Ausländische Abschlüsse

„Es geht hier auch um Integration“

Nun ist er doch noch gekommen, der Gesetzentwurf zur Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse. Swen Schulz (SPD) ist von der Vorlage aus dem Hause Schavan aber noch nicht ganz überzeugt. Ein Interview.

Von Dominik Baur Mittwoch, 23.03.2011, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 28.03.2011, 2:59 Uhr Lesedauer: 7 Minuten  |  

Fachkräftemangel in Deutschland? Oft mangelt es nicht an den Fachkräften, sondern an einer zügigen Anerkennung ihrer im Ausland erworbenen Abschlüsse. Bildungsministerin Annette Schavan will das jetzt beschleunigen. Am Mittwoch soll ihr Gesetzentwurf das Kabinett passieren. „Ein überfälliges Zeichen, Qualifikationen anderer zu respektieren“, nannte die CDU-Politikerin das Gesetz, das insbesondere einen Rechtsanspruch auf einen Bescheid innerhalb von drei Monaten vorsieht. „Überfällig“ – ein Adjektiv, dem der Berliner Bundestagsabgeordnete Swen Schulz voll und ganz zustimmen dürfte.

MiGAZIN: Herr Schulz, ist Deutschland ein Zuwanderungsland?

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Swen Schulz: Natürlich. Es gibt zwar immer noch – auch in der Politik – Leute, die das nicht akzeptieren wollen, aber faktisch ist Deutschland selbstverständlich ein Zuwanderungsland.

MiG: Inzwischen wandern aber schon mehr Leute aus Deutschland ab, als Einwanderer zu uns kommen.

Schulz: Das stimmt. Leider. Deshalb ist es wenig hilfreich, wenn es immer wieder politische Entscheidungen gibt, die auf Abschottung abzielen, und wenn so getan wird, als könnten wir uns vom Rest der Welt abkoppeln. Das schadet uns nur. Wir reden ja auch nicht von ungefähr über einen Fachkräftemangel, den wir jetzt schon spüren, der aber in den nächsten Jahren und Jahrzehnten noch stark zunehmen wird.

MiG: Stichwort Fachkräfte: Sie machen sich schon seit langem für eine vereinfachte Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse stark. Warum ist Ihnen das Thema so wichtig?

Schulz: Aus zwei Gründen. Zum einen ist es schlichtweg eine volkswirtschaftliche Überlegung: Wir können uns nicht auf der einen Seite über Fachkräftemangel beklagen und auf der anderen Seite seelenruhig hinnehmen, dass hier Menschen mit gesuchten Qualifikationen leben, die aber nicht anerkannt werden. Das schadet der Wirtschaft. Auf der anderen Seite geht es hier aber auch um eine Integrationsfrage. Wir müssen den Menschen doch die Chance geben, ihre Fähigkeiten zu entfalten und ihren Beitrag zu leisten. Sonst ist jede Integrationsdebatte absurd. Menschen, egal ob Zuwanderer oder ureingeborene Deutsche, sind nur dann integriert in die Gesellschaft, wenn sie ihr Leben in die eigene Hand nehmen, arbeiten und ihr eigenes Geld verdienen können.

MiG: Und warum dauert die Anerkennung ausländischer Abschlüsse so lang?

„Weil sich, salopp gesagt, bisher keine Sau drum gekümmert hat … letztendlich war das Thema auf der politischen Agenda nicht allzu weit oben.“

Schulz: Weil sich, salopp gesagt, bisher keine Sau drum gekümmert hat. Es gibt sicher in den Behörden sehr engagierte Leute, da will ich niemandem etwas unterstellen, aber letztendlich war das Thema auf der politischen Agenda nicht allzu weit oben. Dementsprechend ist auch die Ressourcenausstattung. Dazu kommt, dass es eine sehr komplizierte Rechtsmaterie ist, wo jeder einzelne Vorgang sehr lange dauert. Trotzdem – wenn man sich die Sache mit gesundem Menschenverstand anschaut, denkt man: Das kann einfach nicht wahr sein.

MiG: Bildungsministerin Annette Schavan will das Verfahren ja nun beschleunigen. Der Gesetzentwurf, den sie jetzt vorlegt hat, soll einen Rechtsanspruch auf die Bewertung des eigenen Abschlusses binnen drei Monaten vorsehen.

