MeTwo, Hashtag, Twitter, Rassismus, Diskriminierung
Unter dem Twitter-Hashtag "MeTwo" berichten Betroffene über Alltagsrassismus © MiG

#MeTwo und gaslighting

Warum Schilderung persönlicher Erfahrungen auf Ablehnung stößt

Mesut Özil hat mit der Begründung seiner Rücktrittserklärung offenbar einen Zeitnerv getroffen. Interessant waren aber nicht nur die Rassismus-Erfahrungsberichte der Bürger, sondern vor allem die Reaktionen darauf. Sie sagen viel aus. Von Lesya Skintey

Von Montag, 20.08.2018, 5:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 22.08.2018, 20:30 Uhr Lesedauer: 11 Minuten  |  

Die Resonanz der oder genauer die überraschend vielen negativen Reaktionen auf die MeTwo-Debatte, die seit einigen Wochen auf Twitter läuft, legen den Verdacht nahe, dass Mesut Özil mit der Begründung seiner Rücktrittserklärung einen offenen Zeitnerv getroffen hat. Anscheinend haben seine Worte bei einigen Mitbürger*innen bewusste oder unbewusste Verteidigungsmechanismen ausgelöst, sodass sie sich plötzlich gezwungen sahen, über die Diskriminierungserfahrungen von Özil und vielen anderen ernsthaft debattieren zu müssen.

Was ein offener und ein subtiler oder was ein alter und ein neuer Rassismus ist, soll an anderer Stelle diskutiert werden. Was mich hier interessiert, sind eben die negierenden Reaktionen einzelner Bürger*innen  auf #MeTwo-Erfahrungsberichte ihrer Mitbürger*innen. So berichten tausende Personen auf Twitter über die eigenen persönlichen oder die aus dem familiären oder Freundeskreis bekannten Erfahrungen mit dem als Alltagsdiskriminierung wahrgenommenen Verhalten der Kolleg*innen, Beamt*innen, Verkäufer*innen etc., und die Kommentare darauf lauten:

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1.Michael Leh @Michael_Leh: „Eine gute #MeTwo-Geschichte zu erzählen, bedeutet noch lange nicht, dass man nicht selber ein Rassist ist. Zuwanderer werden zum Teil ausgegrenzt, aber ihre Selbstabschottung ist oft viel entscheidender dafür, dass sie in Deutschland nie ankommen.“

2. Moni Bourdain @Rhypiratin: „Ich wurde von meim Ex verlassen, deswegen, weil ich seltsam bin, weil ich das Asperger Syndrom habe. Darf das in den #MeTwo hashtag oder muss ich noch bemerken, das ich Elsässische Wurzeln habe“

3. another migrant story. @DieMigrantin: „Man muss nicht alles unter #MeToo und #Metwo glauben. Manche Story’s dienen dazu, dass man denken soll, daß Deutsche tatsächlich alle Nazis sind. #justsaying“

4. Aino Siebert @Aino Siebert: „Ich empfinde die Debatte #MeTwo ebenfalls hysterisch […]“

5. Boris T. Kaiser für die Junge Freiheit vom 2. August 2018: „Mangelnde Selbstkritik und weinerliche Schuldzuweisungen an die deutsche Gesellschaft für das eigene Versagen. Es ist exakt diese Haltung, die sich auch in den Schilderungen vieler widerspiegelt, die derzeit unter #MeTwo über vermeintlichen Alltagsrassismus klagen.“

6. Jörg Wimalasena für die taz vom 09.08.2018: „In solchen Schilderungen zeigt sich – wie bereits bei der #meToo-Debatte um sexuelle Belästigung – ein stellenweise bedenkliches Unvermögen zur kritischen Bewertung und Einordnung der eigenen Erfahrung. […] Trotzdem trendeten Beiträge, die bestenfalls Banalitäten beschreiben.“

Es ist m.E. ohnehin ein höchst fragliches Unternehmen, über die Gefühle, Emotionen und  persönlichen Erlebnisse anderer Personen zu debattieren. Ich kann es durchaus nachvollziehen, wenn die Flüchtlingspolitik, die (Nicht-)Bekennung Deutschlands zum Selbstverständnis als Einwanderungsland  auf der politischen Ebene oder das Verschleierungsverbot in den öffentlichen Einrichtungen zur Debatte stehen. Es entzieht sich jedoch vollkommen meinem Verständnis, warum man auf die persönlichen Wahrnehmungen der anderen Person mit Einwänden und Gegenargumenten reagiert und dadurch glaubt, sie – diese andere Person – in ihrer (falschen) Wahrnehmung zu korrigieren und zu einer „richtigen“ Weltsicht bekehren zu müssen.

