Kılıçs kantige Ecke

„Kleine Adolfs“

Der Rückzug von Heinz Fromm ist nur ein symbolisches Opfer. Der Verfassungsschutz muss regelmäßig überprüft werden, ob dort nicht der eine oder andere kleine Adolf arbeitet, schreibt Memet Kılıç in seiner neuesten MiGAZIN Kolumne.

Von Memet Kılıç Donnerstag, 05.07.2012, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 08.07.2012, 23:17 Uhr Lesedauer: 2 Minuten  |  

Bei der Aufklärung der NSU-Morde kommen immer mehr Details ans Tageslicht. Am 28. Juni 2012 wurde bekannt, dass der Bundesverfassungsschutz mehrere Akten vernichtet hat. Die Akten hatte der Verfassungsschutz für den Generalbundesanwalt zusammengestellt, aber noch am gleichen Tag (11.11.2011) vernichtet. Das ist ein Skandal. Ich hatte vereinzelt E-Mails erhalten, ob meine bohrenden Fragen in Richtung einer Verschwörungstheorie zielen würden, jetzt merke ich, dass ich sogar zu wenige Fragen gestellt habe.

Ich hatte unter anderem der Bundesregierung die Frage gestellt, ob der als „Kleiner Adolf“ bekannte Verfassungsschützer Andreas Temme, der bei der Ermordung von Halit Yozgat im Jahr 2006 im Internetcafé anwesend war, immer noch im Regierungspräsidium Kassel arbeitet. Die Bundesregierung verweigerte eine Antwort darauf mit der Begründung, dass die Antwort das laufende Verfahren gefährden würde. Dabei gab es zum Zeitpunkt der Fragestellung kein Verfahren gegen Herrn Temme.

___STEADY_PAYWALL___

Jetzt ist bekannt geworden, dass der „Kleine Adolf“ bis 1994 lange Zeit für die Bundeswehr gearbeitet hat und von dort zum Verfassungsschutz gewechselt ist. Von seiner Tätigkeit beim Verfassungsschutz wurde er entbunden, nachdem festgestellt wurde, dass er bei der Ermordung von Halit Yozgat am Tatort war, neben vier legalen großkalibrigen Waffen auch noch 100 illegale Manöverpatronen der Bundeswehr, mehrere selbstgeschriebene, verfassungsfeindliche Texte und Haschisch besaß. Anschließend nahm er eine Tätigkeit als Beamter beim Regierungspräsidium in Kassel auf.

Bisherige Antworten der Bundesregierung auf Fragen von Memet Kılıç bzgl. der NSU:
8.3.2012
24.1.2012 Teil 1 & 2
18.1.2012
27.1.2011

Als Kriminalbeamte festgestellt haben, dass Herr Temme 45 Minuten vor und 15 Minuten nach der Ermordung von Herrn Yozgat mit bekannten rechtsextremistischen V-Leuten telefoniert hat, weigerte sich der Landesverfassungsschutz der Polizei, Herr Temme zu vernehmen. Die Sicherheit des Landes würde ansonsten gefährdet werden. Rückendeckung hatte der Landesverfassungsschutz Hessen dabei vom damaligen Innenminister und dem heutigen Ministerpräsidenten Hessens, Herrn Volker Bouffier, erhalten.

Der Rückzug von Heinz Fromm ist nur ein symbolisches Opfer, da im Verfassungsschutz vielfach die falschen Leute sitzen. Spätestens ab jetzt muss das komplette Amt regelmäßig überprüft werden, ob dort nicht der eine oder andere kleine Adolf arbeitet, der unsere Verfassung gefährdet, statt sie zu schützen. Da liegt sicher noch einiges im Argen. Aktuell Meinung

Zurück zur Startseite
MiGLETTER (mehr Informationen)

Verpasse nichts mehr. Bestelle jetzt den kostenlosen MiGAZIN-Newsletter:

UNTERSTÜTZE MiGAZIN! (mehr Informationen)

Wir informieren täglich über das Wichtigste zu Migration, Integration und Rassismus. Dafür wurde MiGAZIN mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet. Unterstüzte diese Arbeit und verpasse nichts mehr: Werde jetzt Mitglied.

MiGGLIED WERDEN
Auch interessant
MiGDISKUTIEREN (Bitte die Netiquette beachten.)

  1. Sinan A. sagt:

    Die NSU-Terroristen waren keine V-Leute, gab Sebastian Edathy nach Sichtung ungeschwärzter Unterlagen gestern bekannt. Damit sei Verschwörungstheorien vorerst der Boden entzogen.

    http://www.ksta.de/politik/verfassungsschutz-nsu-terroristen-waren-keine-v-leute,15187246,16547834

    Das ist die gute Nachricht.

    Die schlechte ist, der Autor behauptet in diesem Artikel, insbesondere von der Türkischen Gemeinde seien Verschwörungstheorien gekommen. (Der Satz stammt von ihm und steht nicht im Agenturtext.)

