Integrations-Indikatorenberich

Der Vermessungswahn

Die 100 Indikatoren messen ein Objekt, die Ausländer oder Menschen mit Migrationshintergrund, so sorgfältig aus wie noch nie eine Bevölkerung vermessen wurde. Das wissenschaftliche Muster gleicht dem der Tierexperimente, denn das Objekt der Untersuchung wird auch hier wie ein bewusstloses Nicht-Subjekt behandelt.

Von Donnerstag, 09.07.2009, 6:04 Uhr|zuletzt aktualisiert: Samstag, 21.08.2010, 2:49 Uhr Lesedauer: 6 Minuten  |  

Der 1. Integrations-Indikatorenbericht bringt es an den Tag: „Kaum Fortschritte bei Integration von Ausländern“ (SZ 12. 6. 2009). Gleichzeitig teilt das Statistische Bundesamt (12. 6. 2009) mit, dass die Zahl der Einbürgerungen in Deutschland im Jahr 2008 auf den niedrigsten Stand gefallen sei seit der Wiedervereinigung. Aller Voraussicht nach wird sich diese Lage mittelfristig nicht ändern. Und die Nachricht über diesen Umstand wird dafür sorgen, dass die Situation so bleibt. Denn das Wissen über die „großen Defizite bei Beruf und Bildung“ hat sich zum stärksten Benachteiligungsfaktor entwickelt. „Stereotype Threat“ nennt man auf gut Deutsch eine negative Dynamik des Vorurteils, bei der die Erwartung einer schlechten Leistung die zentrale Bedingung dafür ist, dass sie auch eintritt. Lehrer und Lehrherren erwarten, weil sie ja nichts Anderes hören, wenig von Migrantenkindern und –jugendlichen und ihre reduzierte Erwartung zwingt die Kinder dazu, sich mit ihrem negativen Image auseinander zu setzen. Darauf verwenden sie ihre Energie, wollen Misserfolg vermeiden – und kommen erst gar nicht zum Lernen. Und eine ganze Reihe von ähnlichen Verarbeitungsprozessen ist zu beobachten.

Damit Jugendliche mit Migrationshintergrund eine Lehrstelle erhalten, müssen sie im Schnitt deutlich bessere Schulleistungen und Noten vorzeigen als ihre einheimischen Altersgenossen. Die Nachrichten über ungleiche Bildungschancen werden gelegentlich motiviert mit dem Bewusstsein und der Intention, Abhilfe schaffen zu wollen. Das Gegenteil wird erreicht, weil das Stereotyp vom schulisch schlechten Ausländerkind und -jugendlichen neue Nahrung erhält. Zufall?

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Der Integrations-Indikatorenbericht vergleicht u.a. Deutsche mit Ausländern. Deutschland hat seit 1955 Arbeiter und Arbeiterinnen ins Land geholt und tut es auch heute noch: vom Gastarbeiter zum Saisonarbeiter. Diese Bevölkerungsgruppe mit den Einheimischen zu vergleichen heißt: Birnen mit Äpfeln zu vergleichen, Professorentöchter mit den Söhnen von un – und angelernten Arbeitern. Diese „Integration“ als tatsächliche Gleichheit, die auf dem pauschalen Vergleich beruht, wird nie stattfinden. Abgesehen davon, dass der mit den Ausländern (oder auch den Menschen mit Migrationshintergrund) vergleichbare Bevölkerungsteil der Einheimischen nicht integriert zu sein scheint. Denn auch da gibt es viele Menschen ohne Abitur, ohne Studium usw. und solche, die nicht im öffentlichen Dienst beschäftigt sind. Welch eine unsinnige Prämisse charakterisiert also den Vermessungsvergleich. Spätestens bei der höheren Kriminalität der Ausländer müssen die Wissenschaftler anfangen, spezifische Bedingungen der Lebenslage in Rechnung zu stellen, damit sie nicht die Wahlpropaganda der Republikaner replizieren.

Doch die Problemursachen liegen noch tiefer, sie sind politisch.

Der Nationale Integrationsplan („Kurzfassung für die Presse“) wird eingeleitet mit dem Satz: „Unser Land blickt auf eine lange und prägende Migrationstradition mit zahlreichen Beispielen erfolgreicher Integration zurück.“ Es ist weniger entscheidend, was hier gesagt wird, sondern wie. Es handelt sich um das Land derer, die hier sprechen, die also als Verfasser des Integrationsplans von „unserem“ Land reden. Ihnen gehört das Land und sie bestimmen, was Integration, zumal erfolgreiche, sei. Der Habitus des Landbesitzers bestimmt den Sinn einer solchen Redeweise. Das „Wir“ („neben unseren Wertvorstellungen und unserem kulturellen Selbstverständnis unsere freiheitliche und demokratische Ordnung….“ heißt es dann weiter) verfügt die Ordnung, in die die Anderen („sprechen nur ungenügend Deutsch“) sich einfügen dürfen. „Deutschland ist Integrationsland“ – heißt es im Programm der CDU. Die deklarative Verfügung durch den Herr bzw. die Frau im Hause macht unwiderruflich klar, wer Subjekt und wer Objekt der Integration ist. Man kann dann von „Dialog auf Augenhöhe“ reden und Freundlichkeiten verlautbaren – wer dem widerspricht oder eine eigene Meinung formuliert, hat immer schon unrecht.

In der Realisierung dieser Grundstruktur ist mit Hilfe von Wissenschaft und Bevölkerungsstatistik eine einzigartige, aber totalisierende Phantasie entstanden: Die vollständige Vermessung der migrantischen Bevölkerung. Diese setzt sich aus Ausländern und anderen Menschen mit Migrationshintergrund zusammen. Dieser Teil der Bevölkerung wird definiert (abstammungstheoretisch über drei Generationen nach gut volksdeutscher Tradition), von der übrigen Bevölkerung statistisch separiert und dann mit der Gesamtbevölkerung verglichen. Meinung Politik

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  1. Sugus sagt:

    „Der Nationale Integrationsplan („Kurzfassung für die Presse“) wird eingeleitet mit dem Satz: „Unser Land blickt auf eine lange und prägende Migrationstradition mit zahlreichen Beispielen erfolgreicher Integration zurück.“ Es ist weniger entscheidend, was hier gesagt wird, sondern wie. Es handelt sich um das Land derer, die hier sprechen, die also als Verfasser des Integrationsplans von „unserem“ Land reden. Ihnen gehört das Land und sie bestimmen, was Integration, zumal erfolgreiche, sei. Der Habitus des Landbesitzers bestimmt den Sinn einer solchen Redeweise. Das „Wir“ („neben unseren Wertvorstellungen und unserem kulturellen Selbstverständnis unsere freiheitliche und demokratische Ordnung….“ heißt es dann weiter) verfügt die Ordnung, in die die Anderen („sprechen nur ungenügend Deutsch“) sich einfügen dürfen.“
    Und das alles ist selbstverständlich, und wird gerade in klassischen Einwanderungsländern sehr strikt gehandhabt. Denn wenn „Deutschland“ – unser Land! – weder das Land der Deutschen ist, noch das Land, in dem Deutsch gesprochen wird, sollten wir es konsequenterweise in „Multikulti-Land“ umbenennen. Dann haben wir auch kein Problem damit, wenn sich 500 Millionen Chinesen, 50 Millionen Brasilianer – oder eben 10 Millionen Türken hier ansiedeln wollen.
    In meinem Haus habe ich das Hausrecht. Darüber gibt es keine Diskussion. Punkt. Wer das anzweifelt, setzt sich bereits in den Status eines Einbrechers oder Hausfriedensbrechers.