zu hindern ums Leben kamen?“. Das gewalttätige Bild, das viele Menschen im Westen von Muslimen haben, möge auf Pauschalisierungen beruhen, räumt Blome ein. Insofern gibt er Augstein Recht. Jedoch seien Muslime selbst für ihren schlechten Ruf im Westen verantwortlich, fährt er fort.

Dass die Medien verzerrte Bilder transportieren, die sich in ebenso verzerrte Meinungsbilder übersetzen und die wiederum zu Vorurteilen gegen ganze Bevölkerungsgruppen führen, findet er normal. Man konzentriert sich in der Berichterstattung auf diejenigen, die die Gewalttaten verüben und nicht auf diejenigen, die bei dem Versuch, ihre fanatischen Mitbürger aufzuhalten ihr Leben lassen. Herr Blome scheint das nicht weiter schlimm zu finden. Er begründet seine Meinung anhand eines einfachen Beispiels: Richte man eine Kamera konstant auf eine Strassenkreuzung, zeige man später nur den Zeitabschnitt in dem ein Unfall passierte, „denn dann ist da was schiefgelaufen“. Die 100 Autofahrer, die zuvor bei grünem Ampellicht die Kreuzung überquert haben, haben keinen Nachrichtenwert. Damit liegt Blome im Bereich des faktisch Richtigen. Jedoch geht es hier nicht darum, dem unwissenden Zuschauer die Theorie des Nachrichtenwertes zu erläutern. Es geht vielmehr um eine moralische Bewertung der Geschehnisse. Man lernt bereits in der deutschen Sekundarstufe II, wie subjektiv die Nachrichtenwerte von Ereignissen konstruiert werden. Vor dem Hintergrund des journalistischen Wahrheitsauftrages könnte man sich deshalb gehalten sehen, diese Methode der Nachrichtenwertkonstruktion zu kritisieren. Und sollte man als Journalist nicht sogar versuchen, genau daran etwas zu ändern?

Blick in die Geschichte: Fehlende Aufklärung als Ursache?
Augstein betont, dass die Machthaber in muslimischen Ländern die Religion instrumentalisieren und ihre Bevölkerungen zu ihren Gunsten manipulieren. Dazu käme ihnen solch ein „propagandistisches Machwerk“ wie es der Film ist nur gelegen. Blome prangert hingegen die Rückwärtsgewandtheit der islamischen Religion an. Letzterer gibt er die Schuld an den fehlenden demokratischen Verhältnissen in muslimisch geprägten Ländern. Was „in dieser Religion schieflaufe“ sei, dass der Islam nicht wie das Christentum eine Periode der Aufklärung durchgemacht habe. Deshalb könnten freiheitlich-demokratische Werte in einer muslimischen Gesellschaft nicht Fuss fassen. Will er damit sagen, dass Menschen in freiheitlich demokratischen Systemen keine Gewalttaten verüben? Oder dass sie nicht aus irrationalen, rassistischen oder fanatisch-religiösen Gründen ihren Mitmenschen Schaden zufügen? Das wäre gewagt, denn ein Blick in Polizeiberichte und Kriminalstatistiken würde schnell das Gegenteil beweisen. Warum Blome also in diesem Zusammenhang Freiheit und Demokratie anspricht, bleibt unersichtlich.

„Wir glauben doch alle inzwischen, dass der Islam eine grundsätzlich gewalttätige Religion ist“, paraphrasiert Blome weiter. Dabei scheint er nicht zu merken, dass er selbst damit das Bild vom aufgeklärten christlichen Westen, das er zu vertreten scheint komplett untergräbt. Und weil er sich mit dem „wir“ in die Gruppe einschließt, das des kritisch denkenden Journalisten ebenfalls. Wie sollte sich ein vorbildlich aufgeklärtes, kritisches und rational denkendes Volk, das unter einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung lebt zu solchen Pauschalurteilen hinreissen lassen? Jakob Augstein scheint sich das auch zu fragen, er runzelt des öfteren die Stirn über die Argumente seines Gegenübers.

