MiG.Oranje

Karnevalspartei PVV

Ein historischer Moment in den Niederlanden: Zum ersten Mal dürfen Geert Wilders' Vasallen in einem Provinzparlament mitregieren. Damit es klappt, haben sie ihre Anti-Islam-Standpunkte kurzerhand geschreddert. Über halal, Glaubwürdigkeit und animal cops.

Von Donnerstag, 19.05.2011, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 24.05.2011, 9:35 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Es ist ja nicht so, dass man mit der Partij voor de Vrijheid keinen Spaß haben kann. Im Gegenteil: Geert Wilders gönnt „Henk und Ingrid“ (Synonym für die „hart arbeitenden Niederländer, die nichts geschenkt bekommen“) inmitten des fürchterlichen „Tsunamis der Islamisierung“ Brot und Spiele. Populisten sind schließlich keine sauertöpfischen Gutmenschen, die einem immer alles mies machen.

Kostprobe gefällig? Bei der Präsentation der Limburger Kandidatenliste für die Wahlen zu den Provinzstaaten 2011 (Provinciale Staten, vergleichbar mit den Landtagswahlen in der BRD) haut Wilders vor der versammelten Presseschar tüchtig auf die Pauke:

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„Mit der Partij voor de Vrijheid kein halal, sondern Sauerfleisch! Keine Moschee, sondern Karneval! Keine Predigten von Hassimamen, sondern Büttenredner!“

(tärä-tärä-tärä).

So schafft man es ins NOS-Journaal. Zudem muss man wissen: Das katholisch geprägte Limburg zählt mit Brabant zu den Karnevalshochburgen in den Niederlanden. Die nüchternen Holländer wohnen woanders, irgendwo hinter dem IJsselmeer. Der gebürtige Limburger Wilders kann die Narrenkappe also mit einer gewissen Glaubwürdigkeit aufsetzen. Aber mit der Glaubwürdigkeit ist es mittlerweile, einige Monate nach dem spektakulären Wahlsieg der PVV Limburg, so ziemlich dahin. Doch der Reihe nach …

Im Wahlprogramm verspricht die Spitzenkandidatin Laurence Stassen (39, Europaparlamentarierin, ehemalige TV-Moderatorin und frisurentechnisch auf Augenhöhe mit ihrem Parteivorsitzenden), Limburg „nicht links liegen“ zu lassen.

Das ist ein Wort, bei Wilders ist alles, wo nicht PVV draufsteht, „links“. Aber was heißt das konkret? Das heißt, dass die PVV wie gewohnt den Islam ins Visier nimmt:

„Kein Bau von neuen Moscheen und Schließung von islamischen Schulen“, „Keine Burkas und Kopftücher für Provinzbeamte, Mitglieder des Provinzparlaments und der Provinzregierung“ sowie (jetzt kommen die wirklichen Probleme) „Keine Halalnahrung im Provinzhaus (lieber Limburger Sauerfleisch und Rommedou-Käse).“

(tärä-tärä-tärä)

Wer’s nicht weiß: Halal bedeutet „erlaubt“ oder „zulässig“ (das Gegenteil ist haram). Eine Definition lautet: Als Fachbegriff der Islamologie umfasst halal alle Dinge und Handlungen, die aus islamischer Sicht Islam-konform sind.

Auf das Wahlprogramm der PVV bezogen bedeutet dies: Im Provinzhaus sollen keine „Islam-konformen“ Gerichte mehr serviert werden – also: Schweinebauern Limburgs, frohlocket! Kotelette und Schweinelendchen das ganze Jahr.

Auch zu den anderen Forderungen der Karnevalspartei PVV ist einiges anzumerken. Zwei Beispiele: 1. Die Provinzen können im Prinzip nicht über den Bau von Moscheen entscheiden. Kurzum: Heiße Luft. 2. In Limburg gibt es anno 2011 n. Chr. – sofern ich Geisteswissenschaftler korrekt zählen kann – zwei islamische Grundschulen (El Wahda in Heerlen und El Habib in Maastricht). Das „Problem“ ist demnach überschaubar – es ist davon auszugehen, dass 99 % der Limburger noch nie in ihrem Leben eine islamische Schule gesehen haben (dafür aber zu 100 % eine der zahllosen römisch-katholischen Schulen, was ich als aufrechter Protestant auch schon wieder kritisch sehen sollte …).

Dennoch schafft es die PVV im März 2011, mit dem oben genannten Programm die christdemokratische Bastion Limburg nach einer gefühlten Ewigkeit zu schleifen (hauptverantwortlich dafür ist jedoch die eklatante Schwäche des CDA, der nur durch eine ordentliche Kampagne eines jugendlich-frischen Spitzenkandidaten ein totales Waterloo verhindern kann).

