Türkische Gymnasien in Deutschland

Eine Chance und keine Gefahr!

Inzwischen hat unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel ihre Haltung zur Gründung von türkischen Gymnasien in Deutschland relativiert. Sie hat aber noch nicht „Ja“ gesagt! Die protektionistisch anmutende Haltung der Bundesregierung gegenüber Vorschläge und Forderungen der Türkei insbesondere zur deutschen Integrationspolitik scheint symptomatisch zu sein:

Von Dienstag, 30.03.2010, 10:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 05.09.2010, 17:42 Uhr Lesedauer: 7 Minuten  |  

Die Bundesregierung muss verstehen, dass sie die Türkei für eine erfolgreiche Integrationspolitik benötigt – zumindest für eine Übergangszeit. Vor allem muss sie lernen, ihre allergisch wirkenden Vorbehalte gegenüber eine „Einmischung“ aus der Türkei abzulegen und beginnen, pragmatisch mit den Vorschlägen und Forderungen der Türkei umzugehen.

Die Gründung türkischer Gymnasien sollte daher nicht kategorisch abgelehnt werden. Vielmehr sollte die Bundesregierung überprüfen, wie sie den Vorschlag vom türkischen Ministerpräsidenten dazu nutzen kann, um eigene Ziele der deutschen Integrationspolitik durchzusetzen und zu manifestieren. Sind die Vorschläge und Forderungen aus der Türkei mit den Zielen der Bundesregierung nicht vereinbar, kann sie immer noch „Nein“ sagen.

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Die Super-Paranoia der deutschen Bevölkerung
Man kennt es schon aus der Vergangenheit, aber es wirkt auf junge Deutsch-Türken immer noch befremdlich: Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan fordert türkische Gymnasien in Deutschland, schon werden in Deutschland hektisch die Fenster zugemacht, die Jalousien heruntergezogen, die Türen abgeschlossen, die Schlösser an der Tür nacheinander abgeriegelt, die Kette an die Halterung angebracht und nicht zuletzt die Augen und Ohren zugehalten, um dann die Forderung Erdogans kategorisch abzulehnen.

Kaum ist die Druckertinte getrocknet, schon sind Fachexperten aufgelaufen, um festzustellen, dass türkische Gymnasien die Integration der Deutsch-Türken behindern würden. Ja, sie seien sogar „anti-integrativ“ und würden „Parallelgesellschaften“ fördern. Schlussendlich verbiete man sich eine Einmischung seitens der Türkei in innerdeutsche Angelegenheiten. Übertroffen werden diese Kommentare nur noch von den „Analysen“ diverser Fachleute hinter vorgehaltener Hand und im Flüsterton: Erdogan hege Expansionsgelüste.

Die bilaterale Opportunität von deutsch-türkischen Verbänden
Die Superlativen dieser Karikatur unserer eigenen Paranoia stammen aber von einigen deutsch-türkischen Verbandsvertretern und türkischstämmigen Abgeordneten in deutschen Parlamenten: Man ist beeilt, in den deutschen Medien die Paranoia begründeten Kommentare und Analysen zu bestätigen, um dann in den türkischsprachigen Medien festzustellen, dass die Forderung Erdogans keine so schlechte Idee ist und doch die Integration der in Deutschland lebenden Türken fördern könnte.

Offensichtlich sind die Interessens- und Volksvertreter dessen nicht bewusst, dass eine solche bilaterale Opportunität nicht zu einer glaubwürdigen Interessensvertretung bzw. Integrationspolitik beiträgt! Sie schadet sogar die deutsche Integrationspolitik, den interkulturellen Dialog und verstärkt das negativ-besetzte Türken-Bild in der deutschen Öffentlichkeit! Inzwischen fliegen über verschiedene Informationskanäle Pressemitteilungen, die diesen widersprüchlichen Eindruck aufheben sollen.

Ich möchte sogar behaupten, dass eine solche opportune Kommunikations- und Verhaltensstrategie die „Ängste der Deutschen“ gegenüber der Türkei und den in Deutschland lebenden Türken manifestiert. Und sollte die vordergründige Aufgabe dieser Verbandsvertreter nicht sein, eine Sachlichkeit in der deutschen Integrationsdebatte gepaart mit konstruktiven Lösungsansätzen anzustreben!? Ich weiß nicht, welche Interessen diese Verbandsvertreter meinen zu vertreten, meine Interessen vertreten sie zurzeit offensichtlich nicht.