Meinungsfreiheit über alles?
Worin sich beide offenbar einig sind ist, dass man die Ausstrahlung des Films nicht verbieten solle. „Wegen der Meinungsfreiheit“, meint Augstein gleich zu Anfang der Sendung. Egal was den Produzenten -einen in den USA lebenden, aus Ägypten stammenden koptischen Christen- dazu gebracht hat, ein derart beschämendes Werk zu produzieren: Das Stichwort Meinungsfreiheit hätte ein guter Ausgangspunkt für eine fruchtbare Diskussion sein können. Diese bleibt jedoch leider aus. Die philosophischen Fundamente, auf denen der reisserische Titel der Sendung begründet sein könnte, werden nicht freigelegt. Die provokativ-plakative Fragestellung läuft fade ins Leere -trotz der offensichtlichen Aufgebrachtheit der beiden Diskutierenden.

Sie begnügen sich mit einem lediglichen Kratzen an einer glatten Oberfläche. Dabei sind die fundamentalen Fragen zu den neuesten Ereignissen von philosophisch-moralischem Charakter. Erstens ist abzuwägen, ab welchem Punkt der eigene Freiheitsanspruch anfängt andere zu verletzen. Wenn man diesen Punkt gefunden hat, sollte man sich zweitens fragen, ob und bis zu welchem Grad man es vertreten möchte, durch diesen Anspruch andere zu verletzen. Dabei hilft es nicht, eigene Maßstäbe anzulegen. Ob sich jemand verletzt, beleidigt oder angegriffen fühlt, beruht auf subjektiven Emotionen. Wann und in welchem Ausmaß solche Emotionen hochkochen ist davon abhängig, wie derjenige seine jeweilige Identität konstruiert. Wenn jemand einen Grossteil letzterer auf der Zugehörigkeit zu einer Religion aufbaut, verletzt man ihn persönlich, wenn man diese Religion auf aggressive Weise angreift. Man muss das nicht verstehen, man sollte aber versuchen, diese „Empfindlichkeit“ zu tolerieren. Die Trennlinien zwischen Kritik und Angriff sind dabei immer verschwommen weil sie subjektiv empfunden werden. Bezüglich des Mohammed „Schmäh“-Videos kann man davon ausgehen, dass die Mehrheit der Muslime, ob religiös oder nicht, es eher als Angriff auffasst. Diese Auffassung teilen wohl auch die meisten Nicht-Muslimen, die sich das Filmchen anschauen.

Kranke Individuen
Eigentlich ist der Film zu schlecht, um überhaupt als propagandistisch bezeichnet werden zu können. Schaut man ihn sich an, schaut man lieber gleich wieder weg. Hass auf Muslime und die Lust an niveauloser Beleidigung machen es fast unerträglich, die zwölf Minuten Sendezeit durchzustehen. Dennoch hat das Video an Muslimen überall auf der Welt propagandistische Wirkung entfaltet. Und das war wohl ganz im Sinne des Erfinders. Das ist wirklich schade und ich würde mir wünschen, dass die religiösen Muslime unter uns in der Lage wären, über eine solche von einer Einzelperson produzierten Peinlichkeit hinwegzusehen.

Man muss von ihnen, wie von jedem anderen auch, erwarten können, mit Angriffen auf ihre Identität fertig zu werden. Wer dazu nicht imstande ist läuft Gefahr, irrationale Racheakte an Unschuldigen zu verüben. Diejenigen sind die eigenlich Kranken. Sie sind Individuen und nicht ganze Gesellschaften. Aktuell Meinung

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  1. Volker sagt:

    Meinungsfreiheit ist so ein hohles Argument in dieser Debatte, insbesondere in Deutschland.

