EU-Fortschrittsbericht

Union, SPD und Grünen streiten um EU-Beitritt der Türkei

Unterschiedlich wurden die gestern vorgestellten Fortschrittsberichte zu den westlichen Balkanstaaten und der Türkei durch die Europäische Kommission aufgenommen. Insbesondere zur Türkei gehen die Meinungen auseinander. Während die Union den Abbruch der Verhandlungen fordert, werfen SPD und Grünen der CDU/CSU Populismus vor.

Donnerstag, 15.10.2009, 8:05 Uhr|zuletzt aktualisiert: Samstag, 21.08.2010, 15:42 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

CDU/CSU für Abbruch der Beitrittsverhandlungen
„Die Fortschrittsbilanz der Türkei ist erneut nicht zufriedenstellend.“ Dieses Resümee zog die CDU/CSU Bundestagsfraktion. Die Europäische Union werde Ende dieses Jahres entscheiden müssen, ob und in welcher Form die Verhandlungen mit der Türkei fortgesetzt werden können, nachdem sich das Land weiterhin weigere, das Ankara-Protokoll umzusetzen und die Republik Zypern als Mitglied der Europäischen Union und legitimen Vertreter auch des türkischen Bevölkerungsanteils anzuerkennen.

„Die nach wie vor bestehenden erheblichen Defizite bei den sogenannten Kopenhagener Kriterien bestätigen unsere Auffassung, dass eine EU-Mitgliedschaft für die Türkei auf lange Sicht nicht in Frage kommt und deshalb die Beziehungen zur Europäischen Union unterhalb der Ebene der Mitgliedschaft im Rahmen einer besonderen Partnerschaft ausgebaut werden sollten“, so die Union.

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Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion deutet den mangelnden demokratischen Reformwillen in der Türkei auch als nachlassendes Interesse an einer Vollmitgliedschaft in der Europäischen Union. Vor diesem Hintergrund sollte die EU-Kommission nach Ablauf der Frist für die Umsetzung des Ankara-Protokolls den Staats- und Regierungschefs der EU die Unterbrechung der Beitrittsverhandlungen empfehlen und Vorschläge für den Ausbau der besonderen Beziehungen zwischen der Türkei und der Europäischen Union vorlegen.

MiGAZIN Dossier zum EU-Beitritt der Türkei mit weiteren Berichten in chronologischer Reihenfolge.

SPD: Abbruch der Verhandlungen wäre kurzsichtig
Die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Angelica Schwall-Düren erklärte hingegen: „Ob und wann eine Aufnahme in die Europäische Union stattfinden kann, ist abhängig von der Erfüllung der Beitrittskriterien. Nur wenn diese erfüllt werden, kann ein Land aufgenommen werden. Hiervon darf und kann es keine Abweichung geben.“

Wer heute einen sofortigen Abbruch der Verhandlungen über einen EU-Beitritt der Türkei fordere, handele kurzsichtig. Schwall-Düren weiter: „Die SPD-Bundestagsfraktion spricht sich deshalb weiterhin für die Fortsetzung der Beitrittsverhandlungen aus. Diese sind fair und ergebnissoffen zu führen. Allerdings muss die Türkei ihr Reformtempo deutlich beschleunigen, will sie das Klassenziel erreichen.“

Zum Streit der künftigen Koalitionspartner CDU/CSU und FDP über einen möglichen EU-Beitritt der Türkei attestierte Schwall-Düren der CSU, ein schlechter Verlierer zu sein. „Mit der Forderung eine Ablehnung des EU-Beitritts der Türkei in den Koalitionsvertrag aufzunehmen, zeigt sich erneut die Unfähigkeit der CSU, europapolitische Verantwortung zu übernehmen. Die Forderung der CSU und von Teilen der CDU ist nichts anderes als reiner Populismus. Damit schüren sie indirekt Ressentiments gegenüber den in Deutschland lebenden türkischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern.“

Bundeskanzlerin Merkel müsse für Kontinuität in der deutschen Europapolitik sorgen. Es scheint aber, als könne sie sich innerhalb ihrer Parteifamilie in bedeutenden europapolitischen Fragen nur schwer durchsetzen.