Die Bildungs- und Arbeitsmarktsituation von in Deutschland lebenden Türken ist eine Katastrophe. Dass viele türkischstämmige Jugendliche aus bildungsfremden 1 Familien stammen, die ein großes Defizit in ihrem Wissen über das deutsche (Aus-) Bildungssystem aufweisen, ist ein harter Fakt und damit auch eine Ursache. Hier muss die deutsche Integrationspolitik ansetzen – und endlich geschieht dies auch.

Eine weitere und nicht zu unterschätzende Ursache für die Situation von türkischstämmigen Jugendlichen und jungen Erwachsenen ist aber auch darin zu finden, dass in der deutschen Gesellschaft Vorurteile und Halbwissen über die Türken existieren, die auch zur Benachteiligung dieser Menschen auf dem Arbeitsmarkt führen. So hat jüngst ein Experiment des Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA) vorgeführt, dass Bewerber mit türkischen Namen gegenüber Bewerbern mit deutschem Namen bei gleicher Qualifikation häufiger abgelehnt werden.

  1. Ich präferiere den Begriff bildungsfremd statt bildungsfern, da nach meinen bisherigen Erkenntnissen die in Deutschland lebenden Türken eine beachtliche Bildungsaspiration aufweisen. Das Problem besteht aber in den geringen Kenntnissen von einigen türkischstämmigen Eltern über das deutsche Bildungssystem. Ihnen fehlt oft das Orientierungswissen, um ihren Kindern den Weg im deutschen Bildungsdschungel zu weisen.
Meinung

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  1. Yakamoz sagt:

    Vollkommene Zustimmung, jedoch haben Sie sogar noch einen Aspekt der Aussagen von Frau Merkel vergessen: Die Türken bräuchten sich nicht zu „assimilieren“, es reiche, wenn sie Deutsch lernen und sich an die Gesetze halten würden, sagte sie vor ihrer Türkeireise. Als ob das nicht selbstverständlich wäre, daß es überhaupt erwähnenswert ist, sich an die Gesetze zu halten – das sagt doch schon sehr viel von ihrem Bild, das sie von Türken in Deutschland hat und somit auch weiterverbreitet in der Öffentlichkeit…!

  2. NDS sagt:

    Vielen Dank für diesen differenzierten Kommentar!!!

  3. Freigeist sagt:

    Grundsätzlich ist ihrem Beitrag zuzustimmen. An einigen Stellen wäre allerdings eine Konkretisierung nötig.

    Zunächst möchte ich Sie bitten die Verbandsvertreter zu benennen, denen Sie Scheinheiligkeit vorwerfen. Den Lesern, die der türkischen Sprache nicht mächtig sind, bleiben diese Zusammenhänge verschlossen. Sollten Sie recht behalten, ist die Glaubwürdigkeit dieser Verbandsvertreter m.E. verloren.

    In einem Nebensatz meinen Sie, dass hinsichtlich der Bildungssituation von Migrantenkindern in Deutschland etwas geschieht. Später schreiben Sie allerdings, dass ein sog. „Schwarzmarkt der Bildung“ entstanden sei und werfen den Verantwortlichen vor, das ermöglicht zu haben und suggerieren damit, dass eben nichts geschehen ist. Womöglich haben Sie versucht zu differenzieren, um nicht einseitig zu wirken. Das ist zwar im Grunde begrüßenswert, aber leider hier nicht begründet. Studien belegen vielmehr, dass in diesem Bereich noch viel geschehen muss; insbesondere in den Köpfen. Die Münsteraner Erziehungswissenschaftlerin Methilde Gomolla legt z eindruckvoll dar, wie Migrantenkinder institutionell diskriminiert werden.

    Ihre Kritik an Nachhilfezentren und Privatschulen kann ich ebenfalls nicht nachvollziehen. Von welchen dubiosen Organisationen sprechen Sie? Etwa, die der Nurcu-Bewegung? Oder solche, die den Moscheen angegliedert sind? In diesem Zusammenhang verkennen Sie, dass gerade diese Kurse vielen Migrantenkindern es erst ermöglicht haben, zu studieren und einen Akademikerberuf auszuüben. Auch die Bezeichnung „Schwarzmarkt der Bildung“ empfinde ich als Diskreditierung. Dabei müsste die Integrationsarbeit dieser Institutionen gewürdigt werden. Sie haben in einer Zeit Integrationsarbeit geleistet, in der das Wort Integration noch nicht mal geläufig war.

