Wie eine Revolution

Türkei erstattet christlichen und jüdischen Minderheiten Besitz zurück

Christliche und jüdische Minderheiten in der Türkei bekommen enteignete Immobilien zurück. Das verkündete Erdoğan bei einem Essen mit Vertretern von Nicht-Muslimischen Minderheiten. Ishak Alaton: „Das ist so etwas wie eine Revolution“.

Montag, 29.08.2011, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Freitag, 02.09.2011, 3:55 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Die christlichen und jüdischen Minderheiten in der Türkei erhalten beschlagnahmte Immobilien zurück. Ermöglicht wird das durch eine Verordnung, die am Samstag in Kraft getreten ist und vom türkischen Premierminister Recep Tayyip Erdoğan am Sonntagabend verkündet wurde. Er hatte sich mit Vertretern von 161 nicht-muslimischen Stiftungen der Türkei – ein Novum in der türkischen Geschichte – zu einem Essen zum Fastenbrechen (Iftar) im Archäologischen Museum in Istanbul getroffen.

Das Unrecht gehört der Vergangenheit an
Erdoğan sagte: „Hier, das ist Istanbul. Hier ertönen muslimische, jüdische und christliche Gebetsrufe seit Jahrhunderten nebeneinander. Hier stehen in einer Straße Moscheen, Kirchen und Synagogen seit Jahrhunderten nebeneinander. Was das angeht, schöpfen wir als Volk und Land aus einem einzigartigen Erfahrungsschatz. Diese Geschichte hat uns heute zusammengeführt. Hoffentlich werden wir immer in Frieden und behaglich zusammenleben, zusammen sein. Der Iftar-Tisch ist nicht nur ein gemeinsames Essen, es ist auch ein Teilen von Erinnerungen, von moralischer Geschichte. Seit je her, hat jeder einen Platz an diesem Tisch.“

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Unter der AKP-Regierungsführung habe man in den vergangenen neun Jahren entschieden für die Demokratisierung und gegen Unrecht gekämpft. Der türkische Premier verurteilte Bestrebungen, die das friedliche Zusammenleben torpedieren und sprach die Hoffnung aus, dass das der Vergangenheit angehört. „Gott ist Zeuge, zu keinem Zeitpunkt haben unser Herz und unser Gewissen uns in Ruhe gelassen, wenn unsere Bürger beunruhigt waren“ erklärte Erdoğan weiter und räumte ein, dass viele Glaubensgemeinschaften unrecht erfahren haben. Das gehöre aber nun der Vergangenheit an. „Wir sind heute nicht mit leeren Händen gekommen“, sagte der türkische Premiere weiter und unterstrich im Hinblick auf die Verordnung, dass Recht und Freiheit kein Gegenstand von Gnade oder Güte sein könne und das auch nicht so verstanden werden dürfe.

Alle sind gleich
„In unserem Land gehören die Zeiten, in denen unsere Bürger wegen ihrem Glauben, ihrer Ethnie, ihrer Kleidung oder Lebensweise unterdrückt wurden, der Vergangenheit an. 74 Millionen Menschen, die in diesem Land leben, sind Bürger erster Klasse und sind in unseren Augen – mit all ihren Unterschieden – gleich. Für Ausgrenzung gibt es und kann es keine Rechtfertigung geben. Daher werden wir es auch nicht zulassen, dass das Wohlbefinden auch nur eines einzelnen Bürgers getrübt wird.“

Mit der vom türkischen Premierminister verkündeten Verordnung werden alle im Jahr 1936 als Stiftungsbesitz angemeldeten Gebäude zurückgegeben. Für Immobilien, die inzwischen an Dritte veräußert worden sind, werden Nicht-Muslime aus der Staatskasse zum Marktpreis entschädigt. Das betrifft auch zahlreiche Immobilien in bester Marktlage in Istanbul und dürfte die Türkei mehrere Milliarden Euro kosten. Bereits in den Jahren 2003 und 2008 hatte die Erdoğan Regierung Gesetzesänderungen auf den Weg gebracht, um die Rechtsstellung der nichtmuslimischen Stiftungen zu verbessern. Mit dem jüngsten Vorstoß entfällt für die Stiftungen nun endgültig die Notwendigkeit, sich ihren Besitz vor Gericht zu erstreiten.

