Wohlfahrtspflege

Von der Moscheegemeinde zum Träger sozialer Arbeit

Seit den Ereignissen am 11. September 2001 ist der gesellschaftliche „Anforderungskatalog“ an die Migrantenselbstorganisationen massiv angewachsen. Insbesondere Moscheegemeinden sind in den Fokus dieses erstarkten öffentlichen Interesses geraten und wurden zu einem der Hauptpartner einer gesamtgesellschaftlichen Kooperationsdynamik gemacht, der sie nur bedingt gewachsen sein konnten.

Von Samy Charchira Freitag, 28.11.2014, 7:21 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 30.11.2014, 20:04 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Moscheegemeinden müssen einen gewaltigen strukturellen, konzeptionellen, methodischen und körperschaftlichen Transformationsprozess leisten, damit eine Reihe von gewachsenen gesellschaftlichen Anforderungen befriedigt werden können. Moscheegemeinden sollen sich nicht länger auf ihre vielen klassischen Tätigkeitsfelder beschränken, sondern sich auch um die Implementierung von handfesten sozialpädagogischen Dienstleistungen wie die Stärkung von Erziehungskompetenzen muslimischer Eltern, Jugend- und Bildungsarbeit oder die Bekämpfung von antidemokratischen Tendenzen.

Dabei wird gerne übersehen, dass Moscheegemeinden weder über ausreichende Mittel und Ressourcen noch über zwingend notwendige Kompetenzen verfügen, um diese großen Erwartungshaltungen bedienen zu können. Nicht wenige Moscheegemeinden haben hier bereits ihre Grenzen hinsichtlich mehr Mobilisierung von ehrenamtlichen Ressourcen und das Akquirieren von weiteren Spendengeldern erreicht.

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Auch aufgrund ihrer chronischen Unterfinanzierung haben Moscheegemeinden kaum die Möglichkeit professionelle Arbeits- und Mitarbeiterstruktur zu schaffen, die Zugangsbarrieren zur Infrastruktur sozialpolitischer Fördermaßnahmen beheben können. Moscheegemeinden sind von diesen Tendenzen stärker betroffen. In den meisten Fällen verfügen Sie nicht über die Anerkennung als freier Träger der Kinder- und Jugendhilfe und bleiben von einer Reihe von Fördermöglichkeiten und Regelfinanzierungen ausgeschlossen.

Selbstbewusstes muslimisches Leben

Trotz alledem hat der gesellschaftliche Disput um das Thema Islam in Deutschland zu einem beachtlich gewachsenen Selbstbewusstsein von Muslimen in unserer Gesellschaft geführt. Vor allem Muslime der zweiten und insbesondere der dritten Generation verstehen sich immer mehr als zivilgesellschaftliche Akteure und beanspruchen für sich eine adäquate Teilhabe an gesellschaftlichen Ressourcen wie Arbeit, Bildung, Wohnung, Kultur, Gesundheit und Politik. Dieser Prozess ist nahezu unumkehrbar und wird durch den demographischen Wandel unserer Gesellschaft zementiert.

Transformation zum sozialen Dienstleister

Moscheegemeinden, die den Transformationsprozess zum sozialen Dienstleister gestalten wollen, stehen heute vor einer Reihe von Fragestellungen und Aufgaben. Sie müssen nicht nur das Verständnis für eine hauptsächlich auf Bedarfsdeckung orientierte soziale Arbeit aufbringen, sondern auch die eigene Angebotsstruktur (nicht nur gegenüber dem eigenen Klientel) ausbauen, mehr Handlungsmöglichkeiten zur Reaktion auf gesellschaftliche Geschehnisse entwickeln und sich um die Implementierung von Qualitätsstandards, Organisationsstrukturen und Professionalität konzentrieren. Sie müssen ihre wichtige Arbeit auf wissenschaftliche Grundlagen sozialpädagogischen und sozialtätigen Handelns stellen und sich im Spannungsfeld zwischen sozialstaatlicher Intervention und einer subsidiarisch geregelten Wohlfahrtsarbeit, die auf die Autonomie der Individuen abzielt und ihre Teilnahme am öffentlichen Leben sichert. Sie brauchen deutlich bessere Strukturen in ihren sozialräumlichen Verortungen und ausgebildete Fachkräfte im Haupt-, Neben- und Ehrenamt.

Notwendigkeit eine Qualifizierungsoffensive

Um das zu erreichen, brauchen Moscheegemeinden zwingend eine groß angelegte und tief greifende Qualifizierungsoffensive, die sie befähigen könnte, die geforderten Qualitätsstandards einer professionellen sozialen Arbeit einzuhalten. Selbstverständlich muss sich diese Qualifizierungsoffensive nach den individuellen Bedürfnissen der einzelnen Gemeinden richten, hinsichtlich fehlender Expertise, Knowhow, Fortbildung, Qualifizierung und Begleitung.

Die Qualifizierungs- und Fortbildungsmaßnahmen können unmittelbar, effektiv und effizient dazu führen, dass die vielen Moscheegemeinden endlich in die Lage versetzt werden, die gemeinschaftlich verabredeten Integrationsstandards zu erfüllen und ein adäquates professionelles Richtmaß in ihrer bisherigen integrativen und interkulturellen Arbeit einzuführen und mittelfristig zu einem uneingeschränkten Träger sozialer Arbeit zu wachsen.

Damit wird für Muslime in Deutschland eine echte gesamtgesellschaftliche soziale Partizipation gewährleistet. Viele Sozial- und Bildungsfragen unserer Einwanderungsgesellschaft können effektiv und effizient gestaltet werden. Der gesellschaftliche Frieden wird nachhaltig gesichert. Aktuell Meinung

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