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Pim Fortuyn: Islamkritiker mit Stil

Am 6. Mai 2002 erschoss der radikale Umweltaktivist Volkert van der Graaf den rechten Populisten Pim Fortuyn im Mediapark zu Hilversum. Wofür stand der extravagante, ehemalige Hochschulprofessor, der sich anschickte, Ministerpräsident der Niederlande zu werden? Wie sehr hat Fortuyn, im Jahre 2004 zum „größten Niederländer aller Zeiten“ gewählt, der Integrationsdebatte in unserem Nachbarland geschadet?

Von André Krause Dienstag, 22.05.2012, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 24.05.2012, 8:03 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Wer sich die Mühe macht und bei Youtube den Namen „Pim Fortuyn“ eingibt, findet zahlreiche Fragmente, die es eindrucksvoll belegen: Fortuyn war eine einzigartige, bisweilen atemberaubende Erscheinung. Selbst wenn man seine Ideen zutiefst verabscheut – oder schlichtweg kein Niederländisch kann -, gelingt es einem bei der Betrachtung der archivierten Bilder kaum, sich dem speziellen Zauber zu entziehen, den der homosexuelle Politiker aus Rotterdam am Rednerpult oder in Talkshows versprühte. Fortuyn war DAS Paradebeispiel des charismatischen Populisten, dem zumindest Teile der Bevölkerung zu Füßen lagen.

Derzeit, zehn Jahre nach seinem gewaltsamen Tod, der die Niederlande einst in eine Schockstarre versetzte, ist Fortuyn wieder in aller Munde. Am 6. Mai 2012 ist ein Platz in Rotterdam nach ihm benannt worden. In zahlreichen TV-Sendungen blicken ehemalige Weggefährten auf die kurze, aber folgenreiche politische Karriere Fortuyns zurück.

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Dabei steht immer wieder ein inzwischen berüchtigtes Interview im Mittelpunkt, das die Qualitätszeitung de Volkskrant am 9. Februar 2002 veröffentlichte. Darin bezeichnete Fortuyn den Islam als eine „rückständige Kultur“. Zudem plädierte er für die Abschaffung des Diskriminierungsverbotes im 1. Artikel der niederländischen Verfassung und eine möglichst rigide Asylpolitik (im Idealfall: 0 Flüchtlinge zulassen). Diese Aussagen führten zum Bruch mit seiner damaligen Partei Leefbaar Nederland (LN) und zur anschließenden Gründung seiner eigenen politischen Bewegung, der Lijst Pim Fortuyn (LPF).

Wer heutzutage die Politik in unserem Nachbarland zumindest oberflächlich verfolgt, mag mit den Schultern zucken: Na, und!? Geert Wilders beabsichtigte vor einigen Jahren, marokkanischen Fußball-Hooligans präventiv in die Kniescheibe zu schießen, eine „Kopflumpensteuer“ einzuführen und den Koran zu verbieten. Über den manipulativen Koranfilm „Fitna“ ist bereits alles geschrieben worden.

Das stimmt. Aber im Jahre 2002 stellten Fortuyns Bemerkungen einen Tabubruch dar. Zwar hatte der ehemalige Hochschulprofessor in der Vergangenheit den Islam bereits mehrfach heftig kritisiert. Nun wiederholte er dies im Volkskrant-Interview jedoch nicht als Talkshow-Gast, Kolumnist oder Buchautor, sondern als Spitzenkandidat einer aufstrebenden Partei, die an den Wahlen zur Zweiten Kammer (vergleichbar mit dem Bundestag) teilnahm. Die Niederlande galten anno 2002 in den Augen der meisten Menschen noch als DAS europäische Multi-Kulti-Paradies schlechthin. Tolerant, weltoffen, fröhlich.

Allerdings drückte Pim Fortuyn eine Stimmung aus, die schon lange in weiten Teilen der Bevölkerung vorherrschte. Eine Stimmung, die zu lange von den etablierten Politikern ignoriert worden war. Der Soziologe Paul Scheffer, der zwei Jahre zuvor in einem Essay vom „multikulturellen Drama“ geschrieben hatte, bildete diesbezüglich ebenso eine Ausnahme wie der rechtsliberale Politiker Frits Bolkestein (Parteifreund des derzeitigen Ministerpräsidenten Mark Rutte).

Fortuyn politisierte die Themen „Immigration“, „Integration“ und „Islam“. Aufschlussreiche Passagen dazu enthält sein offiziöses Wahlprogramm „Die Trümmerhaufen von achten Jahren violetter Koalition“ („De puinhopen van acht jaar Paars“), das wenige Wochen vor dem landesweiten Urnengang 2002 präsentiert wurde und sich anschließend zu einem beispiellosen Verkaufsschlager entwickelte. Nie zuvor – und nie danach – fand ein Wahlprogramm solch reißenden Absatz.