    Was die Bildungsfremdheit von Migrantenfamilien angeht, entsprechen meine Erfahrungen ebenfalls nicht dem, was Sie hier vortragen. Das mag vielleicht für die erste Generation zutreffen. Sie hatten übrigens auch keinerlei Ambitionen in Deutschland zu verbleiben. Auch entstammen Sie von bildungsfernen Gesellschaftsschichten. Die 2. und 3. Generationen sind sich allerdings durchaus bewusst, das Bildung wichtig ist und kennen zumindest die Grundstrukturen des deutschen Bildungssystems; übrigens gerade durch die vorbildliche Arbeit der Oragnisationen, denen Sie Dubiosität vorwerfen. Meine Mutter hat mir das Gymnasium regelrecht in den Kopf reingehämmert, nachdem sie in einer Moschee Ende der 80er ein Seminar zum Bildungssystem besucht hatte; sie sprach dmals kein Wort deutsch. Die Bildungsferne von Migrantenkindern haben vielmehr soziale Gründe, habe ich den Eindruck. Gibt es hierzu Studien? Das würde mich interessieren.

    Abschließend möchte ich Sie bitten, die „Übergangszeit“, von der Sie wieder nur in einem Nebensatz sprechen, zu konkretisieren. ich habe es so verstanden, dass Migranten nach einer gewissen Zeit keinerlei Bindungen zu den „Heimatländern“ haben werden (ggf. auch kulturell). Die Mehrheitsgesellschaft brauche nur etwas Geduld haben, bis sie sich anpassen.

    Vielen Dank

  4. Hans sagt:

    Bei der ganzen Diskussion wird doch übersehen, dass das Problemklientel weder auf türkische noch auf deutsche Gymnasien geht sondern auf Hauptschulen und wer sich mal Lehrerberichte oder schlimmer noch Unterrichtsbesuche als Referendar hinter sich hat kann über sowas nur schmunzeln

    „Die 2. und 3. Generationen sind sich allerdings durchaus bewusst, das Bildung wichtig ist und kennen zumindest die Grundstrukturen des deutschen Bildungssystems;“

  5. NDM sagt:

    Ich kann es ganz kurz auf den Punkt bringen:
    Die momentane Integrationspolitik mit Hinblick auf die Sprache hat ihren Fokus auf der frühkindlichen Sprachförderung. Hier heißt es schlicht: Je früher ein Kind mit der deutschen Sprache in Berührung kommt, desto günstiger ist die Anlage für das zukünftige Lernen dieser Sprache. Das ist sehr wichtig und muss weitergeführt werden. Dies hindert aber nicht daran, das von Erdogan angesprochene Thema weiterzudenken. Türkische Gymnasien sind in mehrlei Hinsicht nicht falsch. Der Aspekt, der die Wirtschaft betrifft, wenn man sein Abitur auf einer bilingualen Schule erwirbt, muss ich wohl nicht näher beleuchten, er ist offensichtlich. Das beweisen z.B. Europaschulen. Da ist aber noch vielleicht ein weiterer:

    Dort, wo zuhause eher Türkisch und gar nicht oder nur beiläufig Deutsch gesprochen wird, kann die Perspektive, bei besonders guten Grundschulleistungen auf ein türkisches Gymnasium kommen zu können, einen enormen Leistungsantrieb darstellen.

    Mehr kann ich (z.B. in Bezug auf die Integration) nicht dazu sagen, da ich keine näheren Konzepte zur Hand habe.

  6. Bierbaron sagt:

    Also ich habe so meine Probleme mit türkischen Gymnasien und halte den Artikel für viel zu eindimensional!

    1. Was hindert türkische Zuwanderer daran, ihre Kinder bilingual zu erziehen?
    2. Warum gleich türkische Gymnasien? Warum schaut man sich nicht die potentielle Nachfrage an und führt türkisch dementsprechend als zweite oder dritte Fremdsprache ein?
    3. Das grundsätzliche Problem ist doch, und da gebe ich Hans ganz recht, dass diejenigen Türken und türkischstämmigen Deutschen, die Probleme haben, sich in die deutsche Gesellschaft zu integrieren, von türkischen Gymnasien nur schwerlich erreicht werden (gerade mal 20% aller Türken/Türkischstämmigen besicht ein Gymnasium).
    4. Leider wird in diesem Artikel (wie auf der gesamten Seite..) das Bild der immerzu fordernden Türken bestätigt. Ein solches Gebaren ist mir als niederländischem Zuwanderer und auch vielen Deutschen Fremd.
    Eigenverantwortung, Eigeninitiative, Selbstkritik – Mit einer Politik, die (auf beiden Seiten!) diesen Werten folgte, hätte man nicht nur mehr Erfolg, auch das Ansehen der türkischen Zuwanderer würde schlagartig steigen.

