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Gericht stoppt familienfeindliche Abschiebepraxis

Kindeswohl wichtiger als Ausführung der Regierungspolitik: Staat darf abgelehnte Asylbewerberin nicht nach Angola abschieben und ihre drei Kinder in niederländischen Heimen oder Pflegefamilien unterbringen.

Von Mittwoch, 19.01.2011, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 15.02.2011, 0:00 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Der Gerichtshof von Den Haag hat am 11. Januar 2011 ein bemerkenswertes Urteil gefällt: Die Interessen der Kinder einer von Abschiebung bedrohten Frau aus Angola wiegen schwerer als das Interesse des niederländischen Staates, die Bestimmungen seiner Asylpolitik auszuführen.

Das Gericht beruft sich in seiner Urteilsbegründung auf Artikel 8 des europäischen Menschenrechtsvertrages, der vorsieht, dass Kinder und Eltern nicht getrennt werden dürfen. In diesem Sinne verbieten die Haager Richter dem Staat nicht nur, die Familie aus Südwestafrika auf die Straße zu setzen, sondern auch sie auseinanderzureißen.

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Die Mutter Louisa sollte nach dem Willen der Behörden das Land verlassen, während für die Kinder ein Platz in Pflegefamilien oder in Heimen vorgesehen war. Letzteres sei jedoch ein unverhältnismäßiger Verstoß gegen das Recht auf Familienleben. Der Gerichtshof untersagt dem Staat darüber hinaus, eine mögliche Trennung der Familie als Druckmittel beim Abschiebeverfahren zu verwenden.

Es ist noch unklar, ob der Staat ein Revisionsverfahren einleitet. Der christdemokratische Minister Gerd Leers (Immigration und Asyl) bedauert die Entscheidung und betont, dass die Familie die Niederlande auf jeden Fall verlassen muss. Bei dem Urteil dürfte es sich um einen Präzedenzfall handeln. Kinder aus Familien, deren Asylantrag definitiv abgelehnt worden ist, würden nicht mehr länger in der Angst leben, jeden Moment von ihren Eltern getrennt zu werden.

Der Fall der angolanischen Familie schaffte es jüngst ins Scheinwerferlicht der Medien und wurde u.a. im allabendlichen Nachrichtenjournal Nieuwsuur am 11. Januar 2011 behandelt. Die Zuschauer erfuhren darin Folgendes: Louisa und ihre drei Kinder halten sich im Auffanglager Ter Apel (Provinz Groningen) auf. Mutter Louisa lebt bereits seit 9 Jahren in den Niederlanden. Ihr ältestes Kind war erst 2 Jahre alt, als sie aus dem vom Bürgerkrieg (1975 bis 2002) zerrütteten Angola floh. Die anderen Kinder sind in den Niederlanden geboren und waren noch nie in der ehemaligen portugiesischen Kolonie. Die drei können sich dort nicht verständigen. Dafür sprechen sie fließend Niederländisch. Die drei haben überhaupt keine Beziehung zum Geburtsland ihrer Mutter. Mit anderen Worten: Ihre Heimat liegt an der Nordsee, nicht am Atlantik.

Der Staat ist in diesem Fall schon einmal in der „Causa Louisa & Kinder“ vom Haager Gerichtshof ausgebremst worden. Nachdem es der Behörde „Rückkehr und Abreise“ des Justizministeriums nicht gelungen war, die Mutter auszuweisen, wollte der Staat die Familie auf die Straße setzen. Seitdem leben die vier in Ter Apel nicht mehr in einer festen Unterkunft, sondern in einem Caravan.

Am 27. Juli 2010 bestimmten die Richter in einem vorläufigen Urteil, dass diese Pläne im Hinblick auf das Schicksal der Kinder inhuman und unrechtmäßig seien. Sie verstießen gegen diverse internationale Kinder- und Menschenrechtsverträge sowie das niederländische Recht. In einer Reaktion auf das vorläufige Urteil sagte der Staat, es liege an ihm, die Verpflichtungen, die aus den Menschenrechtsverträgen hervorgehen, in die Praxis umzusetzen. Der Gerichtshof wies aber auf den Umstand, dass es die Aufgabe des Richters sei, in individuellen Fällen zu überprüfen, ob die Ausführung der Politik mit den Vertragsverpflichtungen übereinstimmt. Daraufhin planten die Behörden, nur Louisa abzuschieben.

Insgesamt ist das endgültige Urteil vom 11. Januar 2011 ein empfindlicher Rückschlag für die VVD/CDA-Minderheitsregierung und ihrer Steigbügelhalterin PVV. Im Tolerierungsvertrag vom 30. September 2010 haben die Verhandlungsführer schließlich festgelegt, dass die Rückkehr- und Rückführungspolitik künftig verschärft werde. Damit konnte Geert Wilders eines seiner zentralen Wahlversprechen trotz des Unmutes zahlreicher Christdemokraten auf dem Papier einlösen. Doch der Gerichtshof von Den Haag macht dem Rechtspopulisten einen Strich durch die Rechnung. Im Journal Niewsuur ist folgerichtig von einer „Bombe unter der Asylpolitik“ des Kabinetts Rutte/Verhagen die Rede. Aktuell Meinung

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