Servus Bosporus

Ob sie sich deutsch oder türkisch fühlt, hängt von der Situation ab

Deniz Ova ist hochqualifiziert, motiviert, attraktiv. In Deutschland war sie ein strahlendes Beispiel für gelungene Integration. Doch dann entschied sich die Kulturschaffende auszuwandern: weil sie es kann.

Von Ariana Zustra Montag, 03.02.2014, 8:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 05.02.2014, 7:26 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Im Jugenstilbau blinken die Kronleuchter, schimmert der Marmorboden, glänzt das Treppengeländer wie in einem Wiener Kaffeehaus. Doch Deniz Ova überstrahlt alles. „Wir können doch Du sagen!“ Sie lädt auf eine spontane Führung durch die Räume des Istanbul Kültür Sanat Vakfi (IKSV) ein, der Kulturstiftung für Kunst, Musik, Tanz, Theater. Hier ist ihr Arbeitsplatz, seit Ova 2007 nach Istanbul gezogen ist.

Auf dem Weg zu ihrem Büro plänkelt Ova mit einem Besucher im Aufzug, plaudert mit einer Kollegin und schenkt den Barmännern des Restaurants mit Dachterrasse ein Lächeln. Nebenbei informiert sie über Skulpturen und Gemälde von zeitgenössischen türkischen Künstlern. „Dieses Kunstwerk hat uns Füsun Onur geliehen, eine sehr renommierte Künstlerin. Sie ist eine liebe alte Dame“, schwärmt sie.

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Deniz Ova, 34, geboren und aufgewachsen in Esslingen, studierte in Stuttgart Politik und Linguistik. Während einer Hospitanz bei einem deutsch-türkischen Kunstfestival in Stuttgart wurde sie vom Fleck weg von der IKSV engagiert. Sie zögerte nicht, das Land zu verlassen. „Ich wuchs mit der Sehnsucht der Eltern auf. Irgendwann denkt man auch: Ach, es wär’ so schön in der Türkei!“ Sie wollte ausprobieren, ob sie ein richtiges Leben in Istanbul schafft. Bei der Bezeichnung „Rückwanderer“ runzelt sie die Stirn. Sie sei Deutsche, und deswegen sei sie Auswanderin.

Deniz Ovas Lebenslauf ist untypisch für ein Gastarbeiterkind. Ihre Eltern waren modern, unreligiös, weltoffen, „nicht normal“, sagt sie. Sie besuchte die Waldorfschule, kam in der Welt herum, fand sich überall zurecht. Von der Sarrazin-Debatte fühlt sich eine wie sie nicht angesprochen. „Das fand ich – auf gut Deutsch – immer ätzend. Das hat mich auch nie interessiert. Weil ich einfach nur das, was ich gemacht habe, gut machen wollte.“

Ausländerfeindliche Bemerkungen nahm sie nie persönlich. „Wer sich integriert hat, hat es gemacht, und wer nicht, wird es jetzt auch nicht mehr machen.“ Doch auch sie, die perfekt Integrierte, spürte erst in Istanbul, was es bedeutet, wirklich angenommen zu sein. „Auch wenn ich mein Leben lang in Deutschland gelebt habe, fühlte ich mich dort manchmal, als würde ich nicht dahingehören. Dass man überhaupt als nicht-deutsch wahrgenommen wird, ist befremdlich.“ „Befremdlich“ findet Deniz Ova auch manches in Istanbul. Zum Beispiel, wie langwierig es sein kann, seinen Stromanschluss anzumelden. Oder, dass Mitmenschen ihren Müll achtlos auf die Straße werfen. Oder wie schnell Freundlichkeit in Aggressivität umschlagen kann. „Ich muss nicht laut sein, um mich durchzusetzen.“ Mancher würde in solchen Momenten beide Länder gegeneinander abwägen. Deniz Ova versucht, das Beste daraus zu ziehen. „Hier ist alles anders, und das ist okay. Wer ständig den Vergleich mit Deutschland zieht, erlebt einen Schock nach dem anderen.“

Servus, Bosporus! 2014 reisten zwölf Schüler der Zeitenspiegel-Reportageschule nach Istanbul. Zehn Tage lang recherchierten sie in der türkischen Metropole für ihre Geschichten. Darin wollten sie vor allem die besonderen Beziehungen zwischen Menschen in Istanbul und Deutschland in den Fokus stellen. Aus den Geschichten ist „Servus, Bosporus!“ entstanden, ein Onlinemagazin, in dem sich die Vielfalt der Metropole Istanbul aber auch die Vielfalt journalistischer Erzählformen wieder findet. Einige der Artikel veröffentlichen wir in einer losen Reihe auch im MiGAZIN.“

Ob sie sich deutsch oder türkisch fühlt, hängt von der Situation ab. Ihre „typisch deutsche“ Disziplin ist in der Istanbuler Arbeitswelt ein Vorteil: Schon Ende 2012 stieg sie zur Direktorin der Design Biennale auf, ein Event für alle gestalterischen Disziplinen von Architektur bis Modedesign. An die „typisch türkische“ Flexibilität und Spontanität hat sie sich mittlerweile angepasst. Nur manchmal vermisst sie Kleinigkeiten aus Deutschland: zum Pilates gehen, sich mit einem Buch in einen Park zurückziehen. Und Maultaschen, Bratwürste, deftiges Bier.

Seit drei Jahren hat sie einen Freund, ein deutsch-türkischer Auswanderer wie sie. Wenn sie nicht arbeitet, hat sie sogar Zeit für ihn. Dann gucken sie deutsches Fernsehen in ihrer gemeinsamen Wohnung. Und schwäbeln. Vielleicht verschlägt sie die Karriere in ein paar Jahren ins Ausland. Deutschland wäre eine Option. Ein, zwei Mal im Jahr ist sie zu Besuch. „Das ist wie nach Hause kommen. Und nach Istanbul zurückkommen dann auch.“

Hier geht es zum ersten Teil der Artikelserie: Zurück in die Türkei – Die dritte Identität Aktuell Gesellschaft

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