Große Runde
An dem Essen nahmen neben Erdoğan und der türkischen First Lady, Emine Erdoğan, zahlreiche weitere hochkarätige Regierungspolitiker mit ihren Frauen teil. Auch die Nicht-Muslimischen Minderheiten waren zahlreich vertreten. Laut türkischen Medienberichten begrüßten sie alle die Worte des türkischen Premiers.

Danach erklärte der jüdische Großrabbiner Ishak Haleva: „Das ist großartig. Heute ist ein historischer Tag. Das Licht des Osmanisches Reiches leuchtet weiter.“ Der griechisch-orthodoxe Patriarch Bartholomäus bedankte sich bei Erdoğan und sagte, dass das die „Korrektur eines Unrechts“ ist. „In der Vergangenheit haben wir viel Schlimmes erlebt. Eins nach dem anderen wird alles wiedergutgemacht. Wir leben in einem Rechtsstaat. Und es wird noch besser werden.“

So etwas wie eine Revolution
Der syrisch-orthodoxe Erzbischof Yusuf Çetin äußerte die Hoffnung, nun auch mit dem Bau neuer Kirchen beginnen zu können. Und der armenische Erzbischof Aram Ateşyan freute sich gleich doppelt: „Dass unser Premierminister heute bei uns ist, ist schon ein Fest. Die Verordnung ist ein weiterer Grund zu feiern.“

Für Ishak Alaton, einer der bekanntesten Unternehmer in der Türkei und prominenter Vertreter der türkischen Juden, zeigte sich ebenfalls in Feierlaune: „Das ist so etwas wie eine Revolution. Der Weg für den gesellschaftlichen Frieden ist damit geebnet. Bis heute haben wir immer von Bürgern erster und zweiter Klasse gesprochen. Diese Diskriminierung haben wir heute hinter uns gelassen. Jetzt ist jeder gleich.“ (yb)
Ausland Leitartikel

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  2. Nihat sagt:

    Schon sehr erstaunlich das diese News nicht beachtet wird. Nur 2 Treffer bei googlenews. Sollte es so sein das nur negative schlagzeilen was wert sind?

  3. delice sagt:

    Da habe ich aber meine verdammt großen Zweifel! Ein überaus großes mulmiges Gefühl habe dabei auch noch!

    Die sog. Minderheiten in unserem Land haben in der Vergangenheit gegenüber dem Osmanischen Reich und der späteren Republik Türkei ein eher besonders unrühmliches Spiel hinterlassen. Noch heute spüren wir diese Auswirkungen!

    Wer die Geschichte kennt, kann an diesem Wohlwollen nur anzweifeln.

    Noch heute brüskieren sie uns in schöner Regelmäßigkeit – mit Unwahrheiten in der Welt. Sie nehmen heute noch jede nur erdenkliche Möglichkeit wahr, um alles was mit der Türkei und dem Türkischem in Zusammenhang steht zu erniedrigen.

    Wie kann man diesen Menschen überhaupt noch trauen, die sich in seiner Mehrheit in der Minderheit in ihrem Selbstverständnis als 5. Kolonie und Vertretung des christlichen Auslands willfährig und in voreiligem Gehorsam definiert? 

    Eine große Ausnahme sind hier eigentlich nur unsere türkischen jüdischen Mitbürger gewesen!

    Diesen Schritt  werden wir sicherlich noch in verschiedenartiger Weise sehr sehr bitter bereuen!!!!

    Keiner will doch mehr in die lebendige Leiche von EU!

    Was also soll das denn werden?

    Gott möge uns da allen nur beistehen. 

  4. Kritiker sagt:

    Es geschehen noch Zeichen und Wunder? Wenn er dies aber nur nutzt um vom Konflikt mit den Kurden ab zu lenken ist diese Sache ein Eigentor. Zumal Erdogan bezüglich des Umgangs mit den Kurden AUCH schon mal so weit war und dann hatte sich doch alles wieder zerschlagen. Also abwarten und Tee trinken.