Grüne: Türkei braucht weiter eine europäische Perspektive
Der Bundestagsabgeordnete Manuel Sarrazin (Die Grünen) bescheinigte der Türkei ebenfalls Defizite: „Die Türkei genügt noch nicht den europäischen Ansprüchen an Grund-, Menschen- und Bürgerrechte“. Gleichzeitig erkenne die Europäische Kommission Fortschritte, auch bei der Reform des Justizsystems. Diese Fortschritte müsse die Europäische Union weiter unterstützen.

Die Grünen würden die Reformen bei der Strafverfolgung von Militärs, ebenso die Eröffnung des kurdischen Fernsehsenders begrüßen. Auf dieses positive Signal müsse nun die echte Einbindung aller religiösen und ethnischen Gruppen folgen. Ein großer Schritt sei die Unterzeichnung des Protokolls über künftige gemeinsame Beziehungen mit Armenien. Endlich würden sich beide Staaten nach Jahrzehnte langer Feindschaft einander annähern. Nächste Schritte sollten nun die Öffnung der Grenze und die geschichtliche Aufarbeitung sein.

Die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei sollten...
    abgebrochen werden. (73%)
    ergebnisoffen weitergeführt werden. (27%)
     
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    Sarrazin weiter: „Die Mängel bei Meinungs-, Presse- und Religionsfreiheit, Gleichstellung von Mann und Frau, Rechten von Gewerkschaften, ziviler Kontrolle über das Militär, Strafverfolgung in Fällen von Folter und bei der Anwendung der Antiterrorgesetze müssen behoben werden. Auch in Fällen häuslicher Gewalt, Ehrenmorde und Zwangsehen steht die Türkei in der Pflicht, den europäischen Maßstab zu erreichen.“

    Richtig sei, dass die Türkei die rechtsstaatlichen Reformen schneller angehen müsse. Richtig sei auch, dass sie dabei die Unterstützung der Europäischen Union brauche. Eine klare Beitrittsperspektive motiviere zu mehr und schnelleren rechtsstaatlichen Reformen. „Die Forderung der CSU, einer Vollmitgliedschaft der Türkei in der EU im Koalitionsvertrag eine Absage zu erteilen, ist nicht mehr als populistisches Getöse“, so der Grünen-Politiker abschließend. Politik

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    1. delice sagt:

      Also dem obigen Spruch der CDU/CSU, die „für Abbruch der Beitrittsverhandlungen“ mit der Türkei sind würde ich auch zustimmen wollen. Auch wir sind dagegen! Die EU hat sich irgendwie auch schon überlebt. Die 60jährige Mär, sollte nun endlich ein Ende finden!

      Auch wir wollen nicht zur EU!

      Die Türkei sollte lieber auf ihre eigene Größe und Bedeutung in der Region zurückbesinnen. Die große Selbstverarschung sollte endlich aufhören!

      Geschäftsleute und alle anderen Personen, wie Touristen und der gleichen aus den EU-Mitgliedsstaaten, sollten am Flugschalter oder an der Grenze zur Türkei mindestens 50,00 Euro pro Person für ein einmonatiges Visum zahlen, weniger gibt es nicht, auch bei Mischehen oder ehemaligen türkischen Staatsbürgern! Mit diesem Geld sollten insbesondere Rückkehrprogramme aufgelegt werden. Denn fast jeder türkische Rückkeher würde auch seine Ersparnisse mitgbringen.

      Man muss eben alles mit dem zurückbezahlen, was man anderen auferlegt!

      Es sollte eine so genannte „Watschlist“ angefertigt werden und auch immer wieder aktualisiert werden, in dem alle Personen erfasst werden, die die Türkei und türkische Staatsbürger in der Welt beleidigt haben.

      Denen sollte der Einlass in die Türkei auch erschwert bisweilen aber auch verboten werden, insbesonderen bei besonders schweren Fällen von ehemaligen Asylsuchenden in Deutschalnd und aus anderen Ländern!

      Den mit der bisherigen wohlwollenden Politik ist kein Blumentopf zu gewinnen!