Interview mit Klaus J. Bade

Gesellschaftspolitik im Einwanderungsland – Teil 2/2

Welche integrationspolitischen Folgen haben die NSU-Pannen? Tut die Politik genug gegen hasserfüllte antiislamische Bewegungen? Sollten auch Deutsche Orientierungskurse besuchen? Über diese und andere Themen sprach das MiGAZIN mit Prof. Klaus J. Bade - Teil 2/2:

Von Dienstag, 19.03.2013, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 21.03.2013, 23:03 Uhr Lesedauer: 11 Minuten  |  

Den ersten Teil dieses Interviews finden Sie hier.

MiGAZIN: „Wortgewalt und Tatgewalt“ lautet ein Kapitel in ihrem Buch. Darin behandeln sie sowohl den norwegischen Massenmord als auch die Morde der NSU. Welchen Zusammenhang sehen Sie da?

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Prof. Klaus J. Bade: Argumente verselbstständigen sich, wie gesagt, zumal im Internet, und können dann unkalkulierbar irgendwann und irgendwo verheerende Sprengkraft entfalten. Davor haben kritische Stimmen immer wieder vergeblich gewarnt. Dennoch wären persönliche Schuldzuschreibungen auf der Schiene „Wort und Mord“ kurzschlüssig. Sie können selbst aus tendenziellen Übereinstimmungen mit publizistischen Äußerungen und sogar aus direkt darauf bezogenen Begründungen von Gewalttätern nicht abgeleitet werden. Dass Breivik sich zum Beispiel auch auf den deutschen „Islamkritiker“ H. M. Broder berief, macht Broder ja nicht zu seinem Mittäter.

Prof. Dr. Klaus J. Bade, Historiker, Migrationsforscher, Publizist und Politikberater lehrte bis 2007 Neueste Geschichte an der Universität Osnabrück. Von Ende 2008 bis Mitte 2012 war er Gründungsvorsitzender des Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) in Berlin. Im März 2013 ist sein neues Buch „Kritik und Gewalt“ erschienen im Wochenschau Verlag.

Es geht hier nicht um persönliche Haftung, sondern um ethische Verantwortung im Blick auf die potenziellen Folgen von Argumenten und den daraus zu folgernden verantwortungsvollen Umgang damit. Dieser Verantwortung und der Pflicht, nötigenfalls auch öffentlich vor Missverständnissen oder Missbrauch der eigenen Argumente zu warnen, kann sich niemand entziehen. Man kann nicht, wie „Politically Incorrect“ (PI), im Internet den „Counterdjihad“ predigen und sich dann wundern, wenn Anhänger, die gelegentlich verharmlosend „Pimaten“ genannt werden, als selbst ernannte angebliche „Widerstandskämpfer“ gegen den verteufelten Islam in vermeintlicher Vertretung der schweigenden Mehrheit agieren.

MiGAZIN: Bleiben wir beim Begriff „Wortgewalt“: Begriffe wie „Islamismus“ oder „Islamist“, die über die Sicherheitsdienste ihren Weg in alle Medien gefunden haben, prägen seit Jahren die Sicherheitsdebatte. Dabei gelingt eine klare Abgrenzung, wer Islamist und wer Muslim sein soll, selbst den Geheimdiensten nicht. Sehen Sie die Gefahr, dass der einfache Bürger – ebenfalls überfordert – zumindest eine Abneigung gegenüber den Muslimen aufbaut? Entfalten diese Begriffe ebenfalls „Wortgewalt“ im oben geschildertem Sinne?

„Es kommt darauf an, klar zu machen, daß der Islam mit dem Islamismus ungefähr so viel zu tun hat wie die Katholische Kirche mit der Pädophilie von einzelnen Priestern oder dem Bombenterror der IRA.“

Bade: Diese Gefahr besteht. Aber Probleme kriegt man nicht aus der Welt, in dem man Begriffe unter Konventionalstrafe stellt. Es gibt nun einmal den fundamentalistischen Islamismus als Gefahr, auch in diesem Land. Es kommt darauf an, klar zu machen, daß der Islam mit dem Islamismus ungefähr so viel zu tun hat wie die Katholische Kirche mit der Pädophilie von einzelnen Priestern oder dem Bombenterror der IRA. Die bewusste Einschleusung von pejorativen Begriffen in der Migrations- und Integrationsdimension gibt aber auch in anderem Zusammenhang. So ist z.B. zu Wahlkampfzwecken der CDU/CSU zur Zeit ihres damaligen Generalsekretärs Rühe polemisch gezielt der Kampfbegriff „Asylant“ anstelle des Begriffs „Asylbewerber“ oder „Asylsuchender“ ins Gespräch gebracht worden und hat sich dann sogar durchgesetzt.

