Rassismus schöngefaselt

Gauck findet Schuldige

"Aber was herauskommt, ist keine Analyse des deutschen Rassismus, sondern eine religiös inspirierte Vernebelung politischer Verantwortlichkeiten." - ein Kommentar von Ulla Jelpke anlässlich der Rede von Bundespräsident Joachim Gauck zum Pogrom in Rostock-Lichtenhagen.

Von Ulla Jelpke Mittwoch, 29.08.2012, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Freitag, 31.08.2012, 8:02 Uhr Lesedauer: 2 Minuten  |  

Wenn der Präsident spricht, verabschiedet sich die Logik. Als guter Pastor von nebenan bedient ­Joachim Gauck ein in den Leitmedien vorhandenes Bedürfnis an Uneindeutigkeit. Dieses läuft unbeirrbar darauf hinaus, in Deutschland sei seit Abwicklung der DDR alles auf dem richtigen Weg.

Nun hat er zum 20. Jahrestag des rassistischen Pogroms in Rostock-Lichtenhagen gesprochen. Vielversprechend hob er an, es gelte die damaligen Vorkommnisse „zu analysieren, um aus den Fehlern und Versäumnissen von damals zu lernen“.

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So kreißt der Gauck. Aber was herauskommt, ist keine Analyse des deutschen Rassismus, sondern eine religiös inspirierte Vernebelung politischer Verantwortlichkeiten. Auf die Frage „Wo blieb die Staatsmacht?“, folgt ein Exkurs über die „Ängste, die auch einzelne Polizisten spüren“, und über die Verantwortlichen, die ihre Augen „verschlossen“ und „sich nicht exponieren“ wollten. Dabei war fehlender Exponierungswille nun mit Sicherheit kein Merkmal der damaligen Politik. Ganz im Gegenteil: Kaum ein Angehöriger einer der großen Parteien, der damals nicht den Mund aufgerissen hatte, um gegen Asylsuchende zu hetzen, um Ängste und Vorurteile zu schüren. Während in Lichtenhagen schon die Brandsätze flogen, verschlossen CDU/CSU, FDP und SPD nicht etwa die Augen, sondern bereiteten die Änderung des Grundgesetzes vor, um das Asylrecht wesentlich einzuschränken. Die Eskalation des Pogroms kam nicht vom Himmel, sondern wurde von der herrschenden Politik gezielt herbeigeführt.

Darüber findet sich kein Wort bei Gauck. Wenn es um Verantwortlichkeiten geht, fällt er in den täterlosen Passiv: Es sei damals „die Rede“ gewesen von Flüchtlingsströmen und dem angeblich vollen Boot. Was Gauck nicht sagt: So geredet haben jene, die ihn zum Präsidenten gewählt haben. Es ist übrigens auch nirgendwo überliefert, dass der Rostocker Pastor 1992 nur ein Wort zu dem Pogrom verloren hätte.

Für Gauck gibt es im Prinzip nur zwei Schuldige: Zum einen die DDR. „Gerade wir Ostdeutschen“, erklärt er, „blieben anfällig für ein Denken in Schwarz-Weiß-Schemata“, weil die SED keine „Kultur der offenen Bürgerdebatte“ geduldet habe. Zum Glück gab und gibt es das Schwarz-Weiß-Denken im Westen überhaupt nicht.

Und wie es kommen konnte, dass auch im Westen der Republik – in Solingen, Mölln usw. – die Häuser von Migranten angezündet wurden? Dafür gibt es die zweite Schuldige: die Natur des Menschen. Zu viele Ausländer locken jene „Angst vor dem Fremden tief in uns“ hervor, deren „zerstörerische Potentiale“ nur schwer einzuhegen sind. In salbungsvolleren Worten hat der Präsident damit wiederholt, was 1992 Konsens war: Am Rassismus haben die Ausländer schuld – es sind halt zu viele. Aktuell Meinung

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  1. Frager sagt:

    Auch wenn ich weder Die Linke, noch Jelpke besonders mag: ein guter Kommentar.

  2. Pingback: Friedenseiche in Rostock gefällt | pantoffelpunk

  3. Brandt sagt:

    Der institutionelle Rassismus ist durch das Inländer-Primat festgeschrieben, dass den Arbeitsmarkt ethnisch segmentiert. Die Lohnunterschiede haben Folgen für die räumliche Seggregation und die Aussperrung aus den guten Schulbezirken.

