Wie vor 20 Jahren

Innenminister fordern strenge Asylregeln

Keine zwei Monate nach dem 20. Jahrestags des Pogroms in Rostock-Lichtenhagen, erinnern Innenpolitiker des Bundes und der Länder an die Asyl-Rhetorik deutscher Politiker vor zwanzig Jahren - Zustrom, dramatischer Anstieg, Asylbetrug...

Mittwoch, 17.10.2012, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 23.10.2012, 0:41 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Im Hinblick auf die aktuellen Asylbewerberzahlen sieht der Bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) „dringenden Handlungsbedarf“, um die „dramatischen Anstiege“ zu bremsen. Von einem „dramatischen Anstieg“ und „Asylmissbrauch“ sprach auch Hessens Innenminister Boris Rhein (CDU). Die Antragssteller seien keiner asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt. Sie kämen aus wirtschaftlichen Gründen. Ebenso beschwert sich der Niedersächsische Innenminister, Uwe Schünemann (CDU), seit einigen Monaten über einen „drastischen Anstieg“ der Asylbewerberzugänge.

Und Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) reagierte am Wochenende. Er stellte ein Konzept mit Sofortmaßnahmen gegen den vermeintlichen Asylmissbrauch vor. Neben einer Wiedereinführung der Visumspflicht für Menschen aus Mazedonien und Serbien, einer Beschleunigung von Asylverfahren und sollen Unberechtigte schnell wieder in ihre Heimatländer zurückgeschickt werden. Auch lehnt er es ab, Asylbewerbern das Arbeiten zu erlauben.

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Deutschland attraktiv Dank BVerfG?
Laut Bundesinnenministerium verzeichneten die Behörden im September 1.040 Asylbewerber aus Mazedonien – deutlich mehr als in den Vormonaten: Im August wurden 620, im Juli 215 mazedonische Asylbewerber registriert. Ein ähnliches Bild ergibt sich bei Asylbewerbern aus Serbien: Ihre Zahl stieg von 324 im Juli über 496 im August auf 1.395 im September.

Grund des Anstiegs sei das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Aufstockung der Leistungen für Asylbewerber auf Hartz-IV-Niveau. Damit werde es für „Wirtschaftsflüchtlinge noch attraktiver, zu uns zu kommen und mit Bargeld wieder abzureisen.“ Dies werde zu einem weiteren Anstieg der Asylbewerber-Zahlen führen. Seine Amtskollegen auf Länderebene rief er auf, „strikt Sachleistungen statt Bargeld“ zu verteilen. Und das, obwohl die Bundesregierung jüngst einräumen musste, dass Sachleistungen viel mehr kosten verursachen als Bargeldauszahlungen.

Pure Demagogie
Für Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion ist das „pure Demagogie“. Ein Blick auf die beiden letzten Jahre belege, dass man sich „auf einem historisch vergleichsweise niedrigen Niveau“ bewege. „Wenn der Bundesinnenminister in diesem Zusammenhang von einem massiven Zustrom und zunehmendem Asylmissbrauch spricht, hat das mit den vorliegenden Zahlen nichts zu tun“, so die Linkspolitikerin.

Grünen-Vorsitzende Claudia Roth reagierte mit Empörung auf Friedrichs Vorstoß: Während die EU als Raum des Friedens, der Demokratie und des Rechts mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet werde, sei Friedrich damit beschäftigt, „neue Mauern hochzuziehen und Schlagbäume wieder zu errichten“, erklärte Roth in Berlin. Friedrich gebe den populistischen Hardliner „auf dem Rücken von Minderheiten, die in menschenunwürdigen Verhältnissen in Serbien und Mazedonien leben“.

Roma-Minderheiten
Pro Asyl konkretisiert, wer gemeint ist. „Ein Großteil der Flüchtlinge aus Serbien und Mazedonien sind Angehörige der Roma-Minderheit“, so eine Erklärung der Menschenrechtsorganisation vom Montag. Nach Aussagen der serbischen Regierung (2008) leben circa 60 Prozent der geschätzten 450.000 Roma in Serbien in unsicheren und unhygienischen Lebensverhältnissen; 30 Prozent haben keinen Zugang zu Trinkwasser; 70 Prozent keinen Zugang zur Kanalisation. Studien belegen, dass Romakinder in Sonderschulen mit einem Anteil von mehr als 30 Prozent deutlich überrepräsentiert sind. Umfragen zufolge gelten sie als die meist diskriminierte Bevölkerungsgruppe in Serbien, eine Diskriminierung, die sich insbesondere im Zugang zum Arbeitsmarkt deutlich macht.

„Eine solche umfassende Diskriminierung und soziale Ausgrenzung kann durchaus zur Schutzgewährung führen“, so Pro Asyl. Sie verweist auf das oberste Asylgericht in Frankreich. Es hat im November 2011 entschieden, dass die Lebensverhältnisse der Roma in Serbien menschenunwürdig sind und ihnen deshalb ein Schutzstatus gewährt werden muss. „Das nun geforderte Schnellverfahren ist inakzeptabel“, so Pro Asyl. Die aktuellen Äußerungen der Innenminister gegenüber Roma sei Stimmungsmache auf dem Rücken der Betroffenen. Man müsse zurückkehren zu einer sachlichen Debatte.

Ruhe für einen Tag garantiert
Ob das gelingt, ist offen. Gewiss ist aber, dass in knapp einer Woche (24. Oktober 2012) Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ein Denkmal für die ermordeten Sinti und Roma einweihen wird. Erinnern soll das Denkmal an die bis zu 500.000 in Deutschland und anderen europäischen Ländern als „Zigeuner“ ermordeten Menschen in den Jahren 1933 bis 1945. Mit etwas Glück wird Ruhe einkehren – zumindest für einen Tag. (bk) Leitartikel Politik

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  1. Soli sagt:

    denkt denn auch mal einer an die Menschen HIER die evtl. jahrelang in die Sozialkassen eingezahlt haben und dann nach 20 Jahren ebenfalls auf H4 heruntergedrückt werden?
    Menschen die hier nie etwas geleistet haben, uns aufgrund ihrer Bildung keinerlei Mehrwert bieten (jetzt und whl auch nicht in Zukunft) werden diesen Menschen dann gleichgestellt.

    Das das zu Unmut in der Bevölkerung führt ist ja wohl mehr als verständlich!

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