Als stärkste Partei (10 Sitze im Parlament) ist die Anti-Islam-Partei nach dem denkwürdigen Wahlabend am Zug, mit den anderen Parteien über die Bildung einer PVV-geführten Provinzregierung zu verhandeln. In Frage kommen bloß: CDA (10 Sitze) und VVD (8 Sitze).

Am 4. Mai können Stassen und Co. letztendlich jubeln: PVV, CDA und VVD präsentieren der Öffentlichkeit ihren Koalitionsvertrag. Der sanfte Druck aus Den Haag (Kabinett: VVD, CDA, toleriert von der PVV) zeigt Wirkung. Aber Maastricht geht sogar einen Schritt weiter: In der Provinz gibt es kein Minderheitskabinett, toleriert von Wilders‘ farblosen Vasallen, sondern eine richtige Regierung. Keine Hintertür für die Populisten. Ein historischer Moment für die PVV, Limburg und die Niederlande.

Aber was steht denn überhaupt im Koalitionsvertrag? Sollen die Moslems in Roermond, Venlo oder Maastricht lieber ihre Koffer packen und ins „linke“ Multi-Kulti-Amsterdam fliehen? Oder in die letzten PvdA-Inseln im Norden? Vielleicht sogar in den protestantisch-orthodoxen „Bibelgürtel“, etwa Urk?

Nicht nötig, Fehlalarm! Der stolze PVV-Adler wurde in den Koalitionsverhandlungen von den etablierten Parteivertretern ziemlich gerupft (meines Erachtens ein Fall für die auf Betreiben der PVV landesweit neu eingeführten 500 animal cops).

Was ist passiert? Die Anti-Islam-Standpunkte sind alle im Schredder gelandet. Warum? Auch Populisten möchten mal mit den großen Jungs und Mädels spielen – da können „Henk und Ingrid“ sich ruhig verdattert die Augen reiben: Im Koalitionsvertrag kommt das Wort „Islam“ gar nicht vor. Noch nicht einmal, um irgendwie das Gesicht zu wahren. Plötzlich gleicht der „Tsunami der Islamisierung“ offenbar einem Sturm im Wasserglas.

CDA und VVD haben tatsächlich sämtliche PVV-Forderungen blockiert. Also: Kein Moscheeverbot, kein Kopftuchverbot und weiterhin lecker halal in der Provinzhauskantine! (Darüber hinaus konnte sich die PVV auch nicht mit ihrer Forderung durchsetzen, die EU-Fahne vom Provinzhaus zu entfernen oder – PVV-Sprech, 1. Runde: EUdSSR-Fahne).

Ist das ein Fiasko für die Glaubwürdigkeit der Wilders-Partei? Goutieren „Henk und Ingrid“ den Etappensieg „Alis und Fatimas“ (im PVV-Sprech, 2. Runde: die bösen Gegenspieler der beiden erstgenannten Tugendhaften, anders ausgedrückt im PVV-Sprech, 3. Runde: Moslemkolonialisten)? Reine Spekulation.

Aber mal im Ernst: Warum soll sich eine selbst ernannte Karnevalspartei eigentlich um so etwas politisch-korrektes wie „Glaubwürdigkeit“ kümmern? Das ist etwas für die verruchte, abgehobene Elite! Und wer hat jemals behauptet, dass es Populisten um Inhalte oder um die Umsetzung von politischen Forderungen geht? Wer wie Wilders mit tärä-tärä in den Wahlkampf startet, zeigt doch gleich, wo’s langgeht. Insofern war die PVV sogar konsequent, auf ihre Art.

Der Spaß kann in die nächste Runde gehen … Aktuell Meinung

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  1. Guido Schiffers sagt:

    Die Liste der Ordensträger „Wider den tierischen Ernst“ im Aachener Karneval aus den Karnevalsparteien in D liest sich auch nicht schlecht:
    Konrad Adenauer, Heiner Geißler, Friedrich Merz, Jürgen Rüttgers von der (C)DU, Helmut Schmidt, Renate Schmidt, Heide Simonis, Henning Scherf von der SPD, Walter Scheel, Hans Dietrich Genscher und Guido Westerwelle von der FDP, um nur eine Auswahl zu nennen. Allesamt sind in Aachen in die Bütt gestiegen.

    Tärääääh

  2. Guido Schiffers sagt:

    Lediglich von der Dagegen-Partei und von der SED/PDS – ach nein, die nennen sich ja jetzt anders – hat es noch niemand so weit geschafft. Aber das dauert gewiss nicht mehr lange!

