‚MultiKulti ist tot‘

Geschichtsklitterung in der Einwanderungsgesellschaft

Es sei immer wieder zu hören, „MultiKulti“ sei „gescheitert, total gescheitert“ (Angela Merkel) oder sogar „MultiKulti ist tot“ (Horst Seehofer). Das ist doppelt falsch gedacht, kann man heißen wie man will, schreibt Prof. Klaus J. Bade in seinem Namensbeitrag für das MiGAZIN.

Von Freitag, 11.11.2011, 7:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Freitag, 27.03.2015, 23:56 Uhr Lesedauer: 2 Minuten  |  

Wir leben in einem multikulturellen Staat in der Mitte Europas. Auf bundes- und landespolitisch höchster Ebene „konnte man auf dem Höhepunkt der Sarrazin-Debatte im Oktober vergangenen Jahres und auch später immer wieder hören, „MultiKulti“ sei „gescheitert, total gescheitert“ (Bundeskanzlerin Angela Merkel) oder sogar „MultiKulti ist tot“ (der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer).

Das ist doppelt falsch gedacht, kann man heißen wie man will. Denn man muss hier gesellschaftspolitische Konzepte und gesellschaftliche Entwicklung auseinander halten:

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Als Regierungskonzept hat es Multikulturalismus in Deutschland – im Gegensatz zu den Niederlanden – nie gegeben. Es gab hierzulande nur die frühen, naiven Vorstellungen einiger Grünen von Integration als immerwährendem Straßenfest mit fröhlichen Rutschbahnen in ein buntes Paradies.

Aber von dieser realitätsblinden MultiKulti-Romantik haben sich die frühen Grünen viel rascher gelöst als die Unionsparteien mit ihrem noch Jahrzente beibehaltenen Mantra der defensiven Erkenntnisverweigerung „Deutschland ist kein Einwanderungsland“.

Das gleiche galt lange für kontraproduktiv, d.h. desintegrativ wirkende Konzepte auf Landesebene wie z.B. die gezielt segregativen „Ausländerklassen“, „Nationalklassen“ oder „Türkenklassen“ an deutschen Schulen. Es galt auf der Bundesebene für die Rede von „sozialer Integration“ nur „auf Zeit“, von der „Aufrechterhaltung der Rückkehrbereitschaft“ und für die ausdrückliche Warnung vor einer „Assimilation“, die diese Heimatorientierung schwächen könnte. Die Ablehnung von Assimilation ist also in Deutschland keineswegs eine neue populistische Entdeckung des türkischen Ministerpräsidenten Erdogan, der bei Reden in Deutschland gerne türkische Innenpolitik betreibt.

Es ist also parteipolitische Geschichtsklitterung, immer wieder zu behaupten, MultiKulti hätte Deutschland daran gehindert, rechtzeitig Integrationspolitik zu treiben. Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Zu Recht haben deshalb führende deutsche Politiker aus verschiedenen Parteien selbstkritisch dem Diktum des vormaligen Bundespräsidenten Horst Köhler aus dem Jahr 2006 zugestimmt, man habe die Integration politisch schlicht „verschlafen“.

Den vielgeziehenen Multikulturalismus hat es als Regierungskonzept in Deutschland also nie gegeben. Und die multikulturelle Realität unserer Gesellschaft zu bestreiten, das wäre heute noch realitätsferner als das alte Dementi Deutschland sei „kein Einwanderungsland“.

Deutschland ist heute de facto ein multikulturelles Land, ob man das will oder nicht. Wer das ändern wollte, hätte sich historisch früher engagieren müssen. Da muß man freilich Angela Merkel als Bundeskanzlerin mit deutsch-deutschem Migrationshintergrund in Schutz nehmen, denn Wortmeldungen über die Mauer waren nicht drin. Aktuell Meinung

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  1. Fikret sagt:

    Jede Gesellschaft ist irgendwie multikuturell.Denken Sie an Bayer und Preußen, Eine Einheitsgesellschaft wir es nicht geben, wo alle gleichgeschaltet sind. Das ist Definitionssache. z,B. amerikanisches Lebenstyl in Deutschland. Nationalismus hilft Deutschland nicht. Es hat schon damals -zu Hitler -Zeiten-nicht geholfen. Denken Sie an die Geschichte und Tatsachen.

  2. Non-EU-Alien sagt:

    Bravo für den Beitrag! Besonders der letzte Satz ist zwar ein wenig provokativ aber sehr amüsant ;)

    Natürlich gibt es Multi-Kulti; die Verweigerer dieser Realität müssen einfach mal in eine Schulklasse oder in die Innenstädte Deutschlands gehen, um sich zu überzeugen!

  3. Zensus sagt:

    Herr Bade gibt sich generös, Frau Merkel, als Ostdeutsche, habe sich nicht über die Mauer melden können. Da hat er sicher Recht, ansonsten sollte Herr Bade sich nicht zu sehr als Prophet gebärden. Niemand kann in die Zukunft schauen und was in 50 Jahren zuwandern kann, kann in 50 Jahren allemal abwandern. Hoffentlich „verschläft“ Bade die politischen Zukunft nicht schlicht!

  4. delphin sagt:

    Fikret, das stimmt. Allerdings kommt es nicht auf auf die Komponenten drauf an? Welche zwei Kulturen würden sich -ihres Erachtens- besser verstehen:

    a) Spanier / Portugiesen
    b) Türken / Portugiesen
    c) Kongolesen / Portugiesen

    Aus dem Bauch heraus, und weil ich beide Länder sehr gut kenne: a)
    selbe Religion, ähnliche Sprache, ähnliche Bräuche, geschichtliche Verbundenheit. Ich würde bei a) am wenigsten Probleme im Zusammenleben vermuten. Bei b) und c) bin ich mir nicht sicher.

    Wie sehen Sie das, Fikret?

  5. Non-EU-Alien sagt:

    @ delphin

    Führen wir die Liste doch mal fort:

    d) Deutsche / Niederländer
    e) Deutsche / Franzosen
    f) Deutsche / Engländer
    g) Polen / Russen
    h) Serben / Kroaten

    Sind sich alle sehr nahe, sowohl kulturell als auch GESCHICHTLICH…

    Ich weiß nicht, aber Sie arbeiten hier oftmals mit Vorurteilen….

  6. Fikret sagt:

    Das Wort Kultur alleine wenig zu sagen. Z.B., in 1952, Alfred Kroeber und Clyde Kluckhohn,sag und schreibe 164 definitionen von KULTUR zusammengetragen. Gescheitert sind Konservative und einige wenige Braune,die wiessen nämlich nicht ,was das bedeutet, die Armselige. Diesen Leuten fehlt die Vorstellugskraft.Das ist die Kultur Rechtsradikale. Die können nur Dönerbudenbesitzer töten,wenn sie die Nachrichten verfolgen sollten.

  7. Fritz sagt:

    Klar, Multikulti ist super! Wenn meine farbige Frau von türkischen Jugendlichen rassistisch angepöbelt wird muss sie das als Ausdruck unseres kulturellen Reichtums verstehen.

  8. Pingback: Führungswechsel im Sachverständigenrat – Prof. Bade bleibt den Themenfeldern Integration und Migration erhalten | MiGAZIN