Thomas Straubhaar

“In Deutschland läuft es bei der Integration gar nicht so schlecht”

Wie steht Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern integrationspolitisch da und wo gibt es Handlungsbedarf? Ein Gespräch mit Prof. Dr. Thomas Straubhaar, Direktor des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts (HWWI).

Von Margret Karsch Freitag, 26.11.2010, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 02.12.2010, 0:06 Uhr Lesedauer: 7 Minuten  |  

Margret Karsch: Seit 2008 ziehen mehr Menschen aus Deutschland weg als einwandern. Dennoch fordern nach Thilo Sarrazin, ehemals Finanzsenator von Berlin, nun auch Politiker wie Horst Seehofer von der CSU, die Zuwanderung zu begrenzen. Was steht dahinter?

Thomas Straubhaar: Meines Erachtens geht es zumindest in dieser zweiten Welle der Diskussion darum, sich damit auseinanderzusetzen, dass der Staat – und damit vor allem der Sozialstaat – vor sehr schwierigen Jahren steht, wenn es um finanzielle Spielräume geht. Da an vielen Stellen gespart werden muss, werden die Verteilungskämpfe in unserer Gesellschaft härter. Hinzu kommen Veränderungen im Umfeld: die Globalisierung und die Frage, wie man mit neuen Konkurrenten wie China, Indien und Lateinamerika umgeht, ein beschleunigter Strukturwandel, die Finanzmarktkrise, die viele neue Spielregeln erforderlich macht. Da existieren viele Unsicherheiten, Ängste und Sorgen. In der Wirtschaftsgeschichte gibt es einen oft schon vorgemachten Reflex, dass man in solchen Phasen beginnt, konservative Strömungen zu bedienen – konservativ im Sinne von bewahren, was man erreicht hat.

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Karsch: Dann ist die Forderung also bloßer Populismus?

Straubhaar: Konservative Politiker und Politikerinnen wollen ihre Lager wieder sammeln und sehen bei der Frage der Integration eine Chance, ihre Wähler und Wählerinnen wieder besser bedienen zu können.

Karsch: Aber es strömen ja gar keine Massen von Zuwanderern nach Deutschland – ist es nicht irrational, hier nach weiteren Beschränkungen zu rufen?

„Diese Zuwanderungsdebatte ist eine Phantomdiskussion. Es ist eine Diskussion, die rückwärtsgewandt ist und die man – von den Fakten her – vor zwanzig Jahren hätte führen müssen“

Straubhaar: Diese Zuwanderungsdebatte ist eine Phantomdiskussion. Es ist eine Diskussion, die rückwärtsgewandt ist und die man – von den Fakten her – vor zwanzig Jahren hätte führen müssen, als tatsächlich noch Asylbewerber und Aussiedler nach Deutschland kamen. Damals gab es in der Tat starke Ein- und Wanderungsbewegungen. Heute kommen kaum noch Aussiedler, und auch die Zahlen der Asylbewerber liegen auf einem tiefen Niveau. Zuwanderung nach Deutschland findet nur noch in Form von Familienzusammenführung statt. Die heutige Diskussion ist somit zwar losgelöst von den Fakten, aber nicht irrational.

Karsch: Inwiefern ist sie rational?

Straubhaar: Gewisse politische Gruppierungen haben tief greifende Strömungen in der deutschen Bevölkerung erfasst, und da wird der politische Erfolg nicht ausbleiben: Die Polarisierung, die sich aus der Debatte ergibt, wird helfen, politische Gruppen nach vorne zu bringen, die vielleicht in den letzten Jahren an Profil verloren haben.

Karsch: Wieso konzentriert sich die Debatte dann ausgerechnet auf Menschen mit Migrationshintergrund, die doch schon immer – etwa als sogenannte Gastarbeiter – Teil der deutschen Gesellschaft waren?

Straubhaar: Auch wenn die meisten Menschen mit Migrationshintergrund sehr gut integriert sind und der gemeinsame Alltag mit ihnen in der Regel reibungslos verläuft, kann man sehr schön an einzelnen Beispielen das Gegenteil zeigen und Meldungen generieren, die Sensationscharakter haben.

Karsch: Ist das ein speziell deutsches Problem?

Straubhaar: Nein, wir machen in Deutschland viele Dinge besser als in Nachbarländern, insbesondere in den Niederlanden, die lange als Vorbild galten. Dort ist mittlerweile sogar eine Partei an der Regierung beteiligt, die mit diesen Themen hausiert. Hier ist die geführte Debatte entspannter, der Umgang damit ist gar nicht so schlecht. Bei uns brennen die Vorstädte nicht wie in Frankreich, es gibt kein Minarettverbot wie in der Schweiz und – noch? – keinen politischen Zulauf für einen Heinz-Christian Strache wie in Österreich.

Karsch: Migranten dienen in der Debatte also als Sündenbock. Der schwarze Peter ließe sich natürlich auch anderen zuschieben, die gesellschaftlich nicht voll integriert sind. Etwa Hartz IV-Empfängern, deren gesellschaftliche Teilhabe dadurch eingeschränkt ist, dass sie sich beispielsweise keinen Kinobesuch leisten können.

Der Schweizer Thomas Straubhaar (geboren 1957) ist seit 1999 als Professor für Internationale Wirtschaftsbe- ziehungen an der Universität Hamburg tätig. Außerdem leitet er seit 2005 das Hamburgische WeltWirt- schaftsInstitut (HWWI). Thomas Straubhaar hat an der Universität Bern Volkswirt- schaftslehre studiert und in dem Fach auch promoviert und sich habilitiert. 1992 erhielt einen Ruf an die Universität der Bundeswehr Hamburg.