    Das Inländerprimat war immer eine Art Konjunkturpuffer – Ausländer wurden als erste entlassen. Das muss man den Kollegen in den Gewerkschaften klar machen, dass sie von institutionellen Rassismus vordergründig profitieren. Andererseits muss ihnen klar gemacht werden, dass Diskrimierung die Lohnsumme für Arbeitgeber senkt. Langfristig wird den Arbeitgeber der Anreiz genommen in hochproduktive und kapitalintensive Arbeitsplätze zu investieren – d.h. die Hochlohnpolitik wird durchbrochen.

    Inzwischen wird durch die EU-Ausländer, Hartz 4 Gesetze, Minijobber, Rentner und Leiharbeiter menschlicher Nachschub für eine raffinierte Hierarchie auf den Arbeitsmärkten geschaffen.

    Die Rolle der Konjunkturpuffer übernehmen längst andere Bevölkerungsgruppen. Der Extremismus der Mitte hetzt nun gegen eine sehr heterogene Menschengruppe, um auf sie das Beschäftigungsrisiko abzuwälzen.

  4. HeiRei sagt:

    Herr Gauck sprach in der „Ex-DDR“. Leider erlebe ich es bis heute wie schwer vielen Bürgern es fällt sich eine plurale Gesellschaft vorzustellen und Qualitäten einer Multikulturellen Gesellschaft kann man bis heute kaum erleben, da eine Zuwanderung häufig schlicht nicht attraktiv genug ist. Er kommt aus dem Osten, im Kampf gegen Rechts fand er bisher den stärksten Satz den ich aus der Politik hörte: „Euer Hass ist unser Ansporn“. Nein und er versteht glaube ich nicht die Probleme und Herausforderungen die die Einwanderungsgesellschaft mit sich bringen, aber er versucht dieser Einwanderungsrepublik klar den Boden zu bereiten, vor allem in den Regionen Deutschlands in denen es eben noch sehr deutsch ist. Und hier geht er auf die Leute zu, versucht sie dazu mitzunehmen. Die Rede könnte kantiger sein, verurteilender und die „herrschende Politik“ nicht nur in Frage stellend. Ob er aber damit in Rostock Lichtenhagen mehr für aktives Engagement und Offenheit getan hätte, bezweifele ich.
    Ihm allerdings vorzuwerfen „Rassismus schönzufaseln“ hört sich dabei leider wieder all zu sehr nach einem Reflex aus einer Ihre eigenen Vergangenheit nicht bewältigenden wollenden Linken an, die den, der Ihr zu nahe tritt nur mit Verfehmung entgegentreten kann. Ich finde es beschämend, dass das Gedenken und die Aufarbeitung des Progroms von Lichtenhagen 1992 vor den Karren dieses parteilichen Klein-Klein’s von heutigem Schwarz-Weiß Denken in der BRD gespannt wird.
    Ein Punkt zur Aufarbeitung haben Sie selbst genannt: „„Gerade wir Ostdeutschen“, erklärt er, „blieben anfällig für ein Denken in Schwarz-Weiß-Schemata“, weil die SED keine „Kultur der offenen Bürgerdebatte“ geduldet habe.“ Ein zweiter wäre: Wie ging die SED mit ihren eigenen Arbeitsmigranten um. Die Gastarbeiter aus Vietnam wurden in diesem Haus über Jahre ghettoisiert. Es konnte kein Verwachsen mit den Einheimischen geben, da dies staatlich unterbunden wurde. Hier endlich einmal ohne Ressentiments aufzuarbeiten anstatt alte Eliten in immer neuen Parteien zu verstecken und eigene Schuld mit Fingerzeig auf andere zu relativieren wäre angebrachter. Man kann nicht der bessere Aufklärer sein wollen und dabei sein Gegenüber im dunkeln stehen lassen.
    Dagegen die Ost-Deutschen Verhältnisse und das Gemeinwesen auch in seinen Fehlern pastoral beschreiben zu wollen, um dabei um so klarer zu machen wo Grenzen dieser Fehler sind – Menschen in Lebensnot allein zu lassen, hier sogar eine staatliche Ohnmacht erklären zu wollen; In der Asylpolitik zuallermindest gemäß Menschenrecht zu handeln, und diese nicht einfach totzuschweigen – ist da vielleicht keine Ruckrede aber allemal besser und hilfreicher um auch in der oft vergessenen Peripherie eine weltoffene Gesellschaft zu gestalten.

  5. pepe sagt:

    Ich finde es sinnlos, dem Rechtsextremismus jeden zweiten Tag den Kampf anzusagen und dabei die strukturelle Bedingheit des Rassismus außer Acht zu lassen. Rassismus ist unabhängig von dem Bildungsstand, von der sozialen Schicht und politischer Orientierung eines Menschen.

    Ihr Linken vergeudet eure Zeit. In euren Reihen sitzen lauter Antisemiten. Wie wäre es mit etwas Einsicht diesbezüglich?

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