Schulz: Das ist ein später, aber immerhin erster Schritt. Die Sache mit dem Rechtsanspruch ist auf jeden Fall eine vernünftige Sache, und die Dauer von drei Monaten erscheint mir auch realistisch. Was wir aber vor allem brauchen, ist eine zentrale Anlaufstelle für hilfesuchende Fachkräfte. Ich will Ihnen das an einem Beispiel erläutern: Neulich kam ein türkischstämmiges Ehepaar zu mir. Die Frau war Krankenschwester, konnte aber hier nicht arbeiten, weil ihr Berufsabschluss nicht anerkannt wurde. Wir wollten ihr nun helfen und sie wenigstens an einen zuständigen Ansprechpartner weiterleiten. Aber glauben Sie, der hätte sich finden lassen? Meine wissenschaftliche Mitarbeiterin hat Stunden damit verbracht, eine vernünftige Anlaufstelle zu suchen. Sie ist gescheitert. Wie soll das denn dann funktionieren? Wenn man noch nicht einmal die richtigen Leute findet?

MiG: Im Gesetzentwurf heißt diese Anlaufstelle Hotline.

Schulz: Nichts gegen eine Hotline, wenn sie funktioniert. Das ist wunderbar. Aber sie ersetzt nicht diese eine zentrale Anlaufstelle. Nur eine Hotline zu haben, wo sich irgendwo in Deutschland die Leute in einem Callcenter abrackern, genügt nicht. Eigentlich weiß das Frau Schavan auch. Schließlich hat die Koalition selbst einmal so eine Zentralstelle als Ziel formuliert.

MiG: Ein Rechtsanspruch auf einen Bescheid bedeutet aber noch kein Recht auf Anerkennung der Berufsausbildung.

„Aber dann wissen die Leute wenigstens, woran sie sind. Ich habe mich mit Menschen unterhalten, die jahrelang auf irgendeinen Bescheid gewartet haben.“

Schulz: Natürlich nicht. Aber dann wissen die Leute wenigstens, woran sie sind. Ich habe mich mit Menschen unterhalten, die jahrelang auf irgendeinen Bescheid gewartet haben. Es ist wichtig, dass wir dann auch Angebote für gegebenenfalls notwendige Weiterqualifikation machen können. Und die müssen natürlich derart sein, dass sie für die Menschen auch finanziell zu stemmen sind. In der SPD-Fraktion beraten wir daher über die Idee eines Berufseinstiegs-Bafögs.

MiG: Geht es vor allem darum, die Zuwanderung qualifizierter Arbeitskräfte zu erleichtern, oder darum, hier lebende Migranten aus dem Taxi zu holen und in den Arztkittel zu stecken?

Schulz: Letzteres. Das ist das Hauptthema. Es gibt in der Diskussion natürlich auch die Forderung, zusätzlich qualifizierte Leute reinzuholen. Vor allem die Wirtschaft und auch die FDP machen sich dafür stark. Darüber kann und muss man in Anbetracht der demographischen Entwicklung und der Abwanderung von Fachkräften sicherlich diskutieren. An erster Stelle muss jedoch die Frage stehen: Wie können wir die Potentiale der Menschen, die bereits hier sind, nutzen?

MiG: Was sind das für Fachkräfte?

Schulz: Das geht querbeet. Das sind Ärzte, Ingenieure oder Lehrer, aber zum Beispiel auch Pflegepersonal. Man weiß auch gar nicht genau, um wie viele Menschen es sich handelt. Die Schätzungen gehen von 300.000 bis 500.000 Leute.

MiG: Ist es nicht für viele schon zu spät? Ein Informatiker, der seit fünf Jahren kellnert, wird es schwer haben, wieder in seinem eigentlichen Beruf Fuß zu fassen.

Schulz: Solche Probleme wird es in der Tat geben. Umso wichtiger ist es, dass wir diesen Menschen die Möglichkeit zu einer Auffrischungsqualifikation bieten.

MiG: Besteht nicht auch die Gefahr einer Einteilung der Migranten in zwei Klassen: die guten, die uns helfen, den Fachkräftemangel zu beheben, und die bösen, die allenfalls, wie es Ihr Parteifreund Thilo Sarrazin, sagen würde, den Obst- und Gemüsehandel vorantreiben?

