Berliner Bevölkerungsstatistik

Integration ist keine Minderheitenpolitik

Rund 870 000 Berliner haben einen Migrationshintergrund. Sie leben in Berlin-Mitte, Neukolln, Friedrichshein-Kreuzberg. Aber auch die Vorstellung, die östlichen Bezirken seien nicht von Einwanderung geprägt, wird von den Zahlen widerlegt.

Montag, 11.04.2011, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 08.01.2020, 15:45 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Die Präsidentin des Amts für Statistik Berlin-Brandenburg, Prof. Dr. Ulrike Rockmann und der Beauftragte für Integration und Migration, Günter Piening, stellten Ende März neue Daten zur Bevölkerungsentwicklung in Berlin und zum Migrationshintergrund vor. Piening: „Bei den Debatten um Einwanderung herrschen häufig Mutmaßungen und Schätzungen vor. Genaue Zahlen sind eine wichtige Voraussetzung zu Versachlichung der Diskussion und zur passgenauen Umsetzung der Integrationspolitik vor Ort“

Seit zwei Jahren legt das Amt für Statistik Berlin-Brandenburg Daten vor, die den Migrationshintergrund der Bevölkerung in Bezirken und Stadtteilen erfassen. „Für eine nachhaltige Integrationspolitik sind herkömmliche Statistiken, die sich vor allem an der Staatsangehörigkeit orientieren, nur noch wenig hilfreich, da z.B. Aussiedler/innen oder eingebürgerte Personen und deren Kinder darin gar nicht auftauchen. Darum ist es integrationspolitisch extrem wichtig, dass das Amt für Statistik ein Verfahren entwickelt hat, mit dem wir nun regelmäßig die Verteilung und die Zusammensetzung der Bevölkerung mit Migrationshintergrund verfolgen können“, so Piening.

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870.000 Berliner haben Migrationshintergrund
Der jetzt vorgelegten Statistik zu Folge haben 872.000 Berlinerinnen und Berliner einen Migrationshintergrund, d.h. sie sind eingewandert oder sie haben Elternteile, die eingewandert sind oder keinen deutschen Pass haben. Darunter haben rd. 170.000 einen türkischen Migrationshintergrund, rd. 90.000 einen polnischen Migrationshintergrund und rd. 60.000 einen arabischen Migrationshintergrund.

Berlin befindet sich mit einem Migrantenanteil von 25,7% aber insgesamt im unteren Drittel der Großstädte, Städte wie Frankfurt a.M. (über 40%), Stuttgart (rd. 38%) oder Köln (rd. 33%) haben einen teilweise deutlich höheren Migrantenanteil.

Mehrstaatigkeit erwünscht
Fast die Hälfte der Bevölkerung mit Migrationshintergrund (47,5%) sind Deutsche, wobei die Anteile zwischen den Gruppen erheblich variieren. Vor allem bei Menschen aus Ländern, die unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit eingebürgert werden, sind die Anteile von Deutschen sehr hoch – so etwa 72% bei den Menschen aus dem Libanon und 63% bei Menschen aus dem Iran. Von insgesamt 168.748 türkischstämmigen Berliner/innen haben rund 63.000 (40%) einen deutschen Pass. 35% der Menschen mit vietnamesischem Hintergrund sind Deutsche. Die Hälfte der aus arabischen Ländern stammenden Berlinerinnen und Berliner hat einen deutschen Pass. Sehr gering sind noch die Anteile bei den Menschen mit palästinensischen Wurzeln (21%), was, so Piening, die Folge davon ist, dass diesen Menschen erst in den letzten Jahren eine Bleibeperspektive gegeben wurde. Piening erwartet hier in den kommenden Jahren stark steigende Einbürgerungszahlen.

Der Migrantenanteil ist in Mitte mit 44,8% am höchsten, gefolgt von Neukölln mit rd. 40% und Friedrichshain-Kreuzberg mit rd. 38%. In vielen Kiezen („Planungsraum“) in diesen Bezirken hat sich das Verhältnis von Minderheit zu Mehrheit längst umgedreht. Die meisten Menschen mit Migrationshintergrund wohnen im Planungsraum Askanischer Platz mit 68,9%, gefolgt vom Mehringplatz mit 66.6%. Über 50% der Einwohner/innen mit Migrationshintergrund in diesen Kiezen sind türkischer Herkunft. 30% der Einwohner in Kreuzberg und Nord-Neukölln stammen direkt oder über ihre Eltern aus einem islamischen Land.

Piening: „Vor welchen Herausforderungen insbesondere unser Bildungssystem steht, wird deutlich, wenn wir die Altersgruppen genauer untersuchen. 43% der 0-15 jährigen Berlinerinnen und Berliner haben einen Migrationshintergrund. In Kreuzberg, Wedding und Nord-Neukölln liegt dieser Anteil fast durchgehend bei 70% und höher. Von diesen haben 80% die deutsche Staatsbürgerschaft, was besonders deutlich macht, dass eine an Staatsangehörigkeit festgemachte Statistik zunehmend problematisch ist“

Info: Die Daten im Einzelnen finden Sie auf den Internetseiten des Amts für Statistik Berlin-Brandenburg. – Wer sind und wo leben die Zuwanderer in Berlin? Vortrag von Frau Prof. Dr. Ulrike Rockmann, Präsidentin des Amtes für Statistik Berlin-Brandenburg, zum Thema.