    Das ist Unfug. Die Türkische Gemeinde prangert völlig zu Recht die mangelhafte Arbeit der Behörden an, das Versagen, das Wegermitteln von rassistischen Motiven, das Vertuschen, den Vertrauensverlust insgesamt.

    Verschwörungstheorien kommen dagegen von rechts. Eigentlich hätten gar keine Nazis gemordet, das Ganze sei ein Verfassungsschutz-Ding, inszeniert aus politischen Motiven. So ungefähr lautet die komische These, vorgetragen von einem bunten Spektrum von NPD bis zu Piraten und sonstigen Internet-Spezis.

    Nur davon scheint der KStA-Autor noch nichts gehört zu haben. Stattdessen schiebt er den Türken den Schwarzen Peter zu und macht damit genau da weiter, wo Journalisten vor dem Bekanntwerden des NSU waren: Opfer, die behaupten, es gäbe Rassismus, spinnen.

  2. Prof. Dr. Klaus J. Bade sagt:

    Gut, daß Memet Kilic diesen weiteren Skandal im Skandal schärfer ins Licht gerückt hat. Die Affaire um den ‚kleinen Adolf‘ und die Versuche, seine Spuren zu verwischen, erinnern daran, daß die ‚Pioniere‘ der Geheimdienstarbeit in der Bundesrepublik Deutschland fast durchweg Fachleute mit einschlägiger NS-Vergangenheit waren.
    Klaus J. Bade

  3. Per Lennart Aae sagt:

    Sehr geehrter Herr Kılıç,

    Ihre Forderung, die Sie sehr zurückhaltend formulieren, kann ich nur unterstützen.

    Dazu gehört allerdings auch die Frage nach dem WARUM. Warum beschäftigt der Verfassungsschutz schillernde Figuren, die nationale politische Bestrebungen in Deutschland bekämpfen und gleichzeitig mit einer irrationalen Nähe zu ausgerechnet jenen Zerrbildern und Klischees kokettieren, die geflissentlich als Amboß benutzt werden, zum Beispiel um der NPD Tiefschläge zu versetzen und einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit ihr gänzlich aus dem Weg zu gehen?

    Um das zu verstehen, muß man wissen, daß letzteres – also das Aus-dem-Weg-gehen jeder inhaltlichen Auseinandersetzung – nicht nur ein klammheimliches Anliegen der politischen Klasse in Deutschland ist, sondern deren erklärte Strategie im Umgang mit der politischen Rechten. Konkreter Ausdruck hierfür ist zum Beispiel die förmliche Vereinbarung aller Fraktionen im Sächsischen Landtag, außer der NPD-Fraktion, eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den parlamentarischen Initiativen letzterer auf ein Minimum zu beschränken und grundsätzlich, unabhängig vom jeweiligen Thema, in eine, mit Nazi-Vergleichen begründete kategorische Ablehnung münden zu lassen. Ein entsprechendes, strategisch begründetes Verhalten der Mainstream-Medien kann ebenfalls nachgewiesen werden, auch wenn eine konkrete Vereinbarung hierzu (noch) nicht öffentlich bekannt ist.

    Wenn jetzt der von Vertretern besagter Ausgrenzungsstrategie gelenkte Inlandsgeheimdienst Elemente enthält, die im gewissen Sinne einen Nazi-Popanz schüren – was Sie ja offenbar durchaus für möglich oder sogar für erwiesen halten -, sind Sie hoffentlich klarsichtig genug, um einzusehen, daß dies nicht geschieht, um national-konservativen oder rechten politischen Bestrebungen Vorschub zu leisten. Denn allein schon die reflexartige Umschaltung von der Terrorismusdiskussion auf die NPD-Verbotsdiskussion im Zusammenhang mit dem „NSU“-Komplex zeigt doch glasklar, daß genau das Gegenteil der Fall ist.

    Ist es nicht einleuchtend, daß zur Strategie der Ausgrenzung, wie zum Beispiel im Sächsischen Landtag betrieben, auch eine Strategie der Dämonisierung gehört, ja beinahe zwangsläufig gehören MUSS? Daß dies keine „Verschwörungstheorie“ ist, davon können Sie sich zum Beispiel durch Lektüre der Plenarprotokolle des Sächsischen Landtags überzeugen. Es gibt kaum einen, parlamentarische Initiativen der NPD-Fraktion betreffenden Debattenbeitrag der Vertreter anderer Fraktionen, in dem nicht die unterstellte „Gewaltbereitschaft“ oder „Demokratiefeindlichkeit“ der NPD, oder aber die Greuel des mehr als zwei Generatioinen zurückliegenden Zweiten Weltkrieges die Haupt-„Argumentations“-Linie bilden, völlig unabhängig vom jeweiligen Thema, das i.d.R. landes-, sozial-, wirtschafts- oder finanzpolitisch ist. – Und, wie schon gesagt: da dies eine einvernehmliche, offiziell vereinbarte Strategie der betreffenden Landtagsfraktionen ist, sind Verschwörungstheorien jedweder Art gänzlich überflüssig. Gäbe es eine NPD-Fraktion im Bundestag, würden Sie dort das Gleiche erleben, sehr geehrter Herr Kılıç.

