Schule

Aktiv gegen Rassismus

„Diskriminierung und Intoleranz geben wir bei uns keine Chance.“ Das können noch längst nicht alle Schulen in Deutschland von sich behaupten – auch wenn sich immer mehr Schulen Gedanken darum machen, wie sie dieses Ziel erreichen können.

Dienstag, 13.12.2011, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 15.12.2011, 9:26 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Eigentlich ist die Gertud-Bäumer-Realschule in Dortmund eine ganz normale Realschule. „Ich würde uns sogar eher als konservativ bezeichnen“, sagt Christof Birkendorf, der hier seit sieben Jahren Mathematik, Erdkunde und Politik unterrichtet. „Wir bieten unseren Schülern ein gut durchorganisiertes System – und sind damit wie eine sichere Burg inmitten des Trubels im Umfeld der Schule.“

Trubel, der gehört in der Dortmunder Nordstadt zum Alltag. Das Viertel ist berühmt-berüchtigt als sozialer Brennpunkt. Die Hälfte der rund 54 000 Einwohner hat ausländische Wurzeln. Jeder dritte Erwachsene ist arbeitslos. Alkohol, Drogen und Kriminalität sind allgegenwärtig. Kinder, die hier aufwachsen, haben alles andere als gute Startchancen.

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27 Nationen an einer Schule
Das gilt auch für die meisten der 650 Schülerinnen und Schüler der Gertrud-Bäumer-Realschule. 27 Nationen sind an der Schule vertreten. Neun von zehn Kindern haben einen Migrationshintergrund. Viele stammen aus so genannten bildungsfernen Elternhäusern oder aus schwierigen sozialen Verhältnissen. Trotzdem herrscht in der Schule eine freundliche Atmosphäre ohne Gewalt oder Zerstörung. Die Schülerinnen und Schüler engagieren sich in AGs und der Schülerverwaltung, die Großen sehen sich als Vorbild für die Kleinen. Und alle waren daran beteiligt, dass ihre Schule im Februar mit dem Titel „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ ausgezeichnet wurde.

Dieses Zertifikat verleiht die gleichnamige Initiative bundesweit an Schulen, die sich in besonderem Maß gegen Diskriminierung, Gewalt und Mobbing und für Zivilcourage einsetzen. 1988 in Belgien gegründet, ist die Initiative seit 1995 auch in Deutschland aktiv. Im ersten Jahr beteiligten sich fünf Schulen an dem Netzwerk, inzwischen sind es über 1 000 Schulen mit mehr als 750 000 Schülerinnen und Schülern – Grundschulen genauso wie Realschulen, Gymnasien, Gesamtschulen oder berufsbildende Schulen.

Antirassismus ist Alltag
Eine Voraussetzung für das Zertifikat ist, dass sich mindestens 70 Prozent der Schülerinnen und Schüler, der Lehrkräfte, des sonstigen Personals und die Schulleitung per Unterschrift verpflichten, Aktionen gegen Rassismus und Gewalt an der Schule durchzuführen. Ein Klacks für die Gertrud-Bäumer-Realschule: Hier haben 95 Prozent der Beteiligten unterschrieben. Kein Wunder, meint Birkendorf: „Schließlich ist Antirassismus bei uns Alltag. Anders wäre es auch gar nicht möglich, mit so vielen verschiedenen Nationen friedlich zusammenzuleben und gut zu arbeiten.“

Doch damit diese Einstellung erst einmal Alltag wurde und weiterhin bleibt, tun das Kollegium und die Schüler einiges. So laden die Kinder der fünften und sechsten Klassen jedes Jahr zu einem interreligiösen Gebet ein. Ältere Schülerinnen und Schüler organisieren jährlich eine „faire Autowaschaktion“, bei der sie Autos gegen eine Spende waschen und die so erarbeiteten Gelder an ein soziales Projekt weiterleiten, diesmal an ein Wasserprojekt in Kenia.

Außerdem gibt es in diesem Jahr ein „Faires Fußballturnier“ gegen andere Schulen. Dabei geht es sowohl um faires Verhalten auf dem Platz als auch um soziales Engagement, weshalb die Schüler als Rahmenprogramm faire Produkte aus dem Welthandel verkaufen.

Keinen ausgrenzen
Im Unterricht gilt die Regel, deutsch zu sprechen, um keinen auszugrenzen. Bei Regelverstößen im Schulalltag entscheiden Lehrer, Schüler und Eltern gemeinsam über Lösungswege.

Das Engagement der Schüler und Lehrer gegen Rassismus und für ein gutes Zusammenleben zahlt sich nicht nur in puncto Schulatmosphäre aus. „Uns gelingt es so auch viel besser, unsere Schüler als Individuen zu sehen, die Möglichkeiten jedes Einzelnen fair zu beurteilen und ihm oder ihr Perspektiven nach oben zu vermitteln, statt sie auf die Hauptschule abzuschieben“, sagt Christoph Birkendorf. Etliche der Gertrud-Bäumer-Schülerinnen und -Schüler finden denn auch eine Lehrstelle oder besuchen anschließend eine weiterführende Schule, machen Abitur oder studieren.

Info: Das Netzwerk „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ zeichnet Schulen aus, die sich für ein Zusammenleben ohne Gewalt und Angst und ohne Vorurteile gegenüber ethnischen oder religiösen Minderheiten einsetzen.

Auf Umwegen zum Abitur
Rassismus an Schulen macht sich nämlich nicht nur durch Pöbeleien und Mobbing bemerkbar, sondern oft Das Netzwerk „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ zeichnet Schulen aus, die sich für ein Zusammenleben ohne Gewalt und Angst und ohne Vorurteile gegenüber ethnischen oder religiösen Minderheiten einsetzen. viel subtiler in der Leistungsbeurteilung und Förderung der Kinder. So empfindet es auch Melek (Name v.d. Red. geändert), die mit ihrer Familie in einer süddeutschen Kleinstadt lebt. Ihre älteste Tochter hat gerade die Realschule abgeschlossen und dabei ganz knapp die heiß ersehnte Gymnasialempfehlung verpasst. „In der letzten Prüfung hat ihr die Lehrerin gar keine Chance gegeben. Sie hat uns auch vorher immer zu verstehen gegeben, dass unsere Tochter nicht auf die Realschule gehört.“

Ähnliche Erfahrungen hat auch Kübra gemacht. Ihr ältester Sohn hat inzwischen auf Umwegen das Abitur abgelegt und studiert jetzt in der Türkei. „In Deutsch konnte er machen, was er wollte, er bekam nie bessere Noten als eine Vier. Und das hat halt nicht fürs Gymnasium gereicht.“ Viel Hoffnung, dass sich für ihre Jüngste etwas ändert, die gerade die dritte Klasse besucht, hat Kübra nicht. Auch wenn die Kleine schon genau weiß, was sie will: „Wenn ich groß bin, werde ich Ärztin. Und ganz schlau.“ (klett) Aktuell Gesellschaft

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