Straubhaar: Ja, die Gesellschaft wird heterogener. Damit franst sie aus, so dass die Gegensätze in der gesamten Bevölkerung größer werden. Als Folge gibt es eine ganze Reihe von Gruppen, die zum einen politische Aufmerksamkeit erhalten und sich zum anderen aber auch politisch mobilisieren lassen. Nehmen Sie beispielsweise auf der einen Seite die Partei „Die Linke“: Die sammelt gerade viele Unzufriedene ein und greift soziale Ängste auf. Wenn ich mir auf der anderen Seite Sarrazins unlängst erschienenes Buch „Deutschland schafft sich ab“ angucke, dann geht es über mehrere Kapitel weit über die deutsche Integrationsdebatte hinaus.

Karsch: Wie können wir denn die Integration, die Teilhabe aller verbessern – ob sie nun einen Migrationhintergrund haben oder nicht?

Straubhaar: Wir müssen alle Instrumente fördern, unterstützen, stärken, die allen die gleichen Startchancen geben. Das müssen nicht immer nur staatliche Instrumente sein. Sie können auch aus der Bürgergesellschaft kommen. Wir müssen das ganze Bildungssystem stärker an frühkindliche Entwicklungen anpassen und sicherstellen, dass alle Kinder so früh wie möglich lernen sich auszudrücken – damit sie auch gehört werden können. Wir brauchen also einen Sprach- und Entwicklungstest für alle Kinder, der einen bestimmten Stand abprüft. Wer das Ziel nicht erreicht, muss Kurse zur Sprachförderung besuchen. Und zwar unabhängig davon, ob er oder sie einen Migrationshintergrund hat oder nicht.

Karsch: Damit alle Betroffenen sich das leisten können, müssten diese Kurse staatlich finanziert sein. Wie stehen Sie zu dem Vorwurf, dass eine solche Verpflichtung zur Teilnahme an Sprachtests oder auch die von Arbeits- und Sozialministerin Ursula von der Leyen vorgeschlagene Bildungschipkarte Menschen bevormundet?

Straubhaar: Natürlich ist es nicht liberal, Sach- statt Geldleistungen zu bieten. Aber es lässt sich nicht leugnen, dass es Momente gibt, in denen mündige Menschen nicht in der Lage sind, die Interessen Unmündiger zu vertreten. Um dieser Gefahr zu begegnen, ist leider manchmal eine Bevormundung nötig. Deshalb ist die Bildungschipkarte eine sinnvolle Lösung.

Karsch: Reicht das, um die soziale Vererbung von Hartz IV-Karrieren zu verhindern, die sich in Deutschland beobachten lässt?

„Zwei große Klippen, an denen Jugendliche mit Migrationshintergrund in Deutschland oft scheitern, müssen abgebaut werden: die am Übergang von der Schule zur Lehre und die am Übergang von der Lehre in den Beruf.“

Straubhaar: Zwei große Klippen, an denen Jugendliche mit Migrationshintergrund in Deutschland oft scheitern, müssen abgebaut werden: die am Übergang von der Schule zur Lehre und die am Übergang von der Lehre in den Beruf. Hier könnten etwa Fördervereine helfen.

Karsch: Was fehlt noch, damit sich alle gesellschaftlich einbringen können?

Straubhaar: Man muss durch Durchlässigkeit sicherstellen, dass jeder, der einmal – aus welchen Gründen auch immer – ausscheidet, wieder in den Beruf zurückkehren kann. Das Hauptproblem ist es ja nicht, arbeitslos zu sein, sondern arbeitslos zu bleiben. Und je länger man draußen ist, desto schwieriger ist es, wieder einzusteigen. Es gilt der Satz: Nur eins wird teurer sein als die Kosten erfolgreicher Integration, und zwar die Kosten misslungener Integration.

Karsch: Immerhin gibt es ein Gleichstellungsgesetz, aber das gewährleistet noch keine Durchlässigkeit – was braucht es noch?

Straubhaar: Das Allgemeine Gleichstellungsgesetz ist eher schädlich, weil es den Menschen, denen man helfen will, nichts nützt. Es garantiert keine gleiche Behandlung. Es gibt Statistiken, die belegen, dass überall dort, wo es Gleichstellungsgesetze gibt, diejenigen, die durch das Gesetz geschützt werden sollen, dies mit geringeren Erwerbsquoten bezahlen. Frauen, Ältere oder Jüngere, Behinderte, Menschen mit Migrationshintergrund werden dann seltener eingestellt oder besetzen nur niedrigere Positionen am Arbeitsmarkt.

Karsch: Davon gibt es nirgendwo eine Ausnahme? Von welchen Ländern könnten wir möglicherweise lernen?

Straubhaar: Ich bleibe dabei: In Deutschland läuft es bei der Integration gar nicht so schlecht. Man könnte sicherlich das eine oder andere von angelsächsischen Ländern lernen, aber eine Blaupause gibt es nicht. Einfacher läuft es bei einer vollständigen Trennung von Kirche und Staat etwa in den USA. Dort erhalten Sie in den ersten fünf Jahren nach der Einwanderung zudem keinerlei Leistungen. Bei der Zuwanderung könnte man sicher von Kanada, Australien oder Neuseeland die Steuerungsmechanismen abgucken und käme dann zu Punktesystemen. Aktuell Interview

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