Integration ist keine Minderheitenpolitik
Aber auch die Vorstellung, die östlichen Bezirken seien nicht von Einwanderung geprägt, wird von den Zahlen widerlegt. Im Bezirk Lichtenberg haben etwa 13% der Einwohner einen Migrationshintergrund. In Marzahn-Hellersdorf sind es rund 10%. Allerdings verteilen sich diese Bewohner höchst ungleich über die Bezirke. Während im Kiez Malchow in Lichtenberg nur 158 Menschen mit Migrationshintergrund leben, sind es in Fennpfuhl über 5.700. Prägend sind in Lichtenberg vor allem Einwanderer aus Vietnam und aus den Staaten der früheren Sowjetunion. Vietnamesischstämmige Einwanderer machen in einigen Kiezen über 3% der Bevölkerung aus; im Kiez Bitterfelder Straße in Marzahn-Hellersdorf sind es sogar 19,3%. Der Anteil der Bevölkerung mit Migrationshintergrund „ehemalige Sowjetunion“, der auch Aussiedler und Russischsprachige umfasst, liegt in Marzahn-Hellersdorf mit 14.700 Personen bei 6% der Einwohner oder 54,6% der Einwanderer. Auch Charlottenburg-Wilmersdorf knüpft wieder etwas an die alte „Charlottengrad“-Tradition an: 12.400 der Einwohner stammen hier aus der früheren Sowjetunion; das sind 4%.

„Diese Zahlen“, so Piening weiter, „sind eindeutiger Beleg, dass es beim Thema Integration keineswegs um Minderheitenpolitik geht. Integrationspolitik berührt die gesamte Gesellschaft und die interkulturelle Öffnung von Politik, Wirtschaft, Kultur und Verwaltung wird zum zentralen Thema der politischen Agenda.“ (sb)
Gesellschaft Studien

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  1. Kürbis sagt:

    Dies sind die 4 Kandidate, die die Hauptparteien den Bewohnern von Berlin-Kreuzberg zur Wahl vorstellen.

    Nur 38% der Bevölkerung von Berlin-Kreuzberg haben einen Migrationshintergrund. Es ist weniger als in Mitte (45%) oder Neukölln (40%). Die Kandidaten in Mitte haben keinen Migrationshintergrund, den man an ihrem Namen auf den Plakaten erkennen könnte. Es ist auch nicht der Fall in, zum Beispiel, Charlottenburg oder Schöneberg.

    Die Frage stellt sich deutlich, ob diese koordinierte Kandidatenauswahl ein Zeichen guter Integration ist, oder ob weniger erfreuliche Interpretationen zutreffen könnten (z.B. „einen Stadtteil muss man den Migranten opfern“, „in Charlottenburg hätte Hr./Fr. XXXoglu nie eine Chance“, „nur Menschen mit Migrationshintergrund werden die Probleme der Migranten lösen können“ oder „lassen wir lieber die Migranten unter sich“).

    Die Frage stellt sich auch, wie die restliche Bevölkerung von Kreuzberg (immerhin 62%) diese koordinierte Kandidatenauswahl annehmen wird. Wir sind auf die Wahlrate und auf die Ergebnisse der kleinen Parteien gespannt.

    Um ganz ehrlich zu sein: mir wäre eine regelmäßigere Verteilung der Kandidaten mit Migrationshintergrund über die Bezirke lieber.

    Der Link zum Bild:

    flickr.com/photos/14135992@N02/6032505730

  2. matthias w sagt:

    Sehr geehrter Kürbis,
    vermutlich spielen Sie an auf den Wahlkreis 03 von Friedrichshain-Kreuzberg, in dem tatsächlich drei Männer und eine Frau mit Migrationshintergrund zur Wahl standen. Der Bevölkerungsanteil der Einwohner mit Migrationshintergrund liegt laut dem oben erwähnten Bericht aber nicht bei 38%, sondern zwischen 43% in der südlichen und 57% in der nördlichen Luisenstadt. Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg hatte insgesamt 6 Wahlkreise, in denen sehr unterschiedliche Kandidaten zur Wahl standen: Von den 30 Direktkandidaten der Parteien CDU, SPD, FDP, Die Linke und Bündnis90/Die Grünen haben acht einen Namen, der (wie Sie sagen) einen Migrationshintergrund vermuten läßt (das wären 26%). Daß nun gerade im Wahlkreis 03 ein anderer Prozentsatz zu verzeichnen ist, ist sicher kein Zufall, kann man den Parteien aber keineswegs anlasten, da sie sich verständlicher Weise nicht darüber absprechen, wie sie ihre Kandidaten so verteilen, daß jene mit Migrationshintergrund nicht aufeinandertreffen. Was sollte das auch für einen Sinn haben?