Umso wichtiger erscheint es, nach theoretischen Ansätzen und Konzepten zu suchen, mit denen ein solches Verhalten erklärt werden kann. In einem Interview mit Zeit Campus Online vom 11.8.2018 führt die Soziologin Robin DiAngelo solche abwehrenden Haltungen und Reaktionen der weißen Mehrheitsgesellschaft auf white fragility („weiße Zerbrechlichkeit“) zurück, ein Phänomen, das beschreibt, warum Weiße mit der Ablehnung auf Hinweise auf ihre „weiße Überlegenheit“ reagieren: Dadurch wird versucht, das „unangenehme Gefühl“, mit der eigenen – oft nicht bewussten – Überlegenheit konfrontiert zu werden, zu beenden. DiAngelo fasst white fragility als „ein[en] mächtige[n] Weg“ auf, „um people of color auf ihren Platz zu verweisen – und Weiße in ihrer gesellschaftlichen Machtposition zu halten“. In der Ablehnung und in dem Klein- und Wegreden der rassistischen Alltagserfahrungen von people of color sieht sie ebenso eine Form von Rassismus.

Dies ist eine soziologische Perspektive. Dabei finde ich die psychologische Perspektive auf das Phänomen der Ablehnung von Rassismuserfahrungen der anderen nicht weniger interessant und perspektivisch sogar mehr vielversprechender, um in einen konstruktiven Dialog zu kommen, der sich auf das Hier-und-Jetzt bezieht und nicht auf internationalisierte und erstarrte weiße Denkmuster verweist, die einer persönlichen Aufarbeitung nur schwer zugänglich zu sein scheinen (dies sollte jedoch keinesfalls als Kritik an traditionellen Erklärungsansätzen verstanden werden). Ein anderer Grund für die Notwendigkeit der Suche nach neuen Erklärungsansätzen ist die Beobachtung, dass es nicht ausschließlich Weiße sind, die das subjektiv Erfahrene der anderen people of color in Frage stellen, sondern auch Personen mit „sichtbarem Migrationshintergrund“ (wie die Beispielkommentare 3 und 6 zeigen). Im Folgenden soll das psychologische Phänomen gaslighting als ein alternativer Erklärungsansatz vorgestellt und seine Übertragung auf soziale Prozesse diskutiert werden.

Gaslighting in der Psychologie

Bei einem ähnlichen Verhalten zwischen den Ehepartner*innen oder Kolleg*innen würde man in der Psychologie von gaslighting sprechen. Der Begriff geht auf das Theaterstück Gaslight des britischen Regisseurs Patrick Hamilton und die 1940 und 1944 erschienenen Verfilmungen zurück, in denen der Ehemann durch verschiedene emotionale Manipulationen seine Ehefrau dazu bringt, an der Adäquatheit der eigenen Realitätswahrnehmung zu zweifeln. In den 80er Jahren hat der Begriff gaslighting in die psychotherapeutische Praxis sowie in den alltäglichen Sprachgebrauch den Eingang gefunden 1. In der Psychologie wird darunter eine Form psychischer bzw. emotionaler Gewalt verstanden, die sich gegen eine andere Person richtet: Der Gaslighter versucht in seinem Gegenüber das Gefühl zu erwecken, dass seine (des Gegenübers) Reaktionen, Wahrnehmungen, Erfahrungen und Sichtweisen nicht nur fehlerhaft, sondern komplett unbegründet sind 2.

