Stellungnahme zur Zwangsheirat-Studie
Wissenschaftler werfen Schröder das Schüren antimuslimischer Ressentiments vor
Wissenschaftler der Zwangsheirat-Studie fühlen sich „hinters Licht geführt“. Familienministerin Schröder habe Befunde der Studie verzerrt und anti-muslimische Ressentiments geschürt. MiGAZIN veröffentlicht die Stellungnahme im Wortlaut:
Montag, 28.11.2011, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Freitag, 02.12.2011, 9:49 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Stellungnahme zur Studie: „Zwangsverheiratung in Deutschland – Anzahl und Analyse von Beratungsfällen“
Die Studie „Zwangsverheiratung in Deutschland“, von Thomas Mirbach, Torsten Schaak und Katrin Triebl im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) verfasst, ist am 9.11.11 der Öffentlichkeit vorgestellt worden. Frau Ministerin Kristina Schröder hatte vorweg am 8.11.11 in einem Gastbeitrag der FAZ einige zentrale Ergebnisse der Studie interpretiert. Ihre Präsentation hat uns – als Mitglieder des Beirats bzw. Teilnehmerinnen des wissenschaftlichen Workshops – sehr befremdet. Zu zwei wichtigen Punkten möchten wir im Folgenden Stellung beziehen.
Religionszugehörigkeit
Die Befürchtung, dass eine Erhebung der Religionszugehörigkeit Anlass für Missverständnisse, Fehldeutungen oder problematische Zuschreibungen werden könnte, war sowohl im Beirat als auch im Rahmen des wissenschaftlichen Workshops ausdrücklich Thema. Leider bestätigt sich diese Befürchtung durch den genannten FAZ-Beitrag, in dem Frau Ministerin Schröder behauptet, dass „nach Angaben der Betroffenen 83,4% der Eltern Muslime seien“. Diese Behauptung ist schlichtweg falsch, denn Betroffene von Zwangsverheiratung sind zu keiner Zeit im Rahmen dieser Studie direkt befragt worden. Es handelt sich bei der genannten Zahl vielmehr um das Ergebnis einer Befragung von Menschen, die in Beratungseinrichtungen tätig sind; diese sollten im Jahre 2009/2010 Auskunft über Fälle von (angedrohter) Zwangsverheiratung im Jahr 2008 geben.
„Was Ministerin Schröder im Übrigen mit der Forderung meint, dass „manche traditionelle Wurzeln endgültig durchtrennt werden“ müssten, bleibt der Phantasie des Lesepublikums überlassen. Die Gefahr, dass durch diese scharfe Formulierung anti-muslimische Ressentiments Auftrieb erhalten, liegt jedenfalls auf der Hand.“
Es ist nicht bekannt, ob die Beraterinnen und Berater in der Praxis die Religion der Eltern abgefragt haben, ob sie im Nachhinein versucht haben, sich zu erinnern, oder ob sie bloße Vermutungen äußern. Daher wäre die richtige Formulierung „Beraterinnen und Berater gaben an, dass sie davon ausgehen, dass 83,4% der Eltern der Betroffenen vermutlich muslimischer Herkunft sind“. Wer solche Differenzen als beiläufig abtut, spricht empirischen Studien implizit jeden Sinn ab. Man kann sich die Mühe dann lieber gleich sparen. Darüber hinaus ist auch die genannte Zahl mit Vorsicht zu genießen, denn sie sagt nichts darüber aus, welchen Stellenwert Religion im Alltag bzw. im Handeln gespielt hat. So ist es durchaus möglich und wahrscheinlich, dass andere Faktoren als der religiöse Hintergrund eine zentrale Rolle spielen und die Religion der Täter/-innen hier lediglich Scheinkorrelationen abbildet. Beispielsweise dürfte der sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen in kirchlichen Zusammenhängen ebenfalls nicht zentral auf den christlichen Glauben der Täter zurückzuführen sein, sondern auf die Gelegenheitsstrukturen für pädosexuelle Täter und unter Umständen auf autoritäre und Täter abstützende Strukturen in entsprechenden Einrichtungen. Hierfür den christlichen Glauben per se verantwortlich zu zeichnen wäre ähnlich verkürzt wie die Zwangsverheiratungen zentral auf den islamischen Glauben zurückzuführen, der ebenso wenig Aussagen zur Legitimierung von Zwangsverheiratungen enthält wie der christliche Glauben den sexuellen Missbrauch von Kindern legitimiert.
Schürt Familienministerin Kristina Schröder antimuslimische Ressentiments?Ja. (53%) Nein. (44%) Weiß ich nicht. (3%)Wird geladen ...