    Tärääääh

  3. Guido Schiffers sagt:

    Wie glaubwürdig ist eine Partei eigentlich? Kommt es darauf an, was sie imstande ist umzusetzen, oder kommt es darauf an, was sie gewillt ist umzusetzen?
    Wenn es – und so deute ich die Aussage des Autors – auf ersteres ankommt, dann gibt es weder in NL noch in D irgendeine Form von Glaubwürdigkeit.
    Versprochen wird immer viel. Was nach den Wahlen letztendlich umsetzbar ist entscheidet doch die Mehrheit. Das weiß natürlich auch der Autor und jeder politisch interessierte Wähler.
    Die linke Presse und ihre Vasallen können das natürlich nicht so stehen lassen und sind stets bemüht ihr Weltbild den ach so mündigen Bürgen zu diktieren.
    Alaaf und Helau

  4. Joseph sagt:

    Ich habe 18 Jahre in den Niederlanden gewohnt, ich ich fühle mich jetzt doch genötigt doch schnell etwas nettes über die Limburger zu schreiben ;-) Ich bin mit den Limburgern immer besser zurecht gekommen als mit den Holländern, obwohl ich natürlich auch viele sympatischen Holländer kennengelernt habe. Aber mir war damals in den 80ern sofort umgefallen, dass die Limburger zum Beispiel überhaupt keine Komplexe gegenüber ihrem großen Nachbar im Osten haben. Die Limburger haben kein Problem Besucher in Deutscher Sprache auszuhelfen, oder zum Beispiel Lütticher auf Französisch den Weg zum Zentrum von Maastricht zu zeigen. Die Höllander konnten oft nur ein deformiertes, Amerikanisches Film-Englisch mit „hartem G“ ausstoßen. Während die Holländer perfekt Niederländisch sprechenden Flamen im Fernsehen mit Untertiteln ausstatten nur weil sie, wie die Limburger, das G weich aussprechen und u.a. dadurch nicht die geringste Sensibilität bezüglich Belgier zeigen, bewegen die Limburger sich problemlos zwischen Löwen, Tongern, Hasselt, Aachen, oder Köln. Sie vestehen die Flamen, sie verstehen die Rheinländer und sie können sogar geschickt mit den stolzen Lüttichern umgehen.
    Ich denke, dass der Grund des Erfolgs der PVV in Limburg einen ganz anderen Grund hat, als in anderen PVV-Hochburgen wie Den Haag, Rotterdam oder Almere. Wilders ist, obwohl er „Ost-Indische“ Wurzeln hat, in Venlo aufgewachsen und spricht immer noch mit den gleichen, angenehm weichen G, obwohl er der größte Teil seines Lebens außer Limburg verbracht hat. Er hat in Limburg geschickt den richtigen Trommel geschlagen: Die Rolle von Limburg innerhalb der Niederlanden. Eigentlich ungewöhnlich für eine nationalistische Partei auf regionale Identitäten zu pauken, aber Populismus macht es möglich. Und gegen das Königshaus: Die meisten Limburger, progressiv oder konservativ, können mit den „Oranjes“ nicht viel anfangen. Wilder weiß, dass die etablierten, landesweit agierenden Parteien sich nie trauen würden gegen das Königshaus zu wettern, er macht es, in Limburg. Des weiteren hat er geschickt das Problem der „Drugsrunners“ nach vorne gebracht. „Drugsrunners“ sind horden kleine Drogendealer, tatsächlich hauptsächlich Marrokaner aus Rotterdam, die das Limburgische Grenzgebiet unsicher machen. In Maastricht, wo es eine recht große Schwule- und Lesbenzene gibt, erzählt die PVV von den vielen Übergriffen auf Schwule in Amsterdam… und so weiter. Ich denke aber, das er weder in Limburg noch in Holland auf Dauer Erfolg haben wird, weil er Probleme zwar benennen kann, aber keine reale Lösungen nach vorne bringt. Wilders interessiert sich (nach meiner Meinung) weder für Limburg noch für Schwulen oder Lesben, nicht für „Henk und Ingrid“, sondern nur für seine Eitelkeit und Macht, wenn auch temporär.

  5. Boli sagt:

    @Joseph

    Sie mögen zwar recht haben was Wilders Eitelkeit angeht. Nur dürfen Sie nicht vergessen. Der Stuhl der Macht würde schon bei der nächsten Wahl brechen würde ich alles so belassen wie es jetzt ist. Die Leute die PVV wählen wollen Tatsachen sehen, also z.B. das kriminelle Marokkaner des Landes verwiesen werden etc. .
    Es ist also ziemlich unlogisch wenn Sie sagen er interessiert sich nicht für Henk und Ingrid.
    Richtig ist aber eines. So lange die PVV immer auf Koalitionspartner angewiesen ist kann sie nicht so wie sie will.