Für ein Gaslighting in Beziehungen sind beispielsweise folgende Äußerungen typisch: „Du bist verrückt. Sei nicht so empfindlich. Sei doch nicht paranoid. Das war nur ein Scherz. Das bildest du dir nur ein. Das hat doch keine Bedeutung. Du hast wieder überreagiert. Das ist niemals passiert. Ich mache mir Sorgen: Ich denke dir geht’s nicht gut.“ 3.

Die zwischenmenschliche bestätigende und anerkennende Beziehung ist, so Abramson, für das menschliche Dasein ganz grundlegend, besonders in den als schwierig wahrgenommenen Situationen. Wenn die Anerkennung einem aber absichtlich vorenthalten oder jemandes Protest gegen ein Fehlverhalten vehement als gegenstandlos abgelehnt wird, liegt ein Gaslighting vor 4. Dabei muss sich die manipulierende Person ihres Handelns nicht unbedingt bewusst sein oder mit ihren Handlungen ein klares Ziel verfolgen 5. Laut der Forscherin können dem Gaslighting viele verschiedene Motive oder Ziele zu Grunde liegen. So kann z.B. die Ablehnung einer Diskriminierungserfahrung einer anderen Person auf den Wunsch nach einer Harmonie, die Orientierung an Autoritäten oder den Wunsch, bestehende Machtstrukturen aufrechtzuerhalten, zurückgeführt werden 6. Es ist wichtig hervorzuheben, dass Gaslighting kein einmaliges Vorkommen bezeichnet, sondern mehrere Ereignisse, die sich über einen gewissen Zeitraum vollziehen, in welchem die Einwände der/des Gaslightee wiederholt ignoriert oder zurückgewiesen und alle Möglichkeiten, die eigene Sicht zu hinterfragen, von vornherein ausgeschlossen werden 7. Abramson bringt es auf den Punkt: „The central desire or aim of the gaslighter […] is to destroy even the possibility of disagreement […]“ 8. Laut der Philosophin entsteht Gaslighting oft in den von – strukturellen oder persönlichen – Machverhältnissen geprägten Beziehungen 9.

Vor diesem Hintergrund illustrieren die eingangs angeführten Zitate aus #MeTwo-Debatte eindrücklich, wie den Angesprochenen moralische Einschätzungskompetenz und Handlungsfähigkeit komplett abgesprochen werden. Mit dem Gaslighting-Konzept könnte die ablehnende Haltung der Hinterfragenden der #MeTwo-Bewegung als solche beschrieben werden, die nicht anerkennen oder zulassen will, dass es Personen gibt, die – aufgrund persönlicher diskriminierender Erfahrungen – eine andere Meinung bzw. Position haben. Vielmehr werden deren Narrationen als „hysterisch“ und „banal“ abgewertet und den sich Mitteilenden wird auf diese Weise die Position als rational handelnde Agent*innen aberkannt.

***

Eine Person sagt: „Ich habe mich als nicht-zugehörig gefühlt, als ich nach meiner Herkunft gefragt wurde“.

Der Gaslighter sagt: „Das stimmt doch gar nicht.  Es gibt keinen Rassismus, den bildest du dir nur ein. Schon wieder die Rassismus-Keule. Das Problem liegt an dir und deiner falschen Wahrnehmung. So versuchst du dein Versagen rauszureden.“

Mögliches Ergebnis: Die Person zweifelt an ihrer Realitätswahrnehmung und äußert sich nicht mehr. Wenn es keinen Widerstand gegen den Alltagsrassismus gibt, gibt es auch keinen Alltagsrassismus.

Der Gaslighter sagt: „Das habe ich doch immer gesagt, es gibt keinen Alltagsrassismus. Es waren nur Phantasien.“

Gaslighting als konzeptueller Rahmen zur Beschreibung soziohistorischer und aktueller rassistischer Praktiken