„Teilweise gibt es auch den Fall, dass Leute, die zum Studieren hierher gekommen sind und eigentlich bleiben wollen, das Land verlassen müssen, weil sie nicht innerhalb eines Jahres einen Arbeitsplatz bekommen haben. Da müssen wir nachbessern.“

Schulz: Es mag sein, dass viele, die für ein Anerkennungsgesetz oder erleichterte Zuwanderung plädieren, das in erster Linie unter Nützlichkeitsaspekten sehen. Und ich selbst argumentiere ja auch zu einem Teil so. Deshalb muss man aufpassen, dass man nicht beginnt, latent zu diskriminieren. Denn es geht um mehr. Es geht um Chancen, Aufstiegschancen, Lebenschancen, Gestaltungsmöglichkeiten für alle.

MiG: Ließe sich der Fachkräftemangel durch eine bessere Anerkennungspraxis beheben?

Schulz: Nein. Sie ist nur ein wichtiger Baustein. Wir brauchen attraktive Arbeitsmöglichkeiten für diejenigen, die hier in bester Qualität ausgebildet werden. Wenn teuer ausgebildete Ärzte ins Ausland gehen, weil sie es dort besser haben, beruflich Fuß zu fassen, ist das aus der Sicht Deutschlands nicht besonders clever. Teilweise gibt es auch den Fall, dass Leute, die zum Studieren hierher gekommen sind und eigentlich bleiben wollen, das Land verlassen müssen, weil sie nicht innerhalb eines Jahres einen Arbeitsplatz bekommen haben. Da müssen wir nachbessern.

MiG: Es geht also vor allem darum, das vorhandene Potential zu nutzen.

Schulz: Das wäre genau die falsche Folgerung. Natürlich ist es wichtig, und deshalb dringe ich ja seit Jahren auf ein Anerkennungsgesetz. Das A und O bleibt allerdings, dafür zu sorgen, dass mehr Leute überhaupt erst eine qualifizierte Ausbildung erreichen. Unser Bildungssystem wird zwar nach dem ersten Pisa-Schock ein bisschen besser, aber wir haben es bei weitem nicht so ausgebaut, dass alle optimal gefördert und unterstützt werden. Hier müssen wir jetzt ansetzen. Interview Politik

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  1. Bleier sagt:

    Es gibt keinen Fachkräftemangel. Es gibt nur einen Mangel an Hochqualifizierten, die für einen Hungerlohn arbeiten wollen.

  2. schwarzes_schaf sagt:

    Ach kommt, die Anerkennung heißt nicht das die Abschlüsse gleichwertig sind. Man weiß das in einigen Ländern gegen Geld Abschlüsse vergeben werden. Das ist nur Realität.

    Würde die Wirtschaft die Leute brauchen würden sie doch eine verlängerte Probezeit geben oder abtesten ob diese das gleiche Wissen haben bzw. diese Leute dann weiterbilden.

    Es wird schlimmer werden die Wirtschaft braucht immer weniger normale Mitarbeiter/Fachkräfte durch Automation und EDV Lösungen, es werden nur noch Hochstudierte Fachkräfte verlangt.

    Um den Rest muss sich der Staat un evtl die Integrationsindustire kümmern es gibt ja schon Migrationsforscher ;-)

  3. Pingback: Anerkennung ausländischer Abschlüsse. Ein Gesetz mit Teufel im Detail « BlogIG – Migrationsblog der InitiativGruppe

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  5. Boris Kerzenmacher sagt:

    Das hat gar nichts mit der Berichterstattung zu tun. Das kommt nur daher wie sich die Migranten hier aufführen und dementsprechend in den Gefängnissen und Kriminalitätsstatistiken vertreten sind. Es ist eine Unverschämtheit zB. japanische und koreanische mit türkischen oder albanischen Migranten in den gleichen Topf zu werfen. Letztere sind immer willkommen weil sie augenscheinlich wissen wie man sich als Gast aufführt. Letztere glänzen doch eher in der Kriminalitätsstatistik.

  6. MoBo sagt:

    @ Boris: durch rassistische Äußerungen schafft man es dann aber, dass sich die „beliebten Migranten“ (ich gehöre zufällig so einer Nationalität an) mit den „unbeliebten Migranten“ solidarisieren.

    Und das Wort Gast kann ich echt nicht mehr hören. Ein Deutschtürke der dritten Generation der kein Türkisch kann ist kein „Gast“.