Migranten-Milieu Studie
Ein Kompass für die Stadtgesellschaft
Prof. Dr. Yasemin Karakaşoğlu, Fachbereich Erziehungs- und Bildungswissenschaften der Universität Bremen, kommentiert die Studie „Migranten-Milieus“ [pdf] des Bundesverbands für Wohnen und Stadtentwicklung (wir berichteten).
Von GastautorIn Dienstag, 10.11.2009, 8:08 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 05.09.2010, 16:27 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
Die Studie wurde in zwei aufeinander aufbauenden Schritten mit qualitativen (2007) und quantitativen Methoden (2008) durchgeführt. Im qualitativen Teil wurden 100 (mehrsprachige) Tiefeninterviews mit Angehörigen ausgewählter, unterschiedlicher Migrantengruppen durchgeführt, die die sieben größten Herkunftsgruppen repräsentieren. Im quantitativen Teil umfasste die repräsentative Stichprobe der Studie insgesamt 2.072 Personen. Auch hier wurden persönliche, mündliche Interviews durchgeführt, bei denen durch mehrsprachiges Interviewpersonal und -material den Interviewten die freie Sprachwahl ermöglicht wurde. Neben einem allgemeinen Teil mit Fragen zu Migration/Integration, Lebenswelt und Sozialstatistik wurden in einem zusätzlichen Themenblock Fragen zu den Themen Lokales Engagement, Wohnen und Wohnumfeld gestellt.
Es stellt sich heraus, dass sich die Befragten nicht spezifischen nationalen Herkunftsgruppen oder auch sozialen Schichten zuordnen lassen, sondern sich insgesamt in acht Milieus aufteilen, die sich zu vier Segmenten gruppieren lassen. Interessanterweise sind die Migranten auf diese vier Segmente zu je einem Viertel nahezu gleich verteilt: bürgerliche Migranten- Milieus (28 Prozent), traditionsverwurzelte Migranten-Milieus (23 Prozent), ambitionierte Migranten-Milieus (24 Prozent) und prekäre Migranten-Milieus (24 Prozent). In den Milieus bilden sich kulturelle Zwischenwelten und Überschneidungspraktiken ab, die sich nicht mit Zuordnungen wie ‚Herkunftsgesellschaft’ oder ‚Aufnahmegesellschaft’ beschreiben lassen. Darin zeigt sich, dass Migranten mit ihren in sich pluralen Milieus einen einschlägigen und nachhaltigen Einfluss auf die Pluralität von Lebenswelten der Stadtgesellschaft haben. Debatten über kulturelle Rückschritte in überkommene Wertmodelle, ethnische Abschottungstendenzen oder eine zunehmende Bedeutung religiöser Werte und Dogmen bei Migranten werden durch die Befunde der Studie entkräftet. Anti-Fundamentalismus und eine Orientierung an kultureller Vielfalt kennzeichnen den Großteil der Migranten-Milieus. Die Studie straft alle Unkenrufe um die ethnischen Parallelgesellschaften Lügen, die die Stadtgesellschaft angeblich bedrohten, denn dies geht offensichtlich an der lebensweltlichen Realität des Großteils der Migranten deutlich vorbei.
In der Untersuchung wird ein dezidiert partizipatorischer Ansatz verfolgt. Migranten sollen als aktive (Mit-)Gestalter der Stadtgesellschaft in den Blick genommen werden, die integrativen Potenziale ihrer Milieus sollen herausgearbeitet und dadurch sichtbar und nutzbar gemacht werden. Die innovative Idee der Studie ist es, durch ein aktives Aufsuchen von Ansprechpartnern aus den einzelnen Milieusegmenten, aber auch durch die Nutzung einzelner Milieus als Vermittler zu anderen Migranten-Milieus eine Integrationspolitik auf Augenhöhe zwischen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund zu gestalten. Die Studie bestätigt Ergebnisse der ersten Sinus-Studie zu Migranten-Milieus, in denen erneut festgestellt wird, dass Migranten über alle Milieus hinweg stark an Leistung und Teilhabe interessiert sind. Die Studie verdeutlicht, dass jedoch die Potenziale, die sich aus den Einstellungen der Migranten zu diesen Bereichen ablesen lassen, in keinem Verhältnis zu den realen Möglichkeiten und Erfolgen stehen.
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