  5. egal sagt:

    @delice, du pochst auf geschichtskenntnisse und besitzt nicht mal ansatzweise selbige

    Die Türkei war dereinst ein christliches Land. Bereits im Jahre 650 n.Chr. eroberten muslimische Truppen Armenien. Zwei großangelegte arabische Angriffe auf Konstantinopel (heute Istanbul) konnten 655 aber von den christlich-römischen Truppen abgewehrt werden. 674-678 und 717/18, belagerten die Muslime erneut Konstantinopel, ohne dass ihnen freilich die Einnahme gelang. Die endgültige Eroberung Konstantinopels durch die Muslime geschah 1453 durch die Osmanen (Türken). Damit endete das christlich-byzantinische Reich. Gleichzeitig begann die systematische Ausrottung und Versklavung der Christen durch die Muslime.

    1914 gab es nur noch 25 Prozent Christen in der Türkei, heute sind es gerade noch 0,2 Prozent. Die türkischen Muslime haben also in den 461 Jahren zwischen 1453 und 1925 – 75 Prozent aller türkischen Christen vertrieben, ermordet oder zwangsislamisiert. Es gab eine fast vollendete Christenausrottung und –vertreibung auf dem heutigen Gebiet der Türkei. Die Türkei ist eigentlich ein riesiger christlicher Friedhof, wahrscheinlich der bekannteste weltweit. Dort wird das Christentum seit 1000 Jahren und bis zum heutigen Tage verfolgt. Fast 100% der einheimischen Bevölkerung auf heutigem türkischen Gebiet waren Christen, bevor sie vom Dschihad (Heiligen Krieg) durch Eroberung, Verfolgung, Massenmord, Vertreibung, Kirchenzerstörung oder Zwangskonversion (Zwangsislamisierung) fast ganz ausgerottet wurden. Heute sind es nur noch 0,2%, und auch diese werden in der Türkei nicht ertragen.“

    zum bilden
    Robert C. Davis „Christian Slaves, Muslim Mastery“

    Murray Gordon „Slavery in the Arab World“

    Prof. K.S. Lal „Growth of Muslim population in India“

  6. Avicenna sagt:

    @Delice und @Egal:

    Ich denke, die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen. Die genetische Zusammensetzung der heutigen, türkischen Bevölkerung weist nur zu ca. 15% einen Ursprung in Mittelasien aus. Der Rest besteht aus Kurden, Arabern, Armeniern, Griechen, usw. Von einer Ausrottung kann also keine Rede sein.

    Es gab in der Geschichte zweifellos Unruhen – sowohl von Seiten der nicht-muslimischen aber auch innerhalb der muslimischen Bevölkerung. Wenn man diese Unruhen als Verrat bezeichnen möchte, bitte dann auch für beide Seiten.

    Es ist aber in jedem Fall nicht Rechtens, das Vermögen seiner Bürger einfach einzuziehen, wie es nach Gründung der Republik geschehen ist. Das darf ein Staat einfach nicht. Das war Unrecht und es wurde nun korrigiert.

  7. Relbrandt sagt:

    User Delice scheint mir ein den grauen Wölfen nahestehender und damit dem rechtsradikalen Spektrum zuzuordnender türkischer Nationalist zu sein. Warum werden solche HETZ-Beiträge hier veröffentlicht?

  8. Norbert sagt:

    Irgendwie Besorgnis erregend finde ich die Heftigkeit, mit der sowohl @delice als auch @egal hier ihre Ängste zum Ausdruck bringen – und das anlässlich einer doch prinzipiell guten Nachricht.
    Wird es denn nie aufhören, dass sich die Anbeter ein und desselben Gottes derart anfeinden?

  9. Couperinist sagt:

    Wenn es wirklich gerecht zuginge auf der Welt, würde der Kollege delice jetzt eine sofortige Ausweisung aus der Bundesrepublik ins Haus geflattert bekommen. Bürokratie hin oder her, wieso eigentlich muss man so jemanden als „Minderheit“ hier dulden, der auf Minderheiten in der Türkei scheißt ? Weg mit ihm.

  10. Pingback: Türkei: Freude über Rückgabe konfiszierten Eigentums – tagesschau.de | Immobilien Direkt 24