Wochenrückblick

KW 12/11 – Islamkonferenz, ausländische Abschlüsse, Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, Wandel der Muslime

Islamkonferenz (DIK): Ist der Innenminister dafür noch die richtige Person? - Anerkennung ausländischer Abschlüsse - Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in Deutschland und Europa - Mit den Muslimen ändert sich auch der Islam

Von Leo Brux Montag, 28.03.2011, 8:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 28.03.2011, 0:14 Uhr Lesedauer: 6 Minuten  |  

Islamkonferenz (DIK): Ist der Innenminister dafür noch die richtige Person?
Bundesinnenminister Friedrich leitet am Dienstag die nächste Runde der Islamkonferenz. Seiner ersten Verlautbarung nach ist der Islam kein Teil von Deutschland.

Die auf der Website der DIK zu lesende Presse-Erklärung spricht eine andere Sprache:

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Im Rahmen der Integrationspolitik verfolgt die DIK das Ziel, den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland und die gelebte Akzeptanz unserer Rechts- und Werteordnung zu fördern, die Zugehörigkeit und Teilhabe zu stärken sowie Extremismus, gesellschaftlicher Polarisierung und Abschottungsphänomenen entgegenzuwirken. Es geht darum, zusammenzuführen und nicht auseinanderzutreiben. Bundesinnenminister Friedrich wird den erfolgreichen Dialog mit den Muslimen in Deutschland im Rahmen der DIK fortsetzen.

In der Tat, die Aufgabe des Innenministers als Leiter dieser Runde ist nicht die eines Scharfmachers und Ausgrenzers.

Wie man vorwärts kommen kann, das hat Nordrhein-Westfalen gezeigt. Dort ist es innerhalb von kurzer Zeit gelungen, einen ersten praktischen Erfolg zu erzielen: Vereinbarungen über einen islamischen Religionsunterricht an staatlichen Schulen. Man kommt voran, wenn sich beide Seiten bewegen.

Guntram Schneider, Integrationsminister in Nordrhein-Westfalen, hält Friedrich für den falschen Mann, um die Konferenz zu einem Erfolg zu führen. (Interview: Der Westen)

Bundesinnenminister Friedrich (CSU) hat im Vorfeld der Islamkonferenz erklärt, dass der Islam nicht zu Deutschland gehört. Belastet das den Dialog?

Guntram Schneider: Friedrich hat Öl ins Feuer gegossen. Ich fordere, dass der Minister die Äußerung bis zur Islamkonferenz am Dienstag zurücknimmt und klar macht, dass die vier Millionen Muslime in Deutschland selbstverständlich zu Deutschland gehören

Ist der Minister als Chef der Islamkonferenz überhaupt tragbar?

Schneider: Ich könnte mir vorstellen, dass die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung Böhmer besser geeignet wäre. Dass Friedrich der richtige Mann ist, wage ich zu bezweifeln.

Roland Preuß rechnet nicht mit einem Eklat. In der Süddeutsche (26./27.03.2011; nicht online) teilt er dem Innenminister mit, was er tun sollte:

Friedrich hat betont, er wolle den Dialog fortsetzen. Sein Hauptanliegen muss deshalb sein, die Muslim-Funktionäre zu beruhigen, jegliche Krawallstimmung durch Charme oder Angebote aufzulösen.

Zugleich wäre ein plötzlicher Muslimversteher Friedrich den Unionsanhängern jedoch nicht zu vermitteln. Der Minister wird also wie seine Vorgänger auch versuchen, den Muslim-Verbänden möglichst viele Zugeständnisse abzuringen, also etwa sich auf Integrationskurse für alle Imame aus dem Ausland einzulassen oder am besten gleich den theologischen Nachwuchs von deutschen Universitäten zu nehmen.

Da hätte der Minister auch meine Unterstützung.

Anerkennung ausländischer Abschlüsse
Das herausragende migrationspolitische Ereignis der Woche war der Gesetzentwurf zur „Verbesserung der Feststellung und Anerkennung im Ausland erworbener Berufsqualifikationen“.

Die beste Information darüber findet sich ohnehin im MiGAZIN – ein  Interview mit Swen Schmidt und ein Artikel in dem auch Annette Schavan, die zuständige Ministerin, und Maria Böhmer zu Wort kommen.

