
Moderne Grenzüberwachung
Frontex’ Blick wird schärfer
Die EU-Grenzagentur Frontex will mit All‑ und Stratosphären‑Technologie Migrationsrouten automatisiert beobachten. Doch der hochgerüstete Blick von oben wirft auch Fragen auf.
Von Matthias Monroy Dienstag, 09.12.2025, 11:36 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 09.12.2025, 11:34 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Die Europäische Grenz- und Küstenwachagentur Frontex stellt in einer aktuellen Studie das technologische Arsenal vor, mit dem die EU-Außengrenzen künftig aus dem All und der Stratosphäre überwacht werden sollen. Der Bericht „Earth Observation for Border Management“ erläutert dazu, wie Satelliten, Drohnen und darin eingebaute Sensoren verdächtige Schiffe, Migrationsrouten und selbst kleinste Bodenveränderungen erfassen. Die Daten laufen in einem „Copernicus Border Surveillance Service“ (CBSS) zusammen, den Frontex im Auftrag der Kommission betreibt. „Copernicus“ ist der Name des Weltallprogramms der Europäischen Union, das aus einzelnen Beobachtungssatelliten („Sentinel“) und Bodenstationen besteht. Es ist Teil des Überwachungssystem EUROSUR, das Frontex 2014 für die Land- und Seegrenzen der EU in Betrieb nahm.
Zu den wichtigsten modernen Überwachungstechnologien zählt Frontex optische Sensoren mit sehr hoher Auflösung („Very High Resolution Optical“), die tagsüber Details bis unter einen Meter erkennen lassen – sie können an Flugzeuge oder Drohnen montiert werden und Personen, Fahrzeuge oder kleine Boote entdecken. Für die großflächige Beobachtung von Grenzgebieten kommen mittelauflösende optische Sensoren an Satelliten zum Einsatz. Zur Allwetter- und Nachtüberwachung haben andere Satelliten oder andere fliegende Systeme ein Synthetic Aperture Radar (SAR) an Bord, das unabhängig von Wolken oder Dunkelheit Schiffe und Geländeänderungen detektiert.
Mit hyperspektralen Sensoren können Behörden außerdem versteckte Objekte oder bestimmte Pflanzenarten erkennen, da diese jeweils eine charakteristische Lichtreflexion – also eine eigene spektrale Signatur – besitzt. Thermalsensoren erfassen per Infrarot Wärmeemissionen, um auch bei Nacht Menschen, Fahrzeuge oder aktive Schiffe zu orten. Hinzu kommt die Auswertung von Transponder-Daten (Automatic Identification System, AIS) zur Verfolgung kooperativer Schiffe sowie durch Funksensoren, die auch ohne Transponder fahrende Schiffe oder an Bord mitgeführte Telefone anhand elektromagnetischer Emissionen aufspüren können.
„Konkret könnten HAPS beispielsweise zur Überwachung von Migrationsrouten aus Afrika zum Einsatz kommen.“
Neben Satelliten interessiert sich Frontex besonders für die bei verschiedenen Rüstungs- und Raumfahrtkonzernen noch in der Erprobung befindlichen Hochfliegende Plattformsysteme (HAPS), darunter Solarsegler, stratosphärische Ballons oder Luftschiffe. Sie sollen in rund 20.000 Metern Höhe langandauernde Beobachtung sorgen und so die zeitlichen Lücken zwischen Satellitenüberflügen schließen. Konkret könnten HAPS beispielsweise zur Überwachung von Migrationsrouten aus Afrika zum Einsatz kommen. Eine flächendeckende und dauerhafte Nutzung von HAPS-Systemen über tausenden Kilometern Grenze ist jedoch schwierig und teuer, wie auch Frontex zugeben muss.
Ein eigenes Kapitel widmet sich der Überwachung irregulärer Migration – eine Kernaufgabe von Frontex. An Landgrenzen sollen hochauflösende Optik und Algorithmen zur Mustererkennung unerlaubte Grenzübertritte aufspüren. Hochauflösende Bilder könnten außerdem zur Identifizierung und Kartierung nicht autorisierter Flüchtlingscamps, wie es etwa bei der Überwachung der Grenze zu Marokko in Melilla bereits erfolgt.
„Auch könnten Umweltdaten für Prognosen zu Migrationsbewegungen herangezogen werden – […], um durch Dürre oder Ernteausfälle ausgelöste Flüchtlingsströme vorherzusagen.“
Laut Frontex könnten die Daten aber nicht nur zur Abwehr, sondern auch zur Unterstützung vulnerabler Gruppen eingesetzt werden, indem humanitäre für die irregulären Siedlungen von Geflüchteten gebracht werden kann. Auch könnten Umweltdaten für Prognosen zu Migrationsbewegungen herangezogen werden – etwa indem die Vegetation analysiert wird, um durch Dürre oder Ernteausfälle ausgelöste Flüchtlingsströme vorherzusagen.
Neben direkten Beobachtungstechnologien entwickelt Frontex auch virtuelle Planungs- und Simulationswerkzeuge. Ein Konzept dafür ist ein sogenannter „Digitaler Zwilling“ für die EU-Außengrenzen: ein dynamisches, computergeneriertes Abbild realer Grenzregionen, das aus Copernicus-Satellitendaten, Geländemodellen und weiteren Geoinformationen gespeist wird. In dieser virtuellen Kopie können Grenzbehörden dann verschiedene Szenarien durchspielen und so den Einsatz von Personal und Technik optimieren.
Die beschriebenen Technologien sind Teil einer umfassenderen strategischen Blaupause, die Frontex kürzlich für die europäische Grenzüberwachung vorgelegt hat – und darin noch detaillierter einzelne Überwachungsmethoden untersucht. Ziel ist eine Art „Echtzeit‑Landkarte“ aller EU‑Außengrenzen, auf der alle Mitgliedstaaten gleichzeitig „Bedrohungen“ erkennen und koordinierte Maßnahmen einleiten können. Der bestehende Copernicus‑Grenzüberwachungsdienst soll in diese Architektur eingebettet werden.
„Die aus der Luft und dem Weltall gesammelten Daten sollen auch automatisierte Alarme für Grenzpatrouillen auslösen können.“
Die aus der Luft und dem Weltall gesammelten Daten sollen auch automatisierte Alarme für Grenzpatrouillen auslösen können – etwa wenn ein unbekanntes Schiff in Küstennähe auftaucht oder Bewegungen in abgelegenen Grenzabschnitten auffallen. Thematisiert werden in den Studien deshalb auch ethische und rechtliche Bedenken zu den automatisierten Abwehrmechanismen. Die umfassende Überwachung könne das Risiko des Missbrauchs und der Verfolgung vulnerabler Gruppen erhöhen, heißt es darin. Frontex müsse sicherstellen, dass die Daten „ausschließlich für den beabsichtigten Strafverfolgungszweck“ genutzt würden und nicht für „wahllose Überwachung“.
Mit dieser Ausnahme von Massenüberwachung sind aber eher EU-Bürger*innen gemeint – denn Menschen ohne Aufenthaltserlaubnis in Europa will Frontex mit der beschriebenen Technologie immer mehr auf den Leib rücken. (mig) Meinung
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