Die Problematik des Missbrauchs und der Instrumentalisierung des Themas Zwangsverheiratung für anderweitige politische Zielsetzungen und antiislamische Propaganda ist auch im Vorfeld im Beirat diskutiert worden. Mehrere Personen aus dem Beirat hatten sich daher gegen die Aufnahme der Frage nach der vermuteten Religionszugehörigkeit in den Fragebogen ausgesprochen. Den skeptischen Vorbehalten begegnete das BMFSJ mit der Zusicherung, dass die vermutete Religionszugehörigkeit nur deshalb erhoben werden solle, um für mögliche Nachfragen aus dem parlamentarischen Raum gewappnet zu sein. Der in der FAZ erschienene Artikel – mit einer sehr eigenwilligen bzw. tendenzösen Darstellung der Religionszugehörigkeit – lässt sich hiermit kaum in Einklang bringen und gibt uns das Gefühl hinters Licht geführt worden zu sein. Was Ministerin Schröder im Übrigen mit der Forderung meint, dass „manche traditionelle Wurzeln endgültig durchtrennt werden“ müssten, bleibt der Phantasie des Lesepublikums überlassen. Die Gefahr, dass durch diese scharfe Formulierung anti-muslimische Ressentiments Auftrieb erhalten, liegt jedenfalls auf der Hand.
Die angebliche Anzahl der Betroffenen
Die Studie hat herausgefunden, dass „3.443 Personen im Jahr 2008 in insgesamt 830 Beratungsstellen erfasst“ wurden. Hiervon sind „60% angedrohte und 40% vollzogene Zwangsverheiratungen“ (Kurzfassung Studie S. 7). Wir waren höchst erstaunt zu lesen, dass dies von einer Ministerin wie folgt zusammenfasst wird: „3443 Fälle von Zwangsverheiratungen haben die Beratungsstellen in Deutschland für das Jahr 2008 registriert.“ Hierbei werden angedrohte Straftaten mit tatsächlich stattgefundenen gleichgesetzt. Ebenso wird leider nicht zitiert, dass die Studie darauf hinweist, dass diese Zahl Mehrfachnennungen beinhaltet und damit Fälle doppelt gezählt worden sein können; auch hierauf haben vor allen Dingen die Praktikerinnen im Beirat immer wieder hingewiesen.
Hinweis: Weitere Berichte und Kommentare zur Studie: „Zwangsverheiratung in Deutschland – Anzahl und Analyse von Beratungsfällen“ finden Sie hier auf MiGAZIN.
Die öffentliche Darstellung und Auswertung der Studie durch Ministerin Schröder wird den Befunden in wichtigen Punkten nicht gerecht. Über mögliche Fehlwahrnehmungen, stereotype Interpretationen und etwaige politische Instrumentalisierungen der Studie wurde sowohl im Beirat als auch im wissenschaftlichen Workshop intensiv diskutiert. Dass ausgerechnet die Auftraggeberin der Studie verzerrende Interpretationen wichtiger Befunde in der Öffentlichkeit verbreitet, ist für alle Beteiligten, die viel ehrenamtliche Arbeit in die Beratung der Studie investiert haben, mehr als bedauerlich.
Als Mitglieder des Beirats: Prof. Dr. Heiner Bielefeldt, Yildiz Demirer, Dr. Nivedita Prasad, Dr. Monika Schröttle
Als Teilnehmerinnen des wissenschaftlichen Workshops: Prof. Dr. Ursula Boos-Nünning, Prof. Dr. Gaby Straßburger Leitartikel Politik
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Sehr aufschlußreiche Stellungnahme. Vorallem diese Aussage ist interessant:
„Die Problematik des Missbrauchs und der Instrumentalisierung des Themas Zwangsverheiratung für anderweitige politische Zielsetzungen und antiislamische Propaganda ist auch im Vorfeld im Beirat diskutiert worden. Mehrere Personen aus dem Beirat hatten sich daher gegen die Aufnahme der Frage nach der vermuteten Religionszugehörigkeit in den Fragebogen ausgesprochen.“
Ziel der Studie ist also nicht etwa eine objektive und umfassende Faktensammlung aller relevanter Größen, nein vielmehr werden bestimmte Fakten bewusst nicht erfasst, weil die Analysen dieser Fakten dem Weltbild der Verfasser der Studie entgegenlaufen könnten. Der Islam hat mit Zwangsverheiratung nichts zu tun, darin ist man sich sicher, und die Tatsache das fast alle Betroffenen Moslems sind, soll keine Argumente für eine islamkritische Betrachtung geben.