Bei meinen Recherchen zum Gaslighting habe ich entdeckt, dass die Idee, gesellschaftliche Diskriminierungspraktiken mit dem psychoanalytischen Konzept des Gaslighting zu erklären, nicht neu ist. Im anglo-amerikanischen Raum sind in den letzten Jahren Publikationen erschienen,  die sich mit dem Gaslighting nicht nur auf der Mikroebene (zwischenmenschliche Beziehungen), sondern auch auf der Makroebene (Politik) beschäftigen und dabei explizit von sociohistorical gaslighting 10 oder racial gaslighting 11 sprechen. Durch die „soziopolitische Kontextualisierung zwischenmenschlicher Beziehungen“ wird versucht, zu rekonstruieren, wie „weiße Überlegenheit“ aufrechterhalten wird 12. Eine besondere Bedeutung wird in diesem Prozess der Entstehung, Verbreitung und Aufrechterhaltung besonderer Narrationen 13 (visueller und textueller Darstellungen) beigemessen, die einerseites die Existenz der auf der weißen Überlegenheit basierenden Machtstrukturen verschleiern und andererseits jeglichen Widerstand unmöglich machen 14.

So kommen die amerikanischen Bildungsforscherinnen Roberts/Andrews durch die Analysen bildungspolitischer Entscheidungen der 50er-70er Jahre in den USA (nach der Aufhebung der  Rassentrennung an öffentlichen Schulen) zum Schluss, dass „a sociohistorical gaslighting against Black educators has yielded a culturally reified designed identity rooted in rhetoric and practices that presume their (much like that of African American students) undesirability, incompetence, and general lack of interest in and/or commitment to education“ 15. Interessanterweise fungierten Schwarze Lehrkräfte in dem damaligen Gaslighting-Projekt der – auf die Aufrechterhaltung der weißen Überlegenheit abzielenden – Politik nicht als Gaslightees (Subjekte, an die sich das Gaslighting richtete), sondern als Mittel oder Objekte des Gaslightings, um die weiße Mehrheitsgesellschaft in der Wahrnehmung von afroamerikanischen Lehrer*innen (als weniger gut qualifiziert und unmotiviert) zu täuschen und sich dadurch ihre Unterstützung zu sichern 16. Laut der  Autorinnen werden solche „designten Identitäten“ auch heutzutage (re-)produziert, indem afro-amerikanische Lehrkräfte in laufenden Diskursen als Außenseiter*innen und Unqualifizierte fremdpositioniert werden, ohne dass die soziohistorischen Faktoren, die zur  Unterpräsentation der schwarzen Lehrkräfte an amerikanischen Schulen geführt haben könnten, erwähnt werden 17.

Ähnlich stellen Davis/Ernst in ihrem Artikel fest, dass racial gaslighting ein andauernder Prozess seitens weißer Mehrheitsgesellschaft ist, mit dem auf den individuellen und kollektiven Widerstand von people of color reagiert wird: „[R]acial gaslight [is] the political, social, economic and cultural process that perpetuates and normalizes a white supremacist reality through pathologizing those who resist […]“ 18. Für Davis/Ernst stellen „das Überleben, die Existenz, das Durchhaltevermögen und/oder Erfolg der people of color einen Akt des Widerstands dar, der sowohl auf der Mikro- als auch auf der Makroebene Ziel des rassischen Gaslightings werden kann“ 19.

In der klaren Benennung und der Enthüllung der Prozesse des historischen und gegenwärtigen rassischen Gaslightings sehen die Autorinnen der beiden Aufsätze die Chance, eine gemeinsame Sprache und Strategien zu entwickeln, mit denen die verschleierte systemische Gewalt (weiße Überlegenheit) und deren Manifestationen in Frage gestellt werden können 20.

Fazit

Was bedeutet das Wissen um racial gaslighting für die #MeTwoDebatte?

Erstens, dass Gefühle, Narrationen und Positionen der Mitmenschen wahrzunehmen, ernst zu nehmen und zu respektieren sind: „Ich habe dich gehört und verstanden“, „Du hast Recht, so zu fühlen, wie du fühlst, und so zu reagieren, wie du reagierst“.

Zweitens, dass wir uns gemeinsam überlegen sollten, was wir daraus lernen können und wie wir miteinander im Dialog bleiben, ohne dass eine Partei dabei ignoriert, ausgegrenzt, marginalisiert, entmündigt, zum Schweigen gebracht oder in ihrer Selbstwahrnehmung zerstört wird.

Und drittens, dass wir junge Generationen für solche Aspekte wie racial gaslighting sensibilisieren und ihnen effektive Strategien für den selbstsicheren Umgang damit vermitteln müssen.

