Ein Fremdwoerterbuch

Wehret den Anfängen, wehret den Anfängen…

So oft rief man diesen Satz in den vergangenen Jahren. So oft, dass er heute bedeutungslos ist. 182 rassistische Morde zählen wir in meinem Land. 182 zu viel. Das ist kein Anfang mehr.

Von Kübra Gümüşay Freitag, 25.11.2011, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 30.11.2011, 7:25 Uhr Lesedauer: 2 Minuten  |  

„Braune Armee Fraktion!“, „Brauner Terrorismus!“, „Braune Morde!“, Braun! Wie ein Wirbelsturm jagte die Neuigkeit in den letzten Tagen über mein Land und zeigte uns die Gesichter einer Krankheit, die wir viel zu lange ignorierten. Mein Land ist krank. Mein Land ist rassistisch. Und die braunen Flecken sind nur seine Symptome.

Wir haben den Falschen applaudiert und die Falschen uns. Sarrazin, wir klatschten. Wilders, wir klatschten. Broder, wir klatschten – und jetzt bluten uns die Hände.

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Die waschen wir uns nun. Über unsere braunen Flecken sprechen wie so, als seien es nicht unsere. Als wären es die Flecken anderer. Enthusiastisch und leidenschaftlich stürzen sich nun die Blätter, die jahrelang den Hass schürten, kein Stereotyp unbeschrieben ließen und kein Vorurteil ungenannt, nun auf die Familien der Opfer, besuchen ihre Häuser und waschen dort ihre Hände. Sie schreiben über die bösen Rechten – die anderen.

„Ich bin unschuldig an dem Blut dieses Gerechten, sehet ihr zu.“ (Matthäus 27, 24)

Wir alle sind schuld.

Man will die NPD verbieten. Ein Pflaster auf das Blut, die Flecken kleben. Kaschieren, verstecken. Ist Rassismus nicht mehr da, wenn es die NPD nicht mehr gibt?

Nein, die Täter sind unsere Täter. Die Opfer sind unsere Opfer. Das Blut ist unser Blut. Das alles geschieht in unserem Land, in unserer Gesellschaft. Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Antisemitismus, Islamophobie sind unser aller Themen. Denn wir sind krank.

Hören wir doch auf, uns hinter den Familien der Opfer zu verstecken, hinter NPD-Verboten. Reden wir über unsere Krankheit, reden wir davon, wie sich der Rassismus durch alle Gesellschaftskreise zieht – von Stammtischen bis hin zu akademischen Champagnerglas – und Steh-Events. Ohne dabei immer wieder unausweichlich beim Thema Deutschenfeindlichkeit zu enden. Es ist auch der subtile Rassismus, der Blick, der Ton, der schmerzt, verletzt und verstößt. Erst kürzlich lernte ich in London eine türkische Juristin kennen, die vor einigen Jahren – unentschlossen, ob sie lieber nach Deutschland oder England auswandern sollte – mein Land besuchte. Eine Woche, sagt sie, habe sie es ausgehalten.

Eine Woche und sie fühlte sich minderwertig, untergeordnet und schwach. Heute ist sie eine erfolgreiche Londoner Anwältin.

Was sollte ich ihr sagen? Ich konnte nur schweigen.

„Rassismus ist doch kein Thema mehr“, rief mir vor ein paar Monaten ein CDU-Politiker in einer Debatte hochrot angelaufen und erbost zu. „Es stirbt doch niemand mehr, es brennen doch keine Häuser mehr.“

Lasst uns endlich ehrlich sein mit uns. Lasst uns die Wurzel unserer Krankheit behandeln, aufeinander zugehen. Stark sein. Gesunden. Lasst dies den Anfang vom Ende sein. Aktuell Meinung

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  1. Bert sagt:

    Erste Aufgabe eines Staates ist der Schutz der körperlichen Unversehrtheit der Bürger.

    Warum ein Bürger z.B. von einem Gewalttäter eins auf die Glocke bekommen hat, darf überhaupt keine Rolle spielen.

    Übrigens tut ein Schlag von einem unpolitischen Barbaren ganz genauso weh wie ein Schlag von einem Scientologen, NeoNazi, fundamentalistischem Muslim usw.

  2. Sabine v.C. sagt:

    Es ist unser Land.

  3. Fatih Günaydin sagt:

    @Bert Dafür ist aber kein Leviathan a la Hobbes notwendig. Übrigens, Ihre Vergleiche sind geschmacklos.

  4. fatih koparan sagt:

    Wist ihr die schlimsten erfahrungen mit der krankheit habe ich in den letzten tagen gemacht. Es gibt menschen die versuchten die morde zu legitimieren
    indemm sie mir vorgeworfen haben es gibt in der türkei die grauenwölfe die das selbe wären oder die morde von malatya wo missionare ermordet wurden und …….
    Es darf doch nicht sein das irgendwelche verbrechen an der menschlichkeit
    irgendwie versucht wird zu legitimieren.
    Aber ich glaube es haben irgendwelche leute geschlampt und die müssen zu rechenschaft gezogen werden.

  5. Katrin sagt:

    182 ist nicht die Zahl der rechten Gewalttaten, sondern aller politischen Gewalttaten von rechts und links. Die der Rechten liegt bei unter einhundert.
    Übrigens ist die Zahl der Gewaltopfer von muslimischen Einwanderern noch höher, aber das verschweigt ihr Immigranten natürlich lieber.

