Sarrazin Buch

Deutschland tut sich schwer, „es“ abzuschaffen!

60.000 Exemplare von Thilo Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab“ wollte der tschechische Künstler Martin Zet sammeln, ausstellen und recyclen. Bisher kamen fünf Sarrazin-Bücher und ein Koran zusammen. Für Çiçek Bacık ist das ein eindeutiges Zeichen.

Von Montag, 27.02.2012, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 27.04.2015, 16:52 Uhr Lesedauer: 6 Minuten  |  

Im Vorfeld der 7. Berlin Biennale, die vom polnischen Künstler Artur Żmijewski kuratiert wird, hatte der tschechische Künstler Martin Zet in der zweiten Januarwoche die deutsche Bevölkerung dazu aufgerufen, Ihr Exemplar von Thilo Sarrazins „Deutschland schafft sich ab“ an einer der zahlreichen Sammelstellen abzugeben. Martin Zets Aktion „Deutschland schafft es ab“ beabsichtigt, aus den eingereichten Büchern eine Installation zu machen, die auf den rassistischen Inhalt aufmerksam macht. Für eine ordentliche Installation rechnete der Künstler ursprünglich mit 60.000 Büchern. Nach der Installation hatte der Künstler die Intention, die Bücher „für einen guten Zweck“ zu recyclen.

Rasch geriet die Aktion Martin Zets in die Schusslinie der Kritik. Statt sich mit der eigentlichen Intention der Aktion auseinanderzusetzen, reagierten die Medien auf Signalwörter wie „Sammelstelle“ und „recyclen“. Anscheinend hatte der Künstler damit tief schlummernde Ängste der deutschen Nation entfacht. Das Wort „recyclen“ wurde prompt mit „Bücherverbrennung“ im Dritten Reich in Verbindung gebracht. Dem Künstler wurde vorgeworfen, die Meinungsfreiheit beschneiden zu wollen. Als Hüter der Meinungsfreiheit getarnt, demonstrierten Sympathisanten eines Onlineportals, das als rechtspopulistisch und anti-islamisch eingestuft wird, auf dem Bebelplatz gegen die vermeintlich geplante Bücherverbrennung. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich diese Debatte über ganz Deutschland. Zahlreiche erboste Bürger wandten sich an die Organisatoren der Berlin Biennale, das KW Institute for Contemporary Art, um ihre Entrüstung zum Ausdruck zu bringen.

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Am 20. Februar 2012 hat Krytyka Polityczna, der Medienpartner der 7. Berlin Biennale, eine öffentliche Debatte anlässlich Martin Zets Aktion durchgeführt.

Die assoziierte Kuratorin Joanna Warsza schilderte, aus welchen Erwägungen die Kuratoren Martin Zet zur Berlin Biennale eingeladen haben. Nachdem 2010 das Buch von Sarrazin auf dem Markt gekommen war und die Bevölkerung zu spalten begann, wurde Martin Zet angesprochen, ob er eine Installation beitragen könne. Martin Zet ist seit Längerem professionell im Buchgeschäft. Er produziert selbst Bücher und hatte bereits mehrere Installationen aus Büchern realisiert. Das Buch von Sarrazin war auch in der Tschechischen Republik in dem renommierten Verlag „Academia“ unter dem Titel „Deutschland begeht Selbstmord“ erschienen. Mit diesem Aufruf hatte der Künstler gehofft, dass mindestens fünf Prozent der Käufer von 1.3 Millionen verkauften Exemplaren sich von dem Inhalt des Buches lösen und ihr Exemplar für die Installation spenden würden. Warsza erwähnte in diesem Zusammenhang, wie sich in der Vergangenheit norwegische Leser wegen des faschistischen Inhalts von Knut Hamsuns Büchern abgewandt hatten. „Mit diesem Aufruf wollten wir aus der passiven Rolle des Beobachters ausbrechen und dadurch eine substanzielle Veränderung bewirken!“ so Artur Żmijewski.

Was nun daraus geworden sei? „Die Medien stürzten sich auf diese Aktion und erzeugten eine Welle von hysterischen Flammen. Da waren diese Assoziationen mit der Bücherverbrennung durch Nazis.“ Statt die rationale Aufforderung der Bücherspende zu verfolgen, hätten die Menschen angefangen zu fantasieren. Martin Zets Idee dahinter sei nicht Zensur gewesen. Nach Żmijewski habe der Künstler Martin Zet die Rolle eines „Sozialtherapisten“ übernommen.