Und ja, ich habe einen mehr oder weniger sichtbaren „Migrationshintergrund“.

  1. vgl. Abramson, Kate (2014): Turning up the lights on gaslighting. In: Philosophical perspectives, 28, Ethics, 1-30 (URL: https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1111/phpe.12046, letzter Abruf am 14.08.2018).
  2. vgl. ebd.
  3. vgl. ebd., 1
  4. vgl. ebd., 6
  5. ebd., 2
  6. ebd., 9
  7. vgl. ebd., 11
  8. ebd., 10
  9. Abramson 2014, 19
  10. Roberts, Tuesda;  Andrews, Dorinda J. Carter (2013): A critical race analysis of the gaslighting against African American Teachers, 69-94 (URL: http://dcarter.wiki.educ.msu.edu/file/view/Roberts+%26+Carter+Andrews+-+Gaslighting+of+African+American+teachers.pdf, letzter Abruf am 14.08.2018).
  11. Davis, Angelique M.; Ernst, Rose (2017): Racial gaslighting. In: Politics, groups, and identities, 1-14.
  12. Davis/Ernst 2017, 3
  13. Davis/Ernst bezeichnen solche Narrationen als „racial spectacls“ (2017, 3).
  14. ebd.
  15. Roberts/Andrews 2013, 70f.
  16. ebd., 81
  17. ebd., 71
  18. Davis/Ernst 2017, 3
  19. ebd., 11
  20. vgl. ebd., 1
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  1. Wiebke sagt:

    Meiner Ansicht nach ist es nicht erforderlich, hier weit ausgreifende psychologische Analysen zur Erklrärung anzuführen. Ausgrenzungserfahrungen durch Rassismus oder Fremdenfeindlichkeit sind für die Menschen schlicht nicht nachvollziehbar, die sie an eigener Haut nie selbst erlebt und die kaum jemals in einem für sie fremden Land gewohnt haben. Manchmal reicht für solche Erfahrungen schon ein Umzug von Deutschland in die Schweiz, habe ich mir von betroffenen Deutschen berichten lassen.

  2. Kai Diekelmann sagt:

    M.E. können die zu Beginn gelisteten Zitate kaum herhalten für gaslighting. Die Reaktionen stellen doch nicht die geäußerten Wahrnehmungen als solche in Frage. Es sind eher Anfragen an das Täter-Opfer-Schema, das den me-two-Schilderungen zugrunde liegt. Dabei geht es manchen offenbar darum, eigene Verletztheit öffentlich und damit für sich selbst verarbeitbar zu machen; anderen geht es darum klarzumachen, welche Bemerkungen ausgrenzend und verletzend wirken (können). Anderen geht es um Anklagen, wieder anderen um die Umkehrung der Machtverhältnisse zugunsten der Opfer. Beispiel der Kommentar von Wiebke: wer nicht selbst zur Opferkohorte gehört, kann gar nicht nachvollziehen, was den Opfern widerfährt.
    Nochmals zu den Anfangszitaten: das scheinen mir Entgegnungen auf die zuletzt genannten me-two-Schilderungen zu sein und keine gaslighting-Beispiele.

  3. Deniz sagt:

    Ein fundiert recherchierter Artikel und eine gute Transfer-Leistung zur Psychologie des Gaslighting! Nur eine Anmerkung: Ich hatte die Kernaussage aus dem Kommentar von Jörg Wimalasena in der taz über die #MeToo – Debatte ganz anders verstanden: Ihm ging es vielmehr darum aufzuzeigen, dass #MeToo ein Elitendiskurs ist, an dem sich auch nur ein gewisser Ausschnitt von Menschen mit Migrantionsgeschichte beteiligen können. Es würde eben die Gesamtbevölkerung der Menschen mit Mitgrationsgeschichte in keinster Weise repräsentieren und zudem eine weitere Plattform für dijenigen bieten, die sowieso schon eine Stimme haben. Die Kritik richtete sich vor allem daran aus, dass aus einer persönlichen Erfahrung einiger ein Phänomen für die Masse konstruiert wird. Eine Masse, die er nicht repräsentiert sieht in der Twitter- und Instagram-Community….

