Bildungsmonitor 2012

Gutes Bildungssystem geht an den Migranten vorbei

Dem deutschen Bildungssystem gelingt es nicht, Bildungserfolg vom sozioökonomischen Hintergrund abzukoppeln. Das trifft Migrantenkinder besonders hart. Das beste Bildungssystem ist in Ostdeutschland - da, wo die wenigsten Migranten leben.

Donnerstag, 16.08.2012, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 08.01.2020, 15:45 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Die Abbrecherquote ausländischer Schulabsolventen hat sich in den letzten Jahren deutlich verringert. Während im Jahr 2000 über 20 Prozent der ausländischen Absolventen die Schule ohne Abschluss verließen, betrug diese Quote im Jahr 2010 nur noch 13 Prozent. Dennoch ist der statistische Zusammenhang zwischen dem Bildungshintergrund der Eltern und dem Bildungserfolg der Kinder in Deutschland weiterhin enger verknüpft, als in den meisten anderen OECD-Ländern. Das geht aus dem Bildungsbericht 2012 des Instituts für Wirtschaft in Köln hervor, die im Auftrag der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) erstellt und am Mittwoch vorgestellt wurde.

Laut Studie ist Bildung für die Teilhabechancen von Migranten besonders wichtig. „Die Disparitäten in den Leistungen Jugendlicher mit und ohne Migrationshintergrund weisen jedoch darauf hin, dass das Bildungssystem dieser Aufgabe nicht in ausreichendem Maße nachkommt. Auch beim Übergang von einer allgemeinbildenden Schule in das System der beruflichen Bildung oder die Hochschule zeigten sich misslungene Integrationsbemühungen“, so die Wissenschaftler.

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Formale Gleichstellung reicht nicht
Ein Vergleich zeigt die Defizite: In der Altersgruppe von 25 bis 64 Jahren ist der Anteil der Personen ohne beruflichen Abschluss mit 26 Prozent unter der Migrantenbevölkerung ohne eigene Migrationserfahrung deutlich niedriger als bei der Bevölkerung mit Migrationserfahrung (40 Prozent). Bei Menschen mit Migrationshintergrund, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind, ist diese Bildungsarmutsquote deutlich höher als bei der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund mit 11 Prozent. „Die Hauptursachen für die schlechteren Übergangschancen Jugendlicher mit Migrationshintergrund sind weniger Unterschiede bei ihren Zielen oder Präferenzen, sondern häufig Kompetenzunterschiede im Vergleich zu Nicht-Migranten“, heißt es in der Studie.

Zwar sei der Großteil der Migranten beim Zugang zu Bildungseinrichtungen formal der deutschen Bevölkerung gleichgestellt. Tatsächlich jedoch zeigten sich auffällige Disparitäten zwischen Kindern und Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund in Bezug auf den Zugang zu höheren Bildungs- und Qualifizierungsgängen.

Sozioökonomischer Hintergrund entscheidet
Laut Studie ist das Problem bekannt: In Deutschland ist die Problematik der Bildungsarmut eng mit dem sozioökonomischen Hintergrund verknüpft. Ungleichheiten hinsichtlich der Bildungschancen sind im deutschen Bildungssystem verbreitet. Dies kann dazu führen, dass Bildungsarmut von Generation zu Generation „vererbt“ wird. So bestätigte beispielsweise die PISA-Untersuchung zum wiederholten Mal, dass der schulische Erfolg in Deutschland in hohem Maße mit der Herkunft und dem sozioökonomischen Hintergrund der Familie zusammenhängt. Das Bildungssystem steht daher vor der Herausforderung, diese Wirkungskette zu unterbrechen und den Bildungserfolg unabhängig vom sozioökonomischen Hintergrund zu machen.

„Die Chancenungleichheiten im deutschen Bildungssystem sind vor allem aus langfristiger Perspektive bedeutsam“, mahnen die Studienautoren. Ein negativer Einfluss der Herkunft sei oftmals ein Migrationshintergrund. Zu Wohlstand und Wirtschaftswachstum einer Volkswirtschaft trage aber die gesamte Bevölkerung bei. Und hierzu gehörten auch Einwanderer und deren Kinder. Sie stellen laut Studie ein Humankapitalpotenzial dar, welches in Deutschland offenbar unzureichend genutzt wird. Dies führt langfristig zur Verringerung der Wachstumspotenziale. Der maximale Nutzen für die Volkswirtschaft lasse sich nur dann erreichen, wenn eine vollständige Integration der Personen mit Migrationshintergrund in Deutschland erreicht werde und das Bildungssystem einen sozio-ökonomisch ungünstigen Hintergrund kompensieren könne.