Das Plakat zur Aktion "Deutschland schafft es ab"

Das Plakat zur Aktion "Deutschland schafft es ab"

Nach der anfänglichen Medienhysterie um diese Kunstaktion hatten einige Kultureinrichtungen wie das Haus der Kulturen der Welt und die Ifa-Galerie die Zusammenarbeit mit der Berlin Biennale gekündigt. Als im letzten Jahr das Haus der Kulturen der Welt Sarrazin als Redner zu einer Veranstaltung eingeladen hatte, hagelte es Kritik, sodass Sarrazin daraufhin ausgeladen wurde. Als ich das Haus der Kulturen der Welt als eines der Kooperationspartner im Rahmen dieses Projekts erblickt hatte, freute es mich, dass diese Einrichtung den Mut hat, sich endlich öffentlich gegenüber Sarrazin zu positionieren. Jedoch war es dann doch vor dem Druck der Medien eingeknickt. Zahlreiche andere Partner unterstützen aus Solidarität mit der Berlin Biennale weiterhin die Aktion, so der Kunstraum Kreuzberg. Der dortige Kurator, Stéphane Bauer, kritisierte die ablehnende Haltung Christoph Tannerts, des Geschäftsführers des Künstlerhauses Bethanien, der diese Aktion mit der Zensur in der DDR verglich, als ein „idiotisches Argument“.

Als Vertreter der Medien war der Kunstkritiker Ingo Arend von der taz eingeladen, der diese Aktion zuvor als hilflose Antirassismus-Kampagne mit heikler Symbolik kritisiert hatte. In Deutschland werde bereits seit zwei Jahren eine intellektuelle Diskussion um Sarrazin geführt und es sei nicht angebracht, die Meinungsfreiheit der Menschen einzuschränken. Diese Kunstaktion sei nicht in der Lage, sich der intellektuellen Debatte zu stellen. Diesem Projekt mangele es an ästhetischen, symbolischen und politischen Strategien, so Arend weiter.

Der Referent für Migration in der Rosa-Luxemburg-Stiftung Koray Yılmaz-Günay unterstrich daraufhin, dass die Sarrazin-Debatte in Deutschland großen Schaden angerichtet und einen gravierenden Einfluss auf das soziale Leben habe. Da nur etwa drei Prozent der Journalisten in Deutschland einen Migrationshintergrund vorweisen, sei die Debatte in den Medien vor allem aus der Perspektive der Mehrheitsbevölkerung geführt worden; die ethnische und religiöse Vielfalt im Land sei dort kaum abgebildet worden. Nach den Vorveröffentlichungen in SPIEGEL und BILD sei Sarrazin vielmehr von Talkshow zu Talkshow gereicht worden, wo er seine rassistischen Thesen ungestört verbreiten konnte.

Yılmaz-Günay lehnte die Forderung Arends nach mehr intellektueller Debatte um Sarrazin ab, da dieser nicht an die Ratio appelliere. Das Deutschland, das sich angeblich abschaffe, sei eine überkommene Vorstellung von einer blutsverwandten deutschen Bevölkerung, es gehe aber darum, endlich gleiche Rechte für alle zu verwirklichen – auch für Migranten, Menschen mit Migrationshintergrund und People of Color, die auch ohne Migrationshintergrund rassistische Diskriminierung erleben. „Wir sind die Objekte dieser Debatte – und Sarrazin ist immer noch Mitglied bei einer sogenannten demokratischen Partei, da läuft was schief!“ Mit der Sarrazin-Debatte seien die Ethnisierungstendenzen in Deutschland noch stärker geworden, die verbale und physische Gewalt im Alltag habe zugenommen.

Sebastian Wehrhahn von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus in Berlin verwies auf eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung, nach der bis zu 50 Prozent der Deutschen die Beschneidung der Grundrechte von Muslimen befürworten, nach der letzten Studie von Wilhelm Heitmeyer zu gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit haben die anti-islamischen Tendenzen zugenommen. Es habe jenseits kreativer Demonstrationen im Umfeld der Veröffentlichung von „Deutschland schafft sich ab“ kaum einen künstlerischen Umgang mit dem Buch gegeben.