  4. Ute Plass sagt:

    Dass Menschen ihr Erleben von Diskriminierung, Abwertung und Gewalt – und die daraus resultierenden Verletzungen- öffentlich machen kann ich gut nachvollziehen. Gemäß einem Slogan der Frauenbewegung: „Das Private ist politisch“, braucht es über das Klagen und Anklagen hinaus eine Art von Selbstermächtigung, die herausführt aus Ohnmacht- und Opferbefindlichkeiten. MeTwo verstehe ich dahingehend als Anstoss sich auch gesellschaftspolitisch einzubringen. Ali Can, der den Hashtag ‚MeTwo‘
    gegründet hat, plant mit anderen Engagierten ein *VielRespektZentrum*
    in Essen, in dem es Workshops u. Ausbildung von Friedensstiftern geben soll: http://www.vielrespektzentrum.de/

    In seinem Buch „Hotline für besorgte Bürger“ schreibt Can:
    „Seit ich eine Haltung des Miteinanders eingenommen habe, ist mir klar, dass wir eine Wende in der Rassismus- und Vorurteilsbekämpfung brauchen. Rassismus sollte man bekämpfen. Rassisten hingegen nicht.“

    .

  5. Ute Plass sagt:

    Ob „Gaslighting als konzeptueller Rahmen zur Beschreibung soziohistorischer und aktueller rassistischer Praktiken“ taugt, bezweifle ich. Für zielführender im Sinne von Abbau von Vor-urteilen und Bewußtwerden eigener Denk- und Gefühlsweisen halte ich die Praxis offener und gewaltfreier Kommunikation.
    Eine Haltung und Kulturtechnik, die zur Selbstreflexion anleitet und daher auch auf den ‚Stundenplan‘ von Schulen und Bildungseinrichtungen gehört.
    Ich bin überzeugt davon, dass ‚Bewußtseinsarbeit‘ wesentlich dazu beitragen kann Opfer-Täter-Zuschreibungen und gegenseitige Vorwurfshaltungen aufzulösen.

  6. Lesya sagt:

    Ich stimme Ihnen zu, dass eine selbstreflektierende Haltung und Techniken einer offenen und gewaltfreien Kommunikation hierzu ein erster Schritt sein können. Jedoch eher auf der Ebene der alltäglichen zwischenmenschlichen Kommunikation. Auf der gesellschaftspolitischen Ebene bräuchten wir dagegen fundierte konzeptuelle Gerüste, um verschleierte manipulierende Handlungen zu erkennen und aufzudecken. Um die Frage zu beantworten, ob und welche politischen, sozialen, wirtschaftlichen oder kulturellen Ereignisse und Prozesse in der deutschen Geschichte und Gegenwart mit dem soziohistorischen oder rassischem Gaslighting beleuchtet werden können, bedarf es sicherlich weiterer Forschung.

  7. Lesya sagt:

    Das Opfer-Täter-Schema finde ich in diesem Zusammenhang zu reduktionistisch. Für mich präsentieren sich die Rassismus-Erfahrungen-(Mit)Teilenden nicht als Opfer und wollen auch nicht als solche angesehen werden, sondern als gleichberechtigte Agenzien (wirkende, handelnde, tätige Subjekte). Erst in der Debatte werden sie in die Opfer-Rolle gedrängt. In den neuesten Veröffentlichungen zu Gaslighting wird statt „Opfer“ von „Ziel des Gaslightings“ oder „Gaslightee“ gesprochen und das sind meist Personen, die (bereits) einen Widerstand leisten oder eine gleichberechtigte bzw. höhere Position anstreben. Es geht für die Gaslightees nicht um die Erweckung des Mitleids, sondern um die Wiederherstellung der eigenen Wahrnehmungs- und Handlungsfähigkeit.

  8. Ute Plass sagt:

    „Rassismus braucht Hierarchie“
    sagt der Historiker u. Rassismus-Forscher Christian Geulen
    in u.a. lesens- bzw. hörenswerten Beitrag:

    https://www.deutschlandfunkkultur.de/von-apartheid-bis-pegida-die-renaissance-des-rassismus.990.de.html?dram:article_id=426458