    Nehmen wir mal an, rein hypothetisch, der Film handele nicht von Muslimen, sondern, nein, nicht von Christen, es reicht schon, dass er von Juden handelte – die mag zwar auch keiner, aber es sagt kaum jemand so offen.
    Geben wir ihm nun einen griffigeren Namen, der der veränderten Religion Rechnung trägt, vielleicht „Jud Süß“ oder „Der ewige Jude“ oder sowas in der Richtung.
    Und nun überlegen wir alle nochmal zusammen, ob dieser Film durch das Recht auf Meinungsfreiheit geschützt werden sollte. Na?

  2. Zara sagt:

    @Volker: Gegen Juden wird jeden Tag schlimmer in Deutschland gehetzt, so zu tun als dürfe man gegen Juden sagen, ist ein klassisch antisemitisches Klischee und Jud Süß und Der ewige Jude werden bspw. in kommentierter Version in Museen gezeigt, das soll ja nach dem Willen nicht weniger auch selbst verboten werden.

    Außerdem richten sich Jud Süß und der Ewige Jude „gegen das zersetzende jüdische Element in der Bevölkerung“, Innocence of Muslims macht sich über einen Religionsstifter lustig.
    Den Unterschied muss ich nicht erklären, oder?

    Ansonsten ist Augstein mit Rether wohl eine der widerlichsten Figuren im deutschen Fernsehen. Jemand, der Muslime nichts als gleichberechtigte Bürger, sondern als „edle Wilde“ sieht und so tut als würde er sich für die einsetzen, damit er gegen Amerika und Israel hetzen kann, ohne als das dazustehen was er ist- ein rassistischer Salon-Kommunist.

    Blome argumentiert meist nüchtern, bei den meisten hat er wohl schon wegen seinem ARbeitgeber verschissen.

  3. Mercks sagt:

    Ich habe mir gestern den Film „Das Leben des Brian“ angekuckt. Wie dort über das Christentum hergezogen wird ist echt krass! Und diesen Film haben Millionen von Menschen schon gesehn und wird von christlichen Religionslehrern mittlerweile sogar im Unterricht gezeigt.

    Also ich bin der Meinung, dass die Muslime (ob radikal oder gemässigt) nur durch ihre Proteste und Demonstrationen diesen Film bekannt gemacht haben. Ja, es waren die Muslime die die meiste (und einzige) Werbung für diesen Film gemacht haben und nun will die gleiche Gruppe auch noch eine öffentliche Vorführung verbieten lassen. Tut mir leid, aber die weltweite muslimische Community hat sich schon seit langem nicht mehr so blamiert, wie mit dieser Aktion. Peinlichst!

    Reden ist Silber. Schweigen ist Gold.

  4. Max Hoffmann sagt:

    „Ob sich jemand verletzt, beleidigt oder angegriffen fühlt, beruht auf subjektiven Emotionen. Wann und in welchem Ausmaß solche Emotionen hochkochen ist davon abhängig, wie derjenige seine jeweilige Identität konstruiert. Wenn jemand einen Grossteil letzterer auf der Zugehörigkeit zu einer Religion aufbaut, verletzt man ihn persönlich, wenn man diese Religion auf aggressive Weise angreift. Man muss das nicht verstehen, man sollte aber versuchen, diese „Empfindlichkeit“ zu tolerieren.“
    Das ist ein wichtiger Punkt. Zunächst ist festzustellen, dass es außerordentlich problematisch ist, wenn jemand einen Großteil seiner Identität auf eine Religion aufbaut, weil man zwangsläufig in Konflikt mit der Realität gerät, wenn man diese mit fiktiven Maßstäben misst. Mit diesem Konflikt lebt jede Religion, im Islam wird er aber oft gewalttätig ausgetragen. Die Frage ist nun, ob und inwieweit die gesellschaftliche Umgebung, sofern sie säkular ist, diese fiktiven Maßstäbe tolerieren muss. Mein Standpunkt ist, dass eine derartige Toleranz da ihre Grenze hat, wo sie gesetzlich garantierte Rechte von Menschen beschneidet, die ihre Identität nicht auf einer Religion aufgebaut haben oder ihrer Religion nur soviel Platz einräumen, dass der Blick auf die Realität nicht verstellt ist. Denn die Frage sei erlaubt, oder schärfer formuliert, muss gestellt werden, wohin würde eine solche Toleranz führen?