Sachsen und Thüringen spitze
„Dazu ist es insbesondere notwendig, Personen mit Migrationshintergrund die gleichen Entwicklungschancen wie den Nicht-Migranten zu ermöglichen. Das Potenzial der rund 5,7 Millionen in Deutschland lebenden Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund zu erkennen und auszubauen, ist somit eine der vorrangigen Aufgaben des deutschen Bildungssystems“, mahnen die Wissenschaftler.

Die Studie: Die Kurzfassung der Studie „Bildungsmonitor 2012“ sowie der vollständige Studienbericht kann unter insm-bildungsmonitor.de kostenlos heruntergeladen werden.

Und im Bundesvergleich weisen ausgerechnet Sachsen und Thüringen das beste Bildungssystem aus – zwei Bundesländer, in denen bundesweit mit die wenigsten Migranten leben. „Sachsen und Thüringen belegen die Spitzenplätze, weil sie eine ausgezeichnete Förderinfrastruktur vorhalten und sehr gute Bedingungen für eine individuelle Förderung bieten. Beide Länder bekämpfen erfolgreich die Entstehung von Bildungsarmut und bieten einen breiten Zugang zu akademischen Abschlüssen insbesondere in den naturwissenschaftlich-technischen Fächern“, erklärt INSM-Geschäftsführer Hubertus Pellengahr.

Bildungssystem da gut, wo die wenigsten Migranten leben
Nicht anders fällt der punktuelle Vergleich aus. Betrachtet man allein den Indikator „Schulabbrecherquote Ausländer“ im Ländervergleich, belegen ostdeutsche Bundesländer mit einer geringen Migrantendichte die Spitzenplätze (Brandenburg, Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen Anhalt). Schlusslicht hier ist Niedersachsen. Auch beim Indikator „Relative Abiturientenquote“ belegt ein ostdeutsches Bundesland (Mecklenburg-Vorpommern vor Hamburg und Schleswig-Holstein) Platz eins. Schlusslicht ist auch hier ein Bundesland mit einer hohen Migrantendichte (Baden-Württemberg).

Die beste Durchlässigkeit im Schulsystem, wovon Migrantenkinder mit am meisten profitieren, weisen Schleswig-Holstein, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg aus. Auffällig ist auch hier, dass der Migrantenanteil an der Gesamtbevölkerung in diesen Bundesländern im Bundesvergleich sehr niedrig ist. Am schlechtesten schneiden hingegen Länder mit einer vergleichsweise hohen Migrantendichte ab (Berlin, Saarland, Bayern und Baden-Württemberg). (sb)
Gesellschaft Leitartikel Studien

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  1. pepe sagt:

    „Bildungssystem da gut, wo die wenigsten Migranten leben“

    Fail. Denn genau das behaupten die Leser von PI-News.

  2. posteo sagt:

    Vergleicht man die Jugendarbeitslosigkeit in den jeweiligen Bundesländern, hat das gute Bildungssystem in Thüringen und Sachsen nicht die erhoffte Wirkung. Bei einer durchschnittlichen Jugendarbeitslosigkeit von 6,9% für den gesamtdeutschen Raum beträgt diese für Thüringen 8,1% und für Sachsen 9,5%. (Quelle: statista: Jugendarbeitslosigkeit im August 2013 nach Bundesländern). Wie man sieht, ein komplexes Thema.

