Pienings kritische Abschiedsbilanz

Deutschland ist von einer Anerkennung der Einwanderungsgesellschaft noch weit entfernt

Mit einer kritischen Bilanz der bundesdeutschen Integrationspolitik hat sich Berlins Integrationsbeauftragter Günter Piening verabschiedet. Zwar seien auch Erfolge erzielt worden, von einer wirklichen Anerkennung der Einwanderungsgesellschaft und der Gleichstellung der Einwanderer sei Deutschland aber noch weit entfernt.

Mittwoch, 27.06.2012, 8:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Freitag, 29.06.2012, 4:02 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Günter Piening, der seit 2003 Berliner Integrationsbeauftragter ist, scheidet zum 30. Juni 2012 auf eigenen Wunsch aus dem Amt aus. Im Februar 2012 begründete er diesen Schritt mit der damals neuen rot-schwarzen Koalition. Dies sei nicht „der Rahmen, wo ich mich auf Dauer wohlfühlen würde“.

Zum Abschluss seiner Amtszeit hob Piening am Freitag (22.6.12) in Berlin vor allem die Reformen im Bildungsbereich hervor. „Die Länder haben ihre Bildungseinrichtungen von der Krippe bis zur Sekundarschule interkulturell fit gemacht und stärker auf die Förderung von Chancengleichheit unabhängig von Herkunft und sozialer Schicht ausgerichtet. Erste Erfolge lassen sich messen“. So habe sich in Berlin die Zahl der Kinder aus Einwandererfamilien, die die Hochschulreife erwerben, seit Pisa verdoppelt und die Zahl der Schulabbrecher gehe Schritt für Schritt zurück. Aber auch andere Berliner Initiativen wie die Kampagne „Berlin braucht dich!“ zur Erhöhung des Anteil von Migranten im Öffentlichen Dienst seien inzwischen Vorbild für andere Bundesländer.

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Auf die lange Bank geschoben
An bundespolitischen Entwicklungen hob Piening vor allem den Aufbau eines verbindlichen Integrationskurssystems hervor: „Endlich bekommen nicht nur die Spätaussiedler, sondern alle Neuzuwanderer Deutschkenntnisse vermittelt, die ihnen den Schritt in ein eigenständiges Leben in der neuen Heimat erleichtern.“ Demgegenüber seien bei der Ausgestaltung der rechtlichen Rahmenbedingungen keine Fortschritte erzielt worden: „Eine Öffnung des Staatsbürgerrechts für Mehrstaatigkeit, die Einführung des kommunalen Wahlrechts, die Verabschiedung einer Bleiberechtsregelung, die Entschlackung des Aufenthaltsrechts und der Aufbau eines Einwanderungsrechts, das der globalen Entwicklung gerecht wird – all dieses wird auf die lange Bank geschoben. Das deutsche Recht ist nach wie vor von einer grundlegenden Abwehrhaltung gegen Einwanderer bestimmt. Nötig ist aber ein rechtlicher Rahmen, der Menschen schnell die Bürgerrechte gibt und Zugehörigkeit herstellt.“

Gerade für die Stärkung von Dazugehörigkeit und Zusammenhalt seien die letzten Jahre verlorene Jahre gewesen, erklärte Piening: „Zu lange hat die Bundespolitik den Eindruck erweckt, Integrationspolitik fordere nur die Einwanderer. Seit langem wissen wir aber, dass nach wie vor starke Ressentiments gegen Einwanderer und Einwanderung existieren. Darauf gab die Politik keine klaren Antworten. Im Gegenteil. Die Zustimmung, die die zynischen und rassistischen Thesen von Thilo Sarrazin in Teilen der bundesdeutschen Eliten gefunden haben, haben gerade bei vielen erfolgreichen Migranten die Frage aufgeworfen, ob sie in der Bundesrepublik jemals als gleichberechtigte Bürgerinnen und Bürger anerkannt sein werden.“

NSU ist eine Zäsur
Vor diesem Hintergrund, so Piening, seien die Erkenntnisse im Zusammenhang mit den Morden der so genannten Zwickauer Zelle integrationspolitisch eine Zäsur: „Es ist nach wie vor unfassbar, dass eine Gruppe von Mördern durch die Lande ziehen und willkürlich Einwanderer ermorden konnte und die Ermittlungsbehörden nehmen das Umfeld der Opfer in Verdacht statt dem nachzugehen, was nahe liegt: Dass hier rechtsextremes, rassistisches Gedankengut seine fürchterlichen Folgen zeigt.“

Pienings Fazit: „Das Vertrauen in diese Gesellschaft und ihre Institutionen, das bei Einwanderinnen und Einwanderern immer sehr hoch war, hat stark gelitten. Die bisher unternommenen Aufklärungsbemühungen sind nicht ausreichend. Die staatlichen Institutionen haben den Nachweis noch nicht erbracht, dass in Deutschland alle Bevölkerungsgruppen den gleichen Schutz staatlicher Stellen genießen. Es wird große Anstrengungen brauchen, hier wieder das Vertrauen aufzubauen, das die Basis jeder gelingenden Integration ist.“ (bk) Aktuell Politik

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