  6. Peter sagt:

    Sarrazin, Wilders, und Broder sind Gesellschaftskritiker, von denen keine Gewalt ausgeht auch kein Aufruf dazu. Sie vertreten auch keine naziideologischen Ansichten wie die NPD und dieses Mördertrio.
    Diese Unterscheidung ist so wichtig, wie die, dass nicht alle Kopftuchträger automatisch auch Mitglieder oder Sympatisanten der Al-Quaida und Scharia sind.

  7. Leila sagt:

    Katrin sagt am
    28. November 2011 um 09:45
    „182 ist nicht die Zahl der rechten Gewalttaten, sondern aller politischen Gewalttaten von rechts und links“

    Die Zahl der politischen Gewalttaten in einem Jahr liegt weit höher.
    (2010: Rechtsextremismus 762, Linksextremismus 944)

    Kübra Gümüşay:“182 rassistische Morde zählen wir in meinem Land“

    Kübra Gümüşay meint die 182 Todesopfer rechtsextremistischer und/oder rassistischer Gewalt seit 1990.
    http://www.netz-gegen-nazis.de/artikel/182-todesopfer-rechtsextremer-und-rassistischer-gewalt-seit-1990-0182

    Das Netz gegen Nazis hat allen Todesopfern einen Namen gegeben und führt die Tathintergründe auf. Es ist auffällig, dass sich unter den Toten sehr viele Obdachlose befinden, die Opfer der Herrenmenschenideologie wurden. Sie werden nicht nur in Statistiken vergessen,sondern haben auch sonst keine Fürsprecher. Auch Frau Gümüşay gefällt sich in der Nennung der hohen Anzahl, lässt aber die Ärmsten der Armen unter den Tisch fallen, weil es ihr nicht in die Strategie passt.
    Kübra Gümüşay:“Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Antisemitismus, Islamophobie sind unser aller Themen“.
    Das ist mir zu partikularistisch, Menschenverachtung ist unser Thema. Dazu brauchen wir auch keine türkische Journalistin bemühen, die in Deutschland zu Besuch ist und es hier nicht aushält, Menschenverachtung ist international.

  8. H. Germann sagt:

    @ Leila

    Die Zahl der als Opfer rechtsradikaler Gewalt anerkannten Todesopfer
    liegt bei 47. Jeder davon ist einer zuviel, keine Frage. Das das Thema von „interessierter Seite“ dazu benutzt/nißbraucht wird, um sehr wohl berechtigte Kritik zum Schweigen zu bringen, ist offensichtlich. Und schändlich.

  9. Mathis sagt:

    Die Autorin klingt…………hysterisch!
    Aber das ist eine leicht zu erklärende Folgeerscheinung der traumatischen Erfahrung der Rechtlosigkeit im Rechtsstaat.
    Das macht wütend,sprachlos oder eben auch hysterisch.

  10. Frollein XY sagt:

    Rassismus ist ein strukturelles Problem, nicht die Krankheit des oder der Einzelnen – wie die Autorin völlig richtig konstatiert.

    Sarrazin, Broder und Co sind nicht schuldig an diesen Morden – das wird hier von der Gegenseite konstatiert und trifft auch völlig zu. Dennoch haben Sarrazin und Broder ähnliche Gedankengänge, wie die Nazis mit Glatze nur eben etwas mittelschichtadäquater und weniger glatzköpfig. Dennoch – sie gehen derselben gedanklichen Verirrung auf den Leim. Nämlich, dass die Anderen schuldig sind an allem, was bei ihnen selber schief läuft – und dass sie selber um genau so viel besser sind, wie sie die Anderen schlechter machen… Fehlgeschlagenes Identitätskonzept. Für den /die Einzelne/n fehlgeschlagen aber auch für das/die eigene „Volk“, „Nation“, „Kultur“, „Rasse“ oder wie auch immer man es nennen wird, wenn wieder einer der Begriffe im Diskurs um die Abwertung des Anderen zur Stabilisierung des Eigenen nicht mehr gesagt werden darf und ein anderer für dasselbe Phänomen an seine Stelle tritt…

    @Kathrin – völlig unrichtig (und auch ganz schlechter Stil) ist hingegen der Tonfall mit dem Sie die Autorin belegen. Die Aussage „Ihr Immigranten“ zeugt davon, wie sehr sie von dem obengenannten strukturellen Problem betroffen sind (aber damit auch immer noch nicht mehr als Sarrazin und Broder oder die Zwickau-Kandidaten).

    Auffallend ist doch – und das immer wieder – dass sich hier in den Kommentaren auf der Migazin Seite permanent Menschen rassistisch äußern. Es wird geschimpft gehetzt, gstritten und vor allem beschuldigt. Das ist wenig konstruktiv. Das kommt hier immer von rechts. Mir scheint als habe man gar kein Interesse daran, dass es funktioniert, was man auch immer als gescheitert empfinden mag. Mir scheint als habe man gar keine Ahnung von der Materie.
    Auffallend ist auch, dass die Autoren dieser Seite fast allle mit dem Thema Migration und Integration aus erster Hand vertraut sind (biographisch, beruflich oder ähnlicher Art). Es ist dahr wohl nicht so weit hergeholt, was die Autoren – wie z.B. Frau Gümüsay – hier schreiben, wenn es auch manchmal pathetisch und poetisch daherkommt.