Die bisherige Aufarbeitung der NSU Morde ist gekennzeichnet durch schwere Fehler in den Sicherheitsbehörden, Aktenvernichtungen und sich häufende Widersprüche. Entsprechend wächst der Unmut in der migrantischen Community. Mittlerweile wird ein Eingreifen von höchster Stelle gefordert. Gemeint ist Bundeskanzlerin Angela Merkel, die lückenlose Aufklärung versprochen hatte, sich bisher aber weitestgehend zurückhält. Wie schätzen Sie die gesellschaftlichen Folgen des bisherigen Verlaufs ein im Hinblick auf die Integration der Migranten in Deutschland?

Die Community misstraut, wie erwähnt, nicht der Mehrheitsbevölkerung, sondern dem Staat in seiner Schutzfunktion auch für Einwanderer und ihre Familien. Dieses Misstrauen bricht immer wieder durch, zuletzt bei der noch unzureichend geklärten Brandkatastrophe von Backnang. Es erhält auch Nahrung, wenn in den Medien einerseits und zu Recht breit über den verhinderten Anschlag von Salafisten auf den PRO NRW-Vorsitzenden aber nur in Kleinanzeigen auf die sich häufenden Anschläge auf Moscheen berichtet wird wie zuletzt im Fall des Brandanschlags auf die Berliner Ensar Moschee.

In Norwegen war die regierungsamtliche Reaktion auf den Terror-Schock vom Juli 2011 geprägt durch ein umso nachdrücklicheres Bekenntnis zu Multikulturalität und Liberalität, zur offenen Demokratie und zu Europa sowie durch die gemeinsame Wendung gegen minderheitenfeindliche Strömungen, die diesen programmatischen Grundwerten in der Einwanderungsgesellschaft zuwiderlaufen. In Deutschland hat es in der regierungsamtlichen Reaktion auf den NSU-Schock nur zu Trauerbekundungen und zu Warnungen vor Rechtsextremismus gereicht. Selbst in der Konfrontation mit den in Reihe aufgedeckten antimuslimischen und damit anti-multikulturellen Mordtaten war die Hürde zu einem Bekenntnis zu den Grundwerten der de facto seit langem multikulturellen Einwanderungsgesellschaft in Deutschland offenkundig noch immer zu hoch.

Wo waren die Warnungen vor der hasserfüllten antiislamischen Bewegung? Wo war und bleibt die gesellschaftliche Ächtung der immer einflussreicher und mächtiger werdenden, geschickt an der Grenze der Verfassungskonformität operierenden antiislamischen Netzwerke, die treffender „Hetzwerke“ heißen sollten? Sie faseln von der „Islamisierung Europas“ durch „demografische“ Usurpation, nennen ihre kruden Botschaften zu Unrecht „Islamkritik“ und betreiben in Wahrheit desintegrative Identitätssicherung durch die aggressive Auskreisung von Minderheiten, also negative Integration.

MiGAZIN: Steht die Bundeskanzlerin also in der Pflicht?

Bade: Die Bundeskanzlerin hat auf der nationalen Trauerfeier ausdrücklich gewarnt, „aus Worten können Taten werden“. Und der Bundespräsident hat in seiner Antrittsrede im März 2012 an die Adresse der „rechtsextremen Verächter unserer Demokratie“ die bald berühmten Worte gesagt: „Euer Hass ist unser Ansporn. Wir lassen unser Land nicht im Stich. Wir schenken Euch auch nicht unsere Angst. Ihr werdet Vergangenheit sein und unsere Demokratie wird leben!“ Das waren wichtige und kraftvolle Worte.

Aber eben immer wieder nur an die Adresse der „Rechtsextremisten“. Es fehlt bis heute eine gleichermaßen kraftvolle Warnung vor der spaltenden Kraft der vulgärrationalistischen „Islamkritik“ und Muslimhetze. Das sind, wie aktuelle Umfragen zeigen, heute europaweit beliebte Tickets der Rechtsextremen. Hier geht es aber, im Gegensatz zum Rechtsextremismus, nicht mehr vorwiegend um den rechten Rand, sondern auch um die Mitte der Gesellschaft. Das macht die Sache gefährlich und ihr Verschweigen populistisch. Aktuell Interview

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