In dem 186-seitigen Buch greift Fortuyn seine oben genannten Interview-Äußerungen hinsichtlich des Islams auf. Er schreibt: „Lasst es mich mal kraftvoll sagen: Aus unserer Perspektive, der Modernität, betrachtet, ist vieles von dem, was der Islam und seine Kultur repräsentieren, verwerflich bzw. vollkommen rückständig. Dies geht auch aus unserem großen ökonomischen, technologischen, wissenschaftlichen und kulturellen Vorsprung hervor, jedenfalls wenn die Entwicklung und Vielfalt sowie deren Erfolg als Vorsprung betrachtet werden darf.“

Fortuyn führt zudem praktische Beispiele an, die seine Thesen untermauern sollen: „Siege der türkischen Fußballnationalmannschaft verändern meine Stadt, Rotterdam, mit einem Schlag in Klein-Istanbul. Das erscheint unschuldig, ist es aber nicht. Es gibt mir das Gefühl, als ob unsere Stadt zeitweise von fremden Machthabern, die sich in diesem Moment wie solche verhalten, besetzt ist und es macht deutlich, dass es bis zur Integration noch ein langer Weg ist.“

Konkret fordert Fortuyn in „Die Trümmerhaufen von acht Jahren violetter Koalition“ unter anderem, dass Flüchtlinge künftig nur noch in der Herkunftsregion aufgenommen werden sollten. Wörtlich heißt es: „Das bedeutet für die Niederlande, dass nur noch Flüchtlinge aus Frankreich, Großbritannien, der BRD und Dänemark zugelassen werden, sollte dort etwas Ernsthaftes passieren.“ Darüber hinaus sollen der Schengen-Vertrag aufgekündigt und die Grenzkontrollen wieder eingeführt werden. Die Familienzusammenführung muss nach der Ansicht des Politikers aus Rotterdam erschwert werden, um „dieses unemanzipierte Theater von jungen türkischen und marokkanischen Männern unmöglich“ zu machen. In Wohnvierteln und Schulen möchte der Autor für eine bessere „Durchmischung der Bevölkerungsgruppen“ sorgen, um die „wachsende Apartheid“ in den Städten zu bekämpfen.

Rückblickend betrachtet steht fest: Pim Fortuyn formulierte Standpunkte, die viele Niederländer unterschrieben. Wenige Tage nach seinem Tod wurde seine politische Bewegung von gut 1,6 Millionen Bürgern zur zweitstärksten Kraft des Landes gewählt. Nur die Christdemokraten um den späteren Ministerpräsidenten Jan Peter Balkenende waren stärker. Auch wenn die Regierungsteilnahme der LPF bereits nach 87 Tagen mit einem beispiellosen Fiasko endete, hatte der ehemalige Hochschulprofessor das populistische Jahrzehnt in den Niederlanden eingeläutet und die Basis für künftige elektorale Erfolge seines selbsternannten Nachfolgers Geert Wilders geschaffen.

Allerdings hat Pim Fortuyn maßgeblich dafür gesorgt, dass die Integrationsdebatte in den Niederlanden stark islamisiert wurde. Dies hat bisweilen zu einem Tunnelblick bei vielen Analysten und Entscheidungsträgern geführt. Die Ablehnung des Islams ist seitdem tief in die Bevölkerung eingedrungen. Fortuyn, der Moslems einst als „fünfte Kolonne“ bezeichnete, hat fraglos zu einer Verhärtung der Gegensätze zwischen autochthonen und allochthonen Niederländern beigetragen. Bei den Themen „Immigration“ und „Islam“ hat seit 2002 ein deutlicher Rechtsruck bei nahezu allen Parteien stattgefunden. Dieser Rechtsruck gipfelte vorläufig im Oktober 2010 im Kabinett Rutte-Verhagen, das sich vom weitaus radikaleren Islamhasser Geert Wilders tolerieren ließ. Ob die populistische Ära mit dem Auseinanderbrechen dieser „rechten politischen Zusammenarbeit“ endgültig beendet worden ist, bleibt abzuwarten.

Wie auch immer: Zehn Jahre nach den tödlichen Schüssen von Hilversum stellt sich mancher Niederländer die Frage, in welchem Maße es einem lebendigen Pim Fortuyn gelungen wäre, die Politik im Polderland zu prägen. Wäre es ihm gelungen, eines Tages ins „Türmchen“, dem offiziellen Amtszimmer des Ministerpräsidenten, einzuziehen? Und: Wäre es dem Islamkritiker Fortuyn gelungen, den Aufstieg des Islamhassers Wilders zu verhindern? Darauf wird es leider keine Antworten mehr geben… Aktuell Meinung

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  2. A.Kausch sagt:

    „….eine Stimmung aus, die schon lange in weiten Teilen der Bevölkerung vorherrschte. Eine Stimmung, die zu lange von den etablierten Politikern ignoriert worden war….

    Damit ist eigentlich treffend beschrieben, was auch in anderen Ländern (auch Deutschland) das Problem ist, aber meist von den Medien „unter den Tisch gekehrt“ wird.

    Probleme können nur geändert werden, wenn man sie als solche erkennt, und offen benennt.

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