  5. Volkan sagt:

    İch lebe und liebe den İslam und unsere morgenlaendische Kultur. İch finde es aber traurig,dass wiedermal jegliche Kritik mit dem Finger auf uns zeigt.
    Ja es stimmt ‚Das Leben des Brian‘ zieht über das Christentum her ,aber ich sehe auch das als Blasphemie an.
    Zweitens hat dieser Film keine Vorgeschichte…es ist eine von vielen Beleidigungen, die wir alle ‚hinnehmen ‚ sollen.
    EMPATHİE???? Kennt das jemand…lebt das jemand?Wisst ihr wie es ist, als Muslim zu leben…was es heisst staendig beaeugt zu werden, was es heisst staendig mit Vorurteilen zu kaempfen, sich staendig zu rechtfertigen???
    Aendert mal jemand die Kamerasicht und versetzt sich in unsere Lage?
    İn Deutschland ein Gesetz in Kraft treten zu lassen dauert. Aber wenn es um eins geht,was Muslime betrifft, kann es auch mal fix gehen (Beschneidung)! Jüdische Mitbürger haben in diesem, wie auch in vielen anderen Punkten, aehnliche bis gleiche Grundsaetze und werden erhört. Ein Ungleichgewicht! Argument dafür war, es geht um das Recht von Selbstbestimmung und das Zufügen von Schmerzen. Deutschland ist Waffenexporteur Nummer 2 in der Welt. Damit werden Kinder getötet, auf bestialische Weise. Wo ist der Massstab??? Wo bleibt euer demokratisches Denken da???Wo bleiben schnelle Gesetze bei Dönermorden?Oder die schnelle Lösung des Falles? Waere ein Wolkenkratzer in der Türkei oder İran mit 3500 Menschen zerstört worden,haette keiner nach 10 Jahren immernoch berichtet,geschweige denn Verstaendnis dafür, dass man im Gegenzug 1 Mil. Menschen dafür tötet. Hier zaehlt jedes Menschenleben…in Laendern , die keine erkenntliche Demokratie haben irgendwie nicht. Wer setzt hier den Massstab?
    Dazu sagt man nicht gewalttaetig, dafür hat man sogar Verstaendnis. Ja wir sind heissblütiger…aber heisst das, dass wir deshalb immer schuldig sind?

  6. Hyper On Experience sagt:

    @Volkan:

    Immer das Gleiche. Wenn die Argumente fehlen, wird schnell die Doppelzüngigkeit des Westens bemüht. Sie mögen in manchen Punkten sogar Recht haben, dass hat in dieser Diskussion allerdings nichts verloren. Oder wo sehen Sie den Zusammenhang zwischen Waffenexporten und dem Mohammed-Video? Darf man keine Meinung haben, weil sie eigene Regierung Waffen exportiert?
    Die Empathie, die sie ansprechen, ist für die Diskussion ungeeignet und irrelevant. Gefühle sind kein Maßstab für die Beurteilung erlaubten oder verbotenen Verhaltens. Verraten Sie mir doch, wie genau Sie religiöse Gefühle definieren? Und wer soll beurteilen, wann diese religiösen Gefühle verletzt sind? Die Betroffenen selbst oder Dritte?

  7. Naja sagt:

    @Volkan
    Sie dürfen aber nicht vergessen, dass der Islam nicht nur Opfer sondern auch Täteter ist. Täglich kann man im arabischen Fernsehen antisemitische Filme sehen und das schon im Kinderfernsehen.
    Wenn Sie für ein Verbot von verunglimpfenden Filmen sind, dann bitte auf beiden Seiten.

    Außerdem dürfen Sie nicht vergessen, dass auf der einen Seite ein Film aber auf der anderen Site Tote stehen. Natürlich ist der Film provokant und abscheulich, aber deshalb Menschen zu töten ist unverhältnismäßig.

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