Medien

Vorbildliche Berichterstattung!

Vergangene Woche wurde Deutschland Zeuge eines brutalen Mordes. Während einer Gerichtsverhandlung vor dem Dresdener Landgericht stach der Angeklagte mit einem Messer mindestens 18 Mal auf eine schwangere Mutter ein, die als Zeugin auftrat. Der ihr zur Hilfe herbeigeeilte Ehemann wurde vom Täter ebenfalls mit mehreren Messerstichen schwer verletzt und wurde zudem von einem Sicherheitsbeamten angeschossen, der ihn irrtümlich für den Täter hielt. Die Frau starb kurze Zeit später vor den Augen des verletzten Ehemannes und des dreijährigen Sohnes.

Von Montag, 06.07.2009, 6:35 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 05.09.2010, 23:36 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Ein höchst dramatisches Szenario. Entsprechend berichteten viele Magazine und Zeitungen darüber. Erfreulicherweise sachlich, kühl und bemerkenswerter Weise so, wie es der Pressekodex – eine Sammlung journalistisch-ethischer Grundregeln, vorsieht. Danach ist unter anderem darauf zu achten, dass die Presse keine religiösen, weltanschaulichen oder sittlichen Überzeugungen schmäht, keine Sensationsberichterstattung betreibt oder niemanden diskriminiert. Bei Berichterstattungen über Straftaten soll zudem die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt werden, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht.

Im folgenden einige Schlagzeilen von mehr oder weniger renommierten – aber großen – Blättern: „Täter in Dresdner Gericht stach 18 Mal zu“ 1, „Haftbefehl wegen Mordes erlassen“ 2, „Zeugin von Angeklagtem vor Gericht erstochen“ 3, „Angeklagter ersticht Zeugin im Gericht“ und „Ermordete 32-jährige Zeugin war schwanger“ 4, „Der Platz auf der Schaukel“ 5, „Wir stehen alle unter Schock“ 6.

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Keines der hier beispielhaft aufgeführten Schlagzeilen lässt auf die Herkunft oder auf die Religion der Opfer oder die des Täters schließen. Insbesondere der letztgenannte Artikel könnte als Musterbeispiel für journalistisch-ethische Arbeit herhalten. Es wird penibel genau darauf verzichtet, den Täter oder den Opfer in eine bestimmte Ecke zu rücken. Selbst längst bekannte und von anderen Medien verbreitete Hintergründe werden ausgeblendet: Keine vermeintlichen Motive, keine Hetze, keine Verunglimpfung von Personen, Religionen, Abstammung oder Herkunft – einfach nur vorbildlich. Vielmehr wird über Sicherheitsstandards in Gefängnissen diskutiert. Selbst auf die Gefahr hin, aus einem solch reißerischen Fall keinen Profit schlagen zu können, halten sich die Redaktionen zurück. Und sogar die Bild-Zeitung, die bisher nicht selten vom Presserat gerügt wurde, spielt mit.

Eine Probe aufs Exempel meiner Wenigkeit ergab – eine natürlich nicht repräsentable Umfrage, in meiner näheren Umgebung, dass es tatsächlich Menschen gibt, die von diesem Fall nichts wissen. So sachte und sachlich wurde wohl kaum ein vergleichbarer Fall von der Presse gehandhabt. Dabei sind die Herkunft und Motive des Täters das Besondere an diesem Fall. Ein Migrant tötet eine schwangere Mutter aufgrund seiner offensichtlichen Intoleranz anderen Religionen gegenüber. Dies ist ein Holz, aus dem reißerische Schlagzeilen in deutschen Redaktionsstuben geschnitzt werden.

Eine weitere Besonderheit dieses Falles liegt darin, dass das Opfer eine Kopftuchtragende Muslima ist und der Täter – ein Russlanddeutscher – sie in der Vergangenheit wie kurz vor der Tat mit „Terroristin“, „Islamistin“ oder „Schlampe“ beschimpft und ihr das Lebensrecht abgesprochen haben soll („Du hast kein Recht, zu Leben“). Laut Frankfurter Rundschau – eine der wenigen Zeitungen, die sich in diesem Fall weniger an den Pressekodex gehalten hat – teilte die Staatsanwaltschaft über den Täter mit, dass er ein „notorischer Ausländerhasser“ ist. Trotz dieser Fülle an Versuchungen, bleiben die Redaktionen standhaft.

Man ist geneigt, sich über diese Standhaftigkeit zu freuen, wenn man die Frage loswerden könnte, wie wohl die Schlagzeilen gelautet hätten, wenn ein ägyptischer Muslim eine schwangere russlanddeutsche Mutter im Gerichtssaal aus religiösen und rassistischen Motiven getötet hätte. Ob die Schlagzeilen dann auch keinerlei Hinweise auf die Religion und Herkunft des Täters gegeben hätten? Ob die schwangere Mutter als „russlanddeutsche“ bezeichnet worden wäre?

Auch stellt sich die Frage, wie wohl über den herbeigeeilten Sicherheitsbeamten berichtet worden wäre, der den falschen angeschossen hat oder weshalb er überhaupt davon ausging, der dunkelhäutige Ägypter könnte der Täter sein. Weil eine kopftuchtragende Frau blutüberströmt am Boden lag? Fragen, die man nicht beantworten und Szenarios, die man nicht weiter ausmalen möchte.

Nach dem Dresdener Mordfall müssen Politiker...
    gar nichts tun. (76%)
    die Tat öffentlich verurteilen. (12%)
    Strafgesetzbuch bei fremdenfeindlichen Straftaten verschärfen. (7%)
    islamfeindliche Internetseiten sperren. (5%)
     
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    Fest steht: Die hier aufgeführte weitestgehend pressekodexkonforme Art der Berichterstattung muss zur Regel werden. Die Medien müssen sich ihrer gesamtgesellschaftlichen Verantwortung wieder bewusster werden. Ihr medialer Einfluss auf die Meinungsbildung der Rezipienten ist enorm und durch zahlreiche Studien belegt. Die Tat des Einzelnen, ob Ausländer, Deutscher, Christ oder Muslim, lässt keine Rückschlüsse auf die übrigen derselben Herkunft oder Religionszugehörigkeit zu und muss auch so präsentiert werden, dass der Rezipient nicht bereits aufgrund der Aufmachung oder der reißerischen Schlagzeile – quais automatisch – eine falsche Schlussfolgerung zieht. Sonst kommt zu Recht die Frage auf, welchen Anteil die Medienmacher am Blutbad haben.

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