Der Entwurf wird allseits als ein Schritt vorwärts und in die richtige Richtung gesehen – der Hauptkritikpunkt ist: Es wird keine hinreichend kompetente zentrale Anlaufstelle geben, nur eine „Hotline“. Dazu Schulz im MiGAZIN:

Nichts gegen eine Hotline, wenn sie funktioniert. Das ist wunderbar. Aber sie ersetzt nicht diese eine zentrale Anlaufstelle. Nur eine Hotline zu haben, wo sich irgendwo in Deutschland die Leute in einem Callcenter abrackern, genügt nicht. Eigentlich weiß das Frau Schavan auch. Schließlich hat die Koalition selbst einmal so eine Zentralstelle als Ziel formuliert.

Die Länder werden je nach Landesrecht ihr eigenes Süppchen kochen können – eine länderübergreifende Koordination fehlt. Die Folge: Unterschiedliche Standards und Kriterien in den einzelnen Ländern. Die Anerkennung der Abschlüsse kann zum Glücksspiel, abhängig vom Wohnort, werden.

Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in Deutschland und Europa
untersucht vergleichend eine neue, von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Auftrag gegebene Studie (PDF).

In Deutschland werden folgende Aussagen für richtig gehalten:

Es gibt zu viele Zuwanderer in Deutschland: zu 50,0 Prozent

Durch die vielen Zuwanderer hier fühle ich mich manchmal wie ein Fremder im eigenen Land: zu 37,6 Prozent

Zuwanderer bereichern unsere Kultur: zu 75 Prozent

Zuwanderer sind eine Belastung für unser Sozialsystem: zu 40,8 Prozent

Wir brauchen Zuwanderer, um die Wirtschaft am Laufen zu halten: zu 60,7 Prozent

Es gibt zu viele Muslime in Deutschland: zu 45,1 Prozent

Muslime in Deutschland stellen zu viele Forderungen: zu 54,1 Prozent

Der Islam ist eine Religion der Intoleranz: zu 52,5 Prozent

Die muslimischen Ansichten über Frauen widersprechen unseren Werten: zu 76,1 Prozent

Die Mehrheit der Muslime findet islamistischen Terrorismus gerechtfertigt: zu 17,1 Prozent

(Diese Zusammenstellung stammt von mir selbst.) Wenn Sie der Vergleich mit anderen Ländern interessiert, gehen Sie auf das PDF oder zu meinem Blog – dort gibt es eine übersichtliche Zusammenfassung in zwei Artikeln: (1) und (2).

Einige der Prozentzahlen beruhigen, andere erschrecken. Einige beides zugleich? Wie soll man etwa die 45,1 Prozent bewerten, die sagen, es gebe zu viele Muslime in Deutschland? Erfreulich, dass es nur eine Minderheit ist; erschreckend, dass es fast eine Mehrheit ist?

Mit den Muslimen ändert sich auch der Islam
Religionen entwickeln sich gemäß der Bedürfnisse der Gläubigen – oder sie schrumpfen allmählich zu Sekten. Dass der Islam in der Diaspora – Deutschland, in Europa – ein eigenes Gesicht bekommt, zeichnet sich bereits ab. Die alte Generation tritt ab, junge Leute übernehmen die Führung und probieren dabei ihren eigenen Stil. Im letzten Wochenbericht habe ich dafür einen Hinweis von Hakan Turan zitiert.

Aber auch in den arabischen Ländern verändern sich die Menschen. Einen Überblick darüber geben ein Beitrag des Deutschlandfunks und vor allem ein Interview mit Olivier Roy.

Kersten Knipp im Deutschlandfunk:

Auf der einen Seite gibt es eine wachsende Säkularisierung. Zwar kommt es immer wieder auch zu religiös inspirierten Protesten, die manchmal zu extremer Gewalt führen. Aber trotz dieser Bewegungen glaube ich, dass das tägliche Leben der Muslime in eine andere Richtung läuft, nämlich in die der Säkularisierung. Dies umso mehr, als sich die meisten Muslime dieser Verwandlung gar nicht bewusst sind.

Olivier Roy im Interview mit Der Presse:

Eine wichtige Rolle, auch für die Identitätsfindung dieser jungen Menschen. Sie sind sehr religiös. Der große Unterschied zu ihren Eltern ist aber: Religion wird als etwas Individuelles empfunden. Der politische Islam und die Revolutionen der 1970er- und 1980er-Jahre sind für sie Geschichte – und gescheitert, wie auch die Proteste im Iran zeigen. Iran und Saudiarabien sind abschreckende Beispiele. Hinzu kommt: In den letzten Jahren hat zwar eine verstärkte Islamisierung der nordafrikanischen Gesellschaften stattgefunden. Das hat sich aber nicht bewährt. Die Jungen fordern Veränderungen.

Ich wage die Prognose: Die Einschätzung des Islam und der Muslime in Deutschland wird sich mit diesen Entwicklungen ebenfalls allmählich entspannen. Wochenschau

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