Der bereits zuvor durch seine provokante Kunst aufgefallene polnische Kurator Artur Żmijewski und der tschechische Künstler Martin Zet hatten es also gewagt, den Finger in die deutsche Wunde zu legen und den Rassismus in Deutschland anzuprangern. Es wurde viel Lärm um dieses Projekt gemacht. Und doch ist die reale Resonanz gering: Bisher wurden fünf Sarrazin-Bücher und ein Koran [!] für die Installation abgegeben. „Deutschland schafft es ab“ lautet der Name der Aktion. Jedoch tun sich die Deutschen offensichtlich schwer, „es“ abzuschaffen! Auch wenn bisher trotz großen Tumults nur wenige Bücher abgegeben wurden, ist das meines Erachtens ein eindeutiges Zeichen, dass der Künstler den Nerv der Zeit getroffen hat und damit aufzeigt, wie tief das Gift des Rassismus in die deutsche Alltagskultur eingesickert ist. Entgegen all der kritischen Stimmen zum Kunstwerk, die seine Qualität anzweifeln, ist Martin Zets Installation noch gar nicht entstanden. Es ist aber jetzt schon klar, dass die Installation das mangelnde Bewusstsein für Rassismus frappierend zum Ausdruck bringen wird. Aktuell Meinung

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  1. Mathis sagt:

    Wenn es Kunst ist, dann wirkt es.
    Mein Eindruck ist, dass das „Kunstwerk“ seine Wirkung schon entfaltet hat.Somit dürfte der Künstler eigentlich schon zufrieden sein.
    Er ist es aber nicht.Schließlich wollte er „substanzielle Veränderung bewirken“.Nun,die Transformation vom Buch zur Asche ist ja noch möglich.
    Darüber hinaus wollte sich der Künstler als „Sozialtherapist“ verstehen.
    Ein „Therapist“ braucht den „Klientist“. Wo kein „Klientist“ – da kein „Therapist“. Die Bedürftigkeit der Sarrazingeschädigten hält sich bislang in Grenzen, wie´s scheint.
    Schlussfolgerung der Autorin: Das Gift des Rassismus ist schon so tief in den Alltag der Gesellschaft eingesickert, dass die „Kunstaktion“ zum Scheitern verurteilt war und durch ihr Scheitern den Rassismus bestätigt.

    Anstatt sich Gedanken über die „Fantasien“ der Kunstverweigerer zu machen, hätte der Künstler und sein Team etwas gründlicher über die deutsche Gesellschaft nachdenken sollen.
    „Substanzielle Veränderungen“ unter der Anleitung eines „Sozialtherapisten“
    erreichen zu wollen, ist dann doch ein wenig zu platt und un-inspiriert, um als Kunst noch durchgehen zu können.Es fehlt die „Absichtslosigkeit“, die „Gleichgültigkeit“, die Kunst zu Kunst und damit „wirksam“ macht.
    Selbst, wenn ich ein Buchexemplar besäße, das der „Verbrennung“ würdig wäre, hätte ich den Altpapiercontainer vorgezogen.

  2. Pepe sagt:

    „von vielen Menschen als lesenswert betrachtet“.

    Ja, von 60.000 PI-Lesern.

  3. Rechenratz sagt:

    Pepe, ich hatte Sie ja schon einmal gefragt: Sind Sie Türke? Ihren Statements nach zu Urteilen, ja. Ich kenne keinen Spanier bzw. Südamerikaner, der Probleme mit Sarrazins Thesen hätte, geschweige denn, dass ihm Integrationsunwillen oder dergleichen vorgeworfen würde. Hispanier sind in der Regel bestens integriert. Deshalb frage ich.

  4. Optimist sagt:

    Rechenratz, sind Sie ein Neonazi? Ihren Statements nach zu Urteilen, ja. Ich kenne keinen Deutschen, der nicht rechts ist und sich dennoch derart eindeutig äußert. Integriert sind Sie deshalb aber noch lange nicht :D

  5. Alpay sagt:

    Schließlich wollte er “substanzielle Veränderung bewirken”.Nun,die Transformation vom Buch zur Asche ist ja noch möglich. WAS für ein geiler Satz. Wir haben alle keine Probleme mit Sarrazin, er is durch´n´durch nen Gangster, soviel Idioten wie sein Buch kauften, und er verdient Kohle damit, nöööö, weil er sich verantwortlich fühlt für „sein“ Volk. @Optimist: Seien Sie sich nicht so sicher: Neo-Nazis regieren die Welt, oder warum denken Sie liefern wir kein Weizen in Hungergebiete. Einfach nicht selbstsicher sein, dann sind Sie hier willkommen.