Sprachanforderungen beim Ehegattennachzug
Gül kontra Unionspolitiker – wer recht hat, entscheidet der EuGH
Der türkische Staatspräsident Abdullah Gül hält die deutschen Sprachanforderungen für nachziehende Ehegatten für rechtswidrig. Unionspolitiker halten dagegen und verteidigen die Regelung. Wer recht hat, wird der EuGH entscheiden.
Dienstag, 20.09.2011, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 25.09.2011, 23:59 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Der türkische Staatspräsident Abdullah Gül hatte vor Antritt seiner Deutschlandreise an seine Landsleute appelliert, die deutsche Sprache nicht nur zu lernen, sondern akzentfrei zu sprechen. In einem Zeitungsinterview mit der Zeit und Zaman sprach er sich für mehr Integration aus. Integration bedeute, dem Land zu dienen, in der man lebe.
Der Sprachnachweis für nachziehende Ehegatten hält Gül dennoch für menschenrechtswidrig. „Ich empfinde diese Politik als ungerecht“, sagte er am Samstag in einem ZDF-Interview. Sie stehe nicht im Einklang mit dem Gedanken einer fortschrittlichen Demokratie. Seit 2007 dürfen Eheleute nur zu ihren in Deutschland lebenden Gatten nachziehen, wenn sie Deutschkenntnisse nachweisen.
Kritik an Gül
Die Reaktionen auf die Kritik Güls ließen nicht lange auf sich warten. Bundespräsident Christian Wulff verteidigte die deutsche Regelung genauso wie zahlreiche weitere Unionspolitiker. So auch die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer (CDU). Sie wies die Kritik des türkischen Staatspräsidenten „mit Nachdruck“ zurück. Dieser Vorwurf „entbehrt jeder Grundlage“, betonte Böhmer und warf Gül vor, ein „zwiespältiges Bild“ abzugeben.
Böhmer: „Einerseits fordert der Staatspräsident die türkischen Migranten in Deutschland auf, die deutsche Sprache zu lernen. Andererseits kritisiert er die Sprachkurse in der Türkei, die genau diesem Ziel dienen sollen.“ Auch der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann (CDU) wies die Kritik von Gül zurück und machte auf höchstrichterliche Entscheidungen deutscher Gerichte aufmerksam.
Halbe Wahrheit
Allerdings begnügt sich die Gegenkritik der Unionspolitiker nur mit der halben Wahrheit. Zum einen richtet sich der Vorwurf bei den Sprachanforderungen nicht gegen das Lernenmüssen der deutschen Sprache. Kritiker dieser Regelung bemängeln, dass die deutsche Sprache im Ausland unter oftmals rigiden und erschwerten Bedingungen erlernt werden muss. Sie befürworten verpflichtende Sprachkurse in Deutschland und sprechen sich für eine bessere Ausstattung der Integrationskurse aus. Sie verweisen auf Informationen der Bundesregierung, wonach insbesondere bei türkischen Staatsbürgern eine hohe Bereitschaft besteht, Integrationskurse in Deutschland zu besuchen.
Zum anderen sind sich Experten darin einig, dass die Sprachanforderung gegen Europarecht verstößt – in Bezug auf türkische Staatsbürger gleich mehrfach. Darauf macht auch die migrationspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Sevim Dağdelen, aufmerksam. Sie verweist auf eine Stellungnahme der EU-Kommission an den Europäischen Gerichtshof (EuGH), aus der eindeutig hervorgeht, dass Regelungen dieser Art gegen die EU-Familienzusammenführungsrichtlinie verstoßen.
Deutsche Regelung europarechtswidrig
Bei türkischen Staatsbürgern kommt das EU-Türkei-Assoziationsrecht hinzu. Danach darf türkischen Staatsbürgern die visumfreie Einreise zur Inanspruchnahme von Dienstleistungen nicht versagt werden. Und genau das tut die deutsche Regelung, wenn sie die die Visumerteilung bei türkischen Staatsbürgern von Bedingungen wie dem Sprachtest abhängig macht.
MiG-Dossier: Rechtsprechung, Einzelheiten, Hintergründe und die Politik der Bundesregierung zur Thematik im MiG-Dossier „Visumsfreiheit für Türken„.
Diesen Rechtsmangel haben bereits zahlreiche nationale Gerichte genauso wie der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages erkannt und entsprechend geurteilt bzw. begutachtet. Die Bundesregierung sieht sich bisher allerdings nicht veranlasst, darauf zu reagieren. Nur wenn der EuGH einen Urteilsspruch verkündet, dürfte Deutschland gezwungen sein, zu handeln. Entsprechende Verfahren sind beim EuGH bereits anhängig.
Heuchlerisch
„Offensichtlich hat sie [die Bundesregierung] selbst erkannt, dass sie vor dem EuGH früher oder später scheitern wird“ erklärt Dağdelen und ergänzt: „Der EuGH wird bald darüber entscheiden, ob türkischen Staatsangehörigen eine visumfreie Einreise zur Inanspruchnahme von Dienstleistungen infolge des EU-Türkei-Assoziationsrechts erlaubt werden muss. Angesichts der bisherigen Rechtsprechung des EuGH gehen praktisch alle Fachkundigen davon aus, dass dies so ist. Ehegatten aus der Türkei muss dann die Einreise zum Sprachkursbesuch nach Deutschland visumfrei gestattet werden.“
Im Lichte dieser Hintergründe seien die „politischen Reaktionen auf die Kritik des türkischen Präsidenten Abdullah Gül an den Sprachanforderungen beim Ehegattennachzug … heuchlerisch“, so die Linkspolitikerin. (bk)
Leitartikel Politik
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