    Grüße
    Bierbaron

  7. dost1 sagt:

    ich kann zwar dem autor über die einrichtung türkischsprachiger Schulen beipflichten, aber man sollte nicht die sorge kritischer Stimmen ausser Acht lassen, die von der möglichen Einführung islamistischer Gülen-Schulen „unter türkischem Deckmantel“ warnen. Dass die Erdogan-Regierung gegen die schrittweise „Abschaffung“ des muttersprachlichen Erganzungsunterrichts in den Bundeslandern und Gemeinden wegen angeblichen Kosten, Raumnot oder dem alternativen deutschen Islamunterricht nichts Konkretes übernommen hat, bei der früheren Anvisierung der türkischen Verfassungsreform den Passus über die Belange der Auslandstürken gestrichen und somit den Besuch deutsch-türkischer Vereine bei türkischen Oppositionsparteien provoziert, offizielle Koordinationsrate für die Leitung deutsch-türkischer Pressure-Groups abgeschafft und dagegen die Einrichtung von sogenannten religiöse Yunus-Emre-Stiftungen als Koordinationsstellen für Lobby-Arbeit in der Bundesrepublik in Angriff genommen hat, weist auf die politische, religiöse und nicht national orientierte Disposition der jetzigen Regierung hin

  8. Rolf Mueller sagt:

    Für mich steht das Glück und der Erfolg des Kindes bzw. Menschen im Vordergrund. Vor allem ist mir wichtig, dass er oder sie eine reelle Chance hat, ein glücklicher, zufriedener Mensch zu werden. Dafür sind Schulen nötig, die denjenigen, die auf deutschen Schulen Probleme hätten, den Stoff in ihrer Muttersprache beibringen. Der Mensch und sein persönliches Schicksal muss wichtiger sein als die Ideologie (Integrationserfolg).
    Ich kenne auch Türken und Kurden, die sich in ihrer Muttersprache einigermaßen verständigen, aber nicht schreiben können. Das ist für einen Menschen sehr schlimm, in seiner Muttersprache nicht schreiben zu können.
    Viele Deutsche instrumentieren Integration für ihre Fremdenfeindlichkeit und ihren Rassismus. Wenn sie schon die Fremden nicht vertreiben oder auslöschen können, dann wollen sie das wenigstens mit ihrer Sprache und ihrer Kultur tun. Integration ist für sie die völlige Unterwerfung unter die deutsche Sprache, die deutsche Kultur und Lebensart.
    Solange die Deutschen nicht begriffen haben, dass Integration vor allem Teilhabe heißt, Teilhabe an den Möglichkeiten, an den Chancen und am Wohlstand der deutschen Gesellschaft, ohne seine Identität und Würde aufzugeben, (wozu natürlich auch die eigene Sprache und Kultur gehört), läuft Integration immer auf Unterwerfung und Assimilation hinaus. Ich kann keinem Migranten verdenken, wenn er dazu keine Lust hat.

  9. Johanna sagt:

    Erdogan hat immer noch nicht klargestellt, welches die Unterrichtssprache sein soll.

    Ist dies Deutsch, wäre dagegen ansich nichts einzuwenden.

    In Berlin gibt es diese Schulform bereits.

    • Freigeist sagt:

      Die Unterrichtssprache in den deutschen Schulen im Ausland, so auch in der Türkei, ist deutsch. Ähnlich sind etwa die englischen uns spanischen Schulen in Deutschland aufgebaut. Deutsch wird als erste Fremdsprache angeboten. Das sollte man im Auge behalten in dieser Debatte. Ansonsten müsste man wie Frau Merkel zurückrudern.

  10. Wird dadurch nicht weiter gefördert, das sie türkischen Menschen sich in ihrer Paralellgesellschaft nicht heraus trauen und mit den Menschen hier leben.
    Ich habe die Erfahrung gemacht, dass sich die Menschen auf ihre türkische Nationalität zurückziehen, sich kaum auskennen in der deutschen Gesellschaft. Auch benutzt werden von Gruppen für ihre Zwecke, und sie nicht erkennen dass sie missbraucht werden, weil sie eben hier nicht angekommen sind.
    Ich halte davon nichts, nichts von türkischen Kindergärten oder türkische Schulen. Die Schule muss sich öffnen und türkisch als Sprache neben englisch und französisch anbieten. Oder auch in den Grundschulen gemeinsam die Sprache der deutschen und der türkischen Kindern erlernen lassen.
    Und auch die Ungerechtigkeiten in den Schulen abschaffen, die jedes Migrantenkind erfahren hat, die Lehrer umschulen, solche Ungerechtigkeiten nicht zu zu lassen.