    Was den „NSU“ betrifft, sprechen aus meiner Sicht fast alle bisher bekannten Fakten oder auch nur halbwegs plausiblen Theorien dafür, daß diese Gruppe das Ergebnis einer systematischen (aber natürlich irgendwie entgleisten) Tätigkeit des Verfassungsschutzes als „Agent Provocateur“ war. Ich glaube, dieses Eindrucks kann sich kaum jemand erwehren, der sich ernsthaft mit der Materie befaßt hat. Die Aufdeckung der Vernichtung der VS-Akten, und zwar ausgerechnet der Akten zur Arbeit mit den Thüringer V-Leuten und ausgerechnet zum Zeitpunkt der „NSU“-Entlarvung, ist hier ein Mene Tekel, dessen Brisanz m.E. nur jene „übersehen“ oder verharmlosen können, die etwas zu vertuschen haben. Ich hoffe aber, daß es im Deutschen Bundestag auch Abgeordnete gibt, die trotz ihrer Ablehnung jeder nationalen politischen Richtung, wahrheitsliebend, fair und vor allem DEMOKRATISCH genug sind, um auch das vermeintlich UNSAGBARE auszusprechen.

    Per Lennart Aae

  4. Serdar sagt:

    Zum unnötigen VS hat mein Freund Burks vor Jahren das nötige gesagt:

    Abwickeln

  5. Mel sagt:

    Ich hatte die Info, dass von einem guten Drittel auszugehen ist. Was bereits ein erschreckend hoher Anteil wäre. Gilt im Übrigen auch für das Auswärtige Amt. „Überwiegend“ klingt allerdings erschlagend! Danke für diese Info, Herr Bade!

    Regelmäßige Gesinnungs-Audits sollten in sämtlichen staatlichen Institutionen stattfinden. BKA inklusive! Das ist Deutschland seiner Geschichte und seinen friedfertigen Bürgern nach aktuellem Kenntnisstand mehr als schuldig.

  6. Kasseler sagt:

    Zu der Kolumne gibt es hier ein Interview mit Memet Kılıç, geführt hat das Interview Janosch Lenhart von Radio HNA in Kassel:
    http://soundcloud.com/radio-hna/memet-kilic-ti-zur-kolumne-im

  7. Zara sagt:

    Ich war und bin schon immer für die Schaffung einer inneren Polizei, die allein dazu dient gegen Staatsbeamte zu ermitteln.

    Bei Verfehlungen gegen Polzisten wird von Kollegen gegen sie ermittelt. Das kann nicht fonktionieren. Das ist ein vollkommener Fehler im System.

    Statistiken zur Polizeigewalt zeigen es ja eindrucksvoll. Von rund ca. 1000 Polizisten, die jährlich wegen Polizeigewalt angezeigt werden, werden im Durchschnitt 2-3 verurteilt. Es ist wahrscheinlich nicht jede Anzeige berechtigt, aber, dass 997 von 1000 Falschanzeigen vorliegen, glaube ich dann auch nicht.

  8. posteo sagt:

    Nun agiert der Verfassungsschutz nicht im luftleeren Raum, sondern wird seinerseits von den Verfassungsschutz-Ausschüssen des Bundestags und der Landtage kontrolliert (ACHTUNG, nicht verwechseln mit den NSU-Untersuchungsausschüssen)

    Dass es bei der Entlassung der seither 5 Behördenchefs nicht bleiben wird, wurde bereits in Aussicht gestellt. Wie viel aktive Unterstützung und wie viel Schlamperei der Behörden im Spiel war, interessiert die breite Öffentlichkeit viel mehr, als der Zschäpe-Prozess.
    Der Behördendschungel aus 16 Landesbehörden + 1 Bundesbehörde x 3 Inlands-Sicherheitsdiensten (VS, MAD und der bei der Polizei angesiedelten Staatsschutzabteilung), hätte längst dringend durchgelichtet gehört, der VS ist aufgrund der Staatsschutzabteilung ziemlich überflüssig.

  9. Supatyp sagt:

    Und, was bereitet der „kleine Adolf“ wohl jetzt wieder vor? Wenn so einer wie der vom Staat geschützt wird, dann gibt man ihm die Bestätigung, daß er nichts verkehrt gemacht hat, im Gegenteil. Folglich wird der wohl kaum mit seinem braunen Getue aufhören. Vielen Dank Deutschland, […]

  10. posteo sagt:

    Per Lennart Aae sagt:
    5. Juli 2012 um 13:37

    Lieber Per Lennert,
    wenn ich ihren Beitrag richtig verstanden habe, hat der VS die NSU-Terrorzelle aktiv aufgebaut, um einen Verbotsgrund für die NPD zu haben.
    Nur, wie die Parteigründungen „Republikaner“ und „DVU“ gezeigt haben, können sich ja auch jederzeit weitere oder neue rechtsnationale Parteien bilden. Ihre Überlegung, die Unterstützung der NSU hatte letztendlich antifaschistische Motive, finde ich daher, mit Verlaub, weit hergeholt.