  3. Han Yen sagt:

    Der Artikel ist ein Negativ-Beispiel für die Rückständigkeit der deutschen Debatte zum Nexus Inklusion & Bildung. Dieser wuchernde Unsinn macht auch vor migrantischen Medien nicht halt – da kann man sehen, wie stark Ideologie ist. Inklusion der Migranten in die Bildung und Arbeitsmärkte ist ein makroökonomisches Thema, weil aus der Lohnsumme der Migranten makroökonomische Risiken getragen werden für die Ein- und Auswanderungsstaaten. Die wichtigste Institution der Migranten – das ist die transnationale Familie – tätigt über Rücküberweisungen einen Risikoausgleich für Ein- und Auswanderungsstaaten. Das aggregierte Volumen der Rücküberweisungen ist abhängig von den Konjunkturzyklen, Diskriminierungslevel, rechtlicher Inklusion und dem Integrationslevel der Finanzmarktinstituionen. Wir leben in einer Welt unvollständiger Kapitalmärkte: Konzerne und Staaten können sich am Kapitalmarkt nicht gegen Konjunkturzyklen, Preisschwankungen, Naturkatastrophen und Währungsschwankungen versichern, weil diese makroökonomischen Risiken nicht systematisch sind. Für die Bewältigung dieser makroökonomischen Risiken benötigen Staaten in den turbulenten Zeitfenstern zusätzliche Steuereinkünfte. Für viele Staaten sind das aus Rücküberweisungen generierte zusätzliche Mehrwertsteuer-Einnahmen aus Konsum. Makroökonomische Risiken führen dazu, dass Familienmitglieder in den Krisenstaaten via Kommunikationsmedien solidarische Appelle an die bessergestellten Haushaltsmitglieder in den weniger betroffenden Staaten machen. Familienmitglieder in den Krisenstaaten kurbeln dann in den inländischen Konsum an und zahlen indirekt via Mehrwertsteuer auf Konsum die Krisenbewältigungsprogramme. Dieser Ressourcenfluss geht in beide Richtungen zwischen Ein- und Auswanderungsstaat. Auch Einwanderungsstaaten profitieren von der Versicherungswirkung transnationaler Familien. Die Weltbank sammelt dazu monatliche Zeitreihen zum Volumen. Der Ressourcenfluss wird von den drei grossen US-Ratingagenturen wieder rum für die Ermittlung der Ratingnote von Staaten benutzt – etwa 30% der Staaten haben ein Rating. Die Bildungsinvestitionen in Migranten sind daher als eine staatliche Versicherungsprämie gegen unsystematische makroökonomische Risken zu sehen innerhalb eines Handelsblock – davon gibt es etwa 400 Regionale Trade Aggreements. Die Wachstumsvorteile bei besserer Inklusion sind nicht falsch, aber die Nutzenverteilung wird gestreut über alle Mitgliedsstaaten eines Handelsblock. Der Regulationsfehler in der Bildungspolitik ist, dass sie von Gebietskörperschaften dominiert wird, welche ohne steuerliche Anreize für solide Inklusionspolitik sind. Der steuerliche Return On Investment äussert sich nämlich in höheren Zolleinnahmen, Lohn- und Mehrwertsteuer, Tourismussteuer und Fernhandel. Die mit der Schulpolitik beauftragten Gebietskörperschaften erhalten nur einen Bruchteil der Einkünfte, falls sie Verbesserungen in der Schulpolitik machen. Der Haupteil wird zwischen EU und dem Bund aufgeteilt und Auswanderungsstaaten erhalten einen Teil über Tourismussteuern und Rücküberweisungen. Die politische Institutionenökologie investiert daher systematisch zuwenig in Migranten aus Sicht der Makroökonomie, weil die Gewaltenteilung falsch organisiert ist. Wenn man solche Unwissenheit durch Sätze wie diese hier in die Köpfe hämmert, dann muss man sich nicht wundern, warum Kapitalismus krisenanfällig ist. „Die beste Durchlässigkeit im Schulsystem, wovon Migrantenkinder mit am meisten profitieren, weisen Schleswig-Holstein, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg aus. Auffällig ist auch hier, dass der Migrantenanteil an der Gesamtbevölkerung in diesen Bundesländern im Bundesvergleich sehr niedrig ist. Am schlechtesten schneiden hingegen Länder mit einer vergleichsweise hohen Migrantendichte ab (Berlin, Saarland, Bayern und Baden-Württemberg).“ Die Implikation ist: weniger Migrationsdichte ist besser. Es wird an der Zeit den Rotstift anzusetzen bei der Interkulturellen Pädagogik und den Bildungswissenschaften, um den Kulturalismus den Gar aus zu machen. Sozioökonomische Probleme der Gegenwart haben sehr wenig mit kulturellen und genetischen Unterschieden zu tun. Pädogogik ist nur eine zubringende Magd für politische Ökonomie.