Diese Vorgehensweise zeigt nicht nur ein fehlendes Islamwissen und eine falsch verstanden Politische Korrektheit, sondern sie steht auch der Lösung des Problems im Wege und erweist damit allen Betroffenen einen Bärendienst. So wird man die Probleme nicht lösen, Probleme übrigens die es ohne Eiwanderung aus islamischen Staaten in Deutschland im Jahre 2011 nicht geben würde.
Die Lage ist ernst und wird schlimmer. Viele objektive Studien zeigen das. http://www.welt.de/politik/deutschland/article13737784/Im-Namen-der-Ehre-die-Kehle-durchschneiden.html
@ monte
im vorfeld hat man – und jetzt genau lesen! – über missbrauch und instrumentalisierung für anderweitige politische zielsetzungen geredet und nicht darüber, dass sie dem weltbild der verfasser nicht entsprechen. ihr kommentar ist der beste beweis dafür, dass die wissenschaftler mit ihrer vermutung recht hatten.
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Hat jemand die Studie gelesen? Wundert mich nicht, dass Thomas Mirbach, Torsten Schaak und Katrin Triebl sich der Kritik hier nicht anschließen. Ich sehe das auch so in der Studie. Oder die Studie ist nicht gut formuliert. Dann aber gehört die Kritik diesen Forschern an den Kopf geworfen. Warum schreibend ie Zahlen mit Stellen nach dem Komma wenn die dann sagen, das seien alles nur Vermutungen?
Schon der Versuch einer Zwangsverheiratung ist strafbar, deshalb müssen die angedrohten und vollzogenen Zwangsverheiratungen selbstverständlich in einem traurigen Kontext gesehen werden. Die Studie spricht nicht ohne Grund in ausdrücklicher Absprache mit den Wissenschaftlern von einer „Bruttogröße“ und betont, dass Gewalt „nicht erst der Vollzug“, sondern „schon die Androhung von Zwangsverheiratung ist“. Wir gehen davon aus, dass die Wissenschaftler alle Daten und Zahlen selbstverständlich wissenschaftlich belastbar erhoben haben. Dass jetzt einige Beteiligte versuchen, bestimmte Forschungsergebnisse mit Hinweis auf Erhebungsmethoden zu relativieren und den Beratungsstellen unsaubere Dokumentationen vorzuwerfen, wird der menschlichen Trägodie, die hinter jedem dieser Fälle steckt, leider nicht gerecht.
Nachtrag: Prof. Dr. Heiner Bielefeldt, Yildiz Demirer, Dr. Nivedita Prasad und Dr. Monika Schröttle behaupten in ihrer Kritik: „Es ist nicht bekannt, ob die Beraterinnen und Berater in der Praxis die Religion der Eltern abgefragt haben, ob sie im Nachhinein versucht haben, sich zu erinnern, oder ob sie bloße Vermutungen äußern.“ Diese Behauptung ist falsch, wie ein simpler Blick in den Befragungs- und Dokumentationsbogen oder ein Anruf beim Lawaetz-Institut ergab. Es wurde nämlich sehr sauber zwischen ausdrücklichem Wissen, Schätzung und Nicht-Wissen unterschieden.
Aus der Studie:
„Im Rahmen der Falldokumentation wurde nach der Religionszugehörigkeit sowie der Religiosität der Eltern der von Zwangsverheiratung betroffenen oder bedrohten Personen gefragt. Bei der Auswertung zeigte sich das folgende Ergebnis: Zur Frage der Religionszugehörigkeit der Eltern lagen bei knapp 60% der dokumentierten Fälle Angaben vor. Insgesamt genannt wurden die Religionen Islam, Jesidentum, Christentum, Hinduismus sowie keine Religionszugehörigkeit. Dabei entfielen 83% auf den Islam.
Die zweitwichtigste Glaubensgemeinschaft stellt das Jesidentum mit einem Anteil von 9,5% dar. Dem Christentum gehören 3% und dem Hinduismus 1% der Eltern an und für 2,5% wurde „keine Religionszugehörigkeit“ angegeben.“
Die Falldokumentation machen die Beraterinnen und Berater. Ihr unterstellt den Beratern – meine Frau ist Beraterin, deshalb bin ich hier so sauer – dass sie die Dokumentationen fälschen und Religionshintergründe nur raten. Was soll das? Nur um der Schröder eines mitzugeben diskreditiert Ihr diese wichtige Arbeit. Was ist der Sinn? Ich könnte echt platzen. Man hat das Gefühl, hier gibt es einige, die wollen diese Beratungsarbeit gerne kapuitt machen, weil sie nicht ins Weltbild paßt. Schämt Euch.
MFG Adam.