Buschkowsky

Die Stimme des Blutes deines Bruders

Heinz Buschkowskys Vorabdrucke aus seinem offen rassistischen Buch “Neukölln ist überall” werden derzeit in der BILD-Zeitung abgedruckt. “Wo bin ich denn hier eigentlich? Ist das noch meine Stadt, meine Heimat?”, fragt sich Buschkowsky. Ja, möchte ich sagen, das ist Deine Heimat, und meine auch, und das was Du sagst haben schon viele vor Dir gesagt, und sie haben sich damit sogar sehr heimelig gefühlt.

Von Nadia Shehadeh Montag, 24.09.2012, 8:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 26.09.2012, 7:30 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

“Wir erziehen unsere Kinder zur Gewaltlosigkeit. Wir ächten Gewalt in der Begegnung und bringen das unserem Nachwuchs bei. Andere bringen ihren Jungs bei, stark, tapfer und kampfesmutig zu sein. Die Ausgangssituation ist einfach ungleich.”

Ich lese so etwas, und ich wundere mich nicht. “Im Zweifel gilt es, der ethnischen Schwester und dem ethnischen Bruder zu helfen.” Auch darüber wundere ich mich nicht. Ich denke: “Vox sanguinis fratris tui clamat ad me de terra.” Die Stimme des Blutes deines Bruders schreit zu mir von der Erde.

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Buschkowsky ist 1948 geboren. Ich kam 1980 auf die Welt. Als er 1991 das erste Mal Bezirksbürgermeister wurde, wurde ich von meiner Klassenlehrerin im Unterricht nach vorne gebeten, damit ich erklären sollte, wie ich mich zum Irak-Krieg positioniere. Ich wusste damals nicht, wo der Irak liegt, aber das interessierte die Lehrerin nicht – als ethnische Schwester im weitesten Sinne würde ich ja schon etwas irgendwie Erhellendes sagen können. Ich sagte das, was jede_r meine_r Klassenkameraden gesagt hätte, weil wir alle dasselbe Kinderwissen aufgebaut hatten, das Fernsehfetzen hinterlassen. Dass ich Krieg doof finde, und Saddam Hussein auch, und das wusste ich, dass ich nicht mehr zu sagen hatte als meine Altersgenossen im selben Klassenraum, aber ich wusste auch: Wenn ich es sage, ist es etwas anderes, weil ich in den Augen der gesamten Klasse, der Lehrerin, “zu denen” gehörte, gegen die gerade Krieg geführt wird.

Und weil ich “zu denen” gehörte, und weil nicht nur die Klassenkameraden und die Lehrerin das so sahen, weil “wir” zu denen gehörten, begab es sich zu derselben Zeit, dass wir zuhause Drohanrufe bekamen von einem gelangweilten, aggressiven Typen, der uns im Telefonbuch aufgespäht hatte, ganz zufällig. Er hatte eine Krächzstimme, die er noch krächziger verstellte, und schrie immer irgendwas mit “Saddam Hussein” und “Verreckt doch!” in den Hörer. Am Ende ignorierten wir Geschwister ihn und krächzten manchmal lachend “Verreck doch selber!” ins Telefon zurück, obwohl wir eigentlich nicht mehr an den Apparat gehen durften zu der Zeit. Meine Eltern wollten nicht, dass uns diese Vorfälle belasten. Dank Fangschaltung konnte der Mann irgendwann gefasst werden. Er war Lehrer. Ich war elf und ich denke, das Wort Rassismus hatte ich damals noch nie gehört. Ich stehe bis heute nicht im Telefonbuch.

Als Buschkowsky 1992 stellvertretender Bezirksbürgermeister wurde, stellte im Herbst desselben Jahres mein Deutschlehrer auf dem Gymnasium fest, dass ich eine Namensvetterin hatte, die 1977 an der Landshut-Flugzeugentführung der RAF beteiligt war. Er hatte einen Zeitungsartikel dabei: Eine antiimperialistische Widerstandszelle würde jedes Jahr den Todestag meiner Namensvetterin feiern stand da drin, und mein Deutschlehrer hatte einen Riesenspaß. Jeder Terror-Witz, der ab da über mich in Zukunft gemacht werden sollte, erhielt ab sofort eine neue Qualität.

Als Buschkowsky von 1999 bis 2001 Bezirksstadtrat war, hatte ich gerade mein Studium begonnen und mir bereits mehrfach erklären lassen müssen, dass ich einen “Migrationshintergrund” habe. Ich hatte meinen Führerschein gemacht und wurde vom Fahrlehrer, der sehr nett war, jede Woche im Theorieunterricht vor versammelter Mannschaft gefragt, wann ich denn nun mal mit dem fliegenden Teppich anreisen würde. Ich zog in ein Haus in meiner Studienstadt, und über mir wohnte ein Neo-Nazi, der seine Kameraden jedes Mal im Hausflur lautstark darüber aufklärte, ich sei “Nordafrikanerin”, wenn er mit ihnen meine Haustür passierte. Manchmal hatte ich das Bedürfnis, ihm einen Atlas zu schenken. Ich lernte in der Universität, was strukturelle Gewalt ist und institutionelle Diskriminierung, und wenn ich manchmal Fernsehen sah, dann wusste ich, dass Politiker_innen darüber niemals etwas gelernt hatten.

Als Buschkowsky im Dezember 2001 Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln und Leiter der Abteilung Finanzen, Wirtschaft und Sport wurde, hatte ich im Rahmen des Vertriebsjobs, dem ich damals neben dem Studium nachging, etwa 29 Mal von Kunden die als “Witz” gemeinte Frage gehört, wie lange ich noch im Land bleiben dürfe. “Frau bin Laden, arharharhar, Frau bin Laden,” grunzten einige, “wann müssen sie denn jetzt ausreisen?”

Als Buschkowsky 2006 das Projekt “Stadtteilmütter in Neukölln” ausdehnte, hatten mir meine Professor_innen bereits etwa hundertmal nahegelegt, die Islamsoziologie zu fokussieren, oder zumindest Terrorismus-Ansätze, mich mindestens jedoch auf Orientalismus-Theorien zu konzentrieren, denn: “Das ist das, was sie am besten können”. Ich war 26 und hatte damals keine Vorstellungen von typisch weißen, typisch nicht-weißen Themen.

Ich saß in einem sozialanthropologischen Seminar zu Multikulturalismus-Theorien, und die Jahrgangsbeste, die bisher alle Prüfungen mit Bestnoten abgelegt hatte, meldete sich und sagte, dass sie auf der Straße “selbstverständlich” Angst habe wenn sie dort “so einen richtigen Araber mit Bart” sähe. “Das ist doch ganz normal.” Wir hatten gerade das Grundstudium abgeschlossen. Ich saß im Seminarraum und dachte zum ersten Mal bewusst über die Qualität des deutschen Bildungssystems nach.

Ich habe in meinem Leben vielleicht etwa 1664 Mal meinen Namen buchstabiert – wenn man davon ausgeht, dass ich in etwa einmal pro Woche in eine Situation komme, in der das nötig ist. Siegfried Heinrich Emil Anton Dora habe ich wahrscheinlich bisher öfter gesagt als meinen eigenen Vornamen, und das stört mich nicht, und vielleicht könnte ich mich aber auch fragen: Wie oft hat Herr Buschkowsky seinen Namen bisher buchstabieren müssen?

Als Buschkowsky 2010 seinen Sozialistenhut verliehen bekam, hatte ich gerade einen Job im Diversity-Bereich einer bundesweit operierenden Firma angetreten. Ich sollte Mitarbeiter_innen für “Diversity” sensibilisieren, studierte Akademiker_innen aus dem vorwiegend geisteswissenschaftlichem Bereich. Wo ich denn immer “das Kopftuch lassen würde”, wurde ich oft glucksend gefragt. Dass die Firma ja bereits “Diversity” betreibe, da Leute “wie Sie, Frau S.” da arbeiten würden wurde manchmal grinsend angemerkt. Ich nahm es hin, und ich wunderte mich nicht.

Als Buschkowsky 2012 diesen Satz veröffentlicht: “Im Zweifel gilt es, der ethnischen Schwester und dem ethnischen Bruder zu helfen”, wird mir zum ersten Mal klar, dass ich ganz bewusst denke: “Ja.”

Ich denke an all die, die Schlimmes erlebt haben und weniger Schlimmes, Subtiles und Direktes, unter der Hand oder ins Gesicht, an all die, neben denen ich im selben Boot sitze, weil wir dort hineingesetzt wurden, nicht weil wir es uns ausgesucht hätten, oder weil wir alle in dieses Boot gehören würden, sondern weil es für uns ausgesucht wurde. Und ich denke: “Vox sanguinis fratris tui clamat ad me de terra.” Die Stimme des Blutes deines Bruders schreit zu mir von der Erde. Aktuell Meinung

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  1. AHA sagt:

    Die Stimme des Blutes deines Bruders schreit zu mir von der Erde.

    Dieser Spruch ist eindeutig rassistisch. Egal auf welche Herkunft er gemünzt ist.

  2. Beitragender sagt:

    Vielen Dank für den gut geschriebenen Artikel! Ich möchte hier gerne loswerden, dass nicht nur Menschen „mit Migrationshintergrund“ unter der Bösartigkeit eines Buschkowsky leiden, sondern auch denkende, liberale Deutsche. Herr B. hat die Einseitigkeit zu seiner Leitlinie gemacht, und erweckt dabei den Eindruck, den einzig „wahren“ Blick auf die Realität zu haben. Aber den hat er nicht! Und dann kommt immer dieses Gerede vom angeblichen Tabu! Das Tabu, das Herr B. bricht, besteht – so es denn wirklich eines gibt – in der völligen Einseitigkeit und der pauschalen Abwertung einer ganzen Bevölkerungsgruppe. Dieses Tabu sollte es zu Recht geben, zumindest in einer ernsthaften politischen Diskussion. Gegen undifferenziertes „Auskotzen“ hätte ja niemand was, aber so werden die Thesen von Herrn B. nicht diskutiert. B. geht mit einem fremdenfeindlichen Blick durch Neukölln und verlangt Assimilation. Aber er wird ein reines Buletten-Neukölln nicht mehr bekommen, Gott sei Dank!

  3. Migrantin sagt:

    @Zara
    Ja, das klingt nach einer guten Strategie:
    Migranten sollten lieber nicht Soziologie studieren!

    Aber, Moment! Schließlich könnte man auch als Juristin, Ärztin, oder Lehrerin dazu ermuntert werden, sich auf Migrationsklientel oder -themen zu spezialisieren…

    Hmm, vielleicht sollten Migranten dann am Besten gar nicht studieren, weil sie ja bei jeglicher Art von fachlicher Interaktion ihr deutsches Gegenüber in die Verlegenheit bringen könten, solche Kommentare ablassen zu müssen…

    Liebe Zara, schon mal auf die Idee gekommen, dass Migranten gerade deswegen Mitspracherecht in bestimmten Disziplinen haben möchten, weil es dort noch so viel Nachholbedarf zu diesem Thema gibt? Dass Leute diese anstrengenden Jobs machen ist (das gilt auch für alle Artikelautoren hier, die sich den Kommentaren aussetzen), ist etwas wovor man seinen Hut ziehen sollte, anstatt wiederum mit der anti-integrativen „Wenns Dir nicht passt, dann geh doch!“ Rhethorik anzukommen.

  4. Klirrtext sagt:

    Die großen Defizite im Bereich Integration sieht man schon wieder bei den Kommentaren unter dem Text. Es wird zwischen „Deutschen“ und „Migranten“ unterschieden. Ich dachte man will, dass Migranten Deutsche werden, wie kann man sie dann sprachlich separieren?!
    Sag wir wie es ist: Für die meisten weißen Deutsche ist mit „deutsch“ IMMER ein weißer Deutscher gemeint. Schwarze Deutsche gibt es scheinbar nicht. Und wenn doch muss man es sprachliche hervorheben (es ist ja eine Ausnahme). Ein überholtes Selbstbild mit dem Integration niemals gelingen kann.

  5. Commander sagt:

    Super Artikel und klasse Kommentare!
    Wir Migranten sind fast alle Akademiker und wundern uns über Bücher der Autoren Sarrazin und Buschikowsky! Oh man wenn ich hier lese wird mir schlecht…..

  6. Rudolf Stein sagt:

    @ Zara

    Früher studierten diejenigen, die sich zur Weltverbesserung aufgerufen fühlten, Philosophie, beispielsweise in Kombination mit Orientalistik und Archäologie. Ohne jeglichen Abschluss selbstverständlich. Heute studiert diese Klientel Soziologie. Das Ziel einer Weltverbesserung ist unverändert. Diese Leute begreifen nicht, dass man als Lehrer, Arzt, Ingenieur, Handwerker, Physiker, Chemiker oder Biologe wesentlich effektiver mithelfen kann, die Welt zu verbessern. Wenn alle Lehrer usw. ihren Job ordentlich machen, wird die Welt ein Stück besser. Im Idealfall kann man auf Soziologen ganz verzichten. Diese begnügen sich nämlich nicht damit, die gesellschaftlichen Verhältnisse zu analysieren. Sie wollen sie verändern – im Sinne ihrer Weltverbesserung. Das ist gefährlich.

  7. aloo masala sagt:

    @Zara

    Ausgerechnet ach-gut zitieren Sie? Das ist er Blog der seine Bekanntheit in erster Linie Broder zu verdanken hat. Nun sind uns die Doppelstandards von „ach-gut“ nicht unbekannt. Während Jakob Augstein ein Waisenknabe gegen Buschkowsky ist, wurde er von Broder regelrecht beleidigt, als kleiner Streicher von nebenan usw., weil ihm die Kritik Augsteins an Israel missfiel. Ich möchte nicht den ganzen Unsinn von Broder wiederholen, der dann auch noch vom Simon Wiesenthal Center zitiert wurde, um Augstein auf den dritten Platz der „weltweit schlimmsten Antisemiten“ zu platzieren in einer Reihe mit Ahmadinejad und den Muslimbrüdern in Ägypten.

    Ach-gut ist als